Ryanair DAC v European Commission.

JurisdictionEuropean Union
Date09 June 2021
CourtGeneral Court (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTS (Zehnte erweiterte Kammer)

9. Juni 2021(*)

„Staatliche Beihilfen – Deutscher Luftverkehrsmarkt – Von Deutschland als Garant abgesichertes öffentliches Darlehen zugunsten von Condor Flugdienst im Zusammenhang mit der Covid‑19‑Pandemie – Beschluss, keine Einwände zu erheben – Beihilfe zur Beseitigung von Schäden, die durch ein außergewöhnliches Ereignis entstanden sind – Art. 107 Abs. 2 Buchst. b AEUV – Bemessung des Schadens – Kausalzusammenhang – Begründungspflicht – Aufrechterhaltung der Wirkungen des Beschlusses“

In der Rechtssache T‑665/20,

Ryanair DAC mit Sitz in Swords (Irland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte E. Vahida, F.‑C. Laprévote, V. Blanc, S. Rating und I.‑G. Metaxas‑Maranghidis,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch L. Flynn, F. Tomat und V. Bottka als Bevollmächtigte,

Beklagte,

unterstützt durch

Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch J. Möller, R. Kanitz und P.‑L. Krüger als Bevollmächtigte,

durch

Französische Republik, vertreten durch E. de Moustier und P. Dodeller als Bevollmächtigte,

und durch

Condor Flugdienst GmbH mit Sitz in Kelsterbach (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte A. Birnstiel und S. Blazek,

Streithelferinnen,

betreffend eine Klage nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung des Beschlusses C(2020) 2795 final der Kommission vom 26. April 2020 über die staatliche Beihilfe SA.56867 (2020/N, ex 2020/PN) – Deutschland – Entschädigung für die Condor Flugdienst durch die COVID‑19‑Pandemie entstandenen Schäden

erlässt

DAS GERICHT (Zehnte erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten A. Kornezov (Berichterstatter), des Richters E. Buttigieg, der Richterin K. Kowalik‑Bańczyk, des Richters G. Hesse und der Richterin M. Stancu,

Kanzler: I. Pollalis, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 18. März 2021

folgendes

Urteil

Vorgeschichte des Rechtsstreits

1 Die Condor Flugdienst GmbH (im Folgenden: Condor) ist ein Luftfahrtunternehmen, das Charterflüge durchführt und seinen Sitz in Kelsterbach (Deutschland) hat. Sie erbringt Luftverkehrsdienste für Einzelkunden und Reiseveranstalter von Frankfurt, Düsseldorf, München und Hamburg (Deutschland) aus, wobei sie sich auf den Markt für Privatreisen konzentriert.

2 Condor stand zuvor im Eigentum der Thomas Cook Group plc (im Folgenden: Thomas Cook Gruppe). Am 23. September 2019 stellte die Thomas Cook Gruppe ihre Tätigkeit ein und es wurde ein Liquidationsverfahren über sie eröffnet. Aufgrund der engen operativen und finanziellen Verbindungen zwischen ihr und Condor geriet diese ebenfalls in finanzielle Schwierigkeiten und musste daher am 25. September 2019 die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragen.

3 Am selben Tag meldete die Bundesrepublik Deutschland bei der Europäischen Kommission eine Einzelbeihilfe zugunsten von Condor in Form eines Rettungsdarlehens in Höhe von 380 Mio. Euro an, das durch eine staatliche Garantie abgesichert wurde. Mit dieser Maßnahme sollte es Condor ermöglicht werden, ihre Tätigkeit so lange fortzusetzen, bis sie eigene Liquiditätsreserven aufgebaut hat, um unabhängig von der Thomas Cook Gruppe tätig sein zu können. Diese Maßnahme zielte somit darauf ab, den regulären Luftverkehr aufrechtzuerhalten und die durch die Liquidierung ihrer Muttergesellschaft verursachten negativen Auswirkungen für Condor zu begrenzen. Mit Beschluss vom 14. Oktober 2019, C(2019) 7429 final über die staatliche Beihilfe SA.55394 (2019/N) – Deutschland – Rettungsbeihilfe für Condor, genehmigte die Kommission die Beihilfe.

4 Am 24. April 2020 meldete die Bundesrepublik Deutschland bei der Kommission gemäß Art. 108 Abs. 3 AEUV eine weitere Einzelbeihilfe in Form von zwei staatlich abgesicherten Darlehen mit vergünstigtem Zinssatz zugunsten von Condor an. Mit dieser Maßnahme sollten Condor die Schäden ersetzt werden, die ihr unmittelbar durch die Annullierung oder die Verschiebung ihrer Flüge infolge der Einführung von Reisebeschränkungen und insbesondere der Eindämmungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Covid‑19‑Pandemie entstanden waren.

5 Am 26. April 2020 erließ die Kommission den Beschluss C(2020) 2795 final über die staatliche Beihilfe SA.56867 (2020/N, ex 2020/PN) – Deutschland – Entschädigung für die Condor durch die COVID‑19‑Pandemie entstandenen Schäden (im Folgenden: angefochtener Beschluss), mit dem sie feststellte, dass die in Rede stehende Maßnahme eine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstelle, die nach Art. 107 Abs. 2 Buchst. b AEUV mit dem Binnenmarkt vereinbar sei.

Verfahren und Anträge der Parteien

6 Mit Klageschrift, die am 6. November 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin, die Ryanair DAC, die vorliegende Klage erhoben.

7 Mit Schriftsatz, der am selben Tag bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin gemäß den Art. 151 und 152 der Verfahrensordnung des Gerichts beantragt, über die vorliegende Klage im beschleunigten Verfahren zu entscheiden. Mit Beschluss vom 2. Dezember 2020 hat das Gericht (Zehnte Kammer) diesem Antrag stattgegeben.

8 Die Kommission hat ihre Klagebeantwortung am 21. Dezember 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingereicht.

9 Gemäß Art. 106 Abs. 2 der Verfahrensordnung hat die Klägerin am 28. Dezember 2020 einen mit Gründen versehenen Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt.

10 Auf Vorschlag der Zehnten Kammer hat das Gericht gemäß Art. 28 der Verfahrensordnung beschlossen, die Rechtssache an einen erweiterten Spruchkörper zu verweisen.

11 Mit Schriftsätzen, die am 4. Januar 2021, 27. Januar 2021 und 28. Januar 2021 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, haben die Bundesrepublik Deutschland, Condor und die Französische Republik beantragt, im vorliegenden Verfahren als Streithelferinnen zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen zu werden.

12 Mit Entscheidungen vom 18. Januar 2021 und vom 9. Februar 2021 hat der Präsident der Zehnten Kammer des Gerichts die Streitbeitritte der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zugelassen.

13 Mit Beschluss vom 11. Februar 2021 hat der Präsident der Zehnten Kammer des Gerichts den Streitbeitritt von Condor zugelassen.

14 Mit am 19. Januar bzw. am 11. Februar 2021 zugestellten prozessleitenden Maßnahmen ist der Bundesrepublik Deutschland, der Französischen Republik und Condor gemäß Art. 154 Abs. 3 der Verfahrensordnung die Einreichung eines Streithilfeschriftsatzes gestattet worden.

15 Die Bundesrepublik Deutschland hat ihrem Streithilfeschriftsatz die vertrauliche Fassung des angefochtenen Beschlusses beigefügt. In der mündlichen Verhandlung haben die Kommission und Condor jeweils bestätigt, keine Einwände dagegen zu haben, dass der Klägerin die vertrauliche Fassung des angefochtenen Beschlusses übermittelt werde und dass das Gericht in der das Verfahren beendenden Entscheidung auf diesen Bezug nehme. Dies ist im Sitzungsprotokoll vermerkt worden.

16 Die Klägerin beantragt,

– den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären;

– der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

17 Die Kommission beantragt,

– die Klage als unbegründet abzuweisen;

– der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

18 Die Französische Republik beantragt, die Klage als unzulässig abzuweisen, soweit mit ihr die Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses in Zweifel gezogen wird, und die Klage im Übrigen als unbegründet abzuweisen. Hilfsweise beantragt sie, die Klage insgesamt als unbegründet abzuweisen.

19 Wie die Kommission beantragen die Bundesrepublik Deutschland und Condor, die Klage als unbegründet abzuweisen und der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Rechtliche Würdigung

20 Die Klägerin stützt ihre Klage auf vier Klagegründe, mit denen sie erstens einen Verstoß gegen die Grundsätze der Nichtdiskriminierung, des freien Dienstleistungsverkehrs und der Niederlassungsfreiheit, zweitens eine fehlerhafte Anwendung von Art. 107 Abs. 2 Buchst. b AEUV und einen offensichtlichen Beurteilungsfehler hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der Beihilfe, drittens das Unterlassen der Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens durch die Kommission und viertens eine Verletzung der Begründungspflicht im Sinne von Art. 296 AEUV rügt.

Zulässigkeit

21 Die Klägerin macht in den Rn. 33 bis 41 der Klageschrift geltend, dass sie als „Beteiligte“ im Sinne von Art. 108 Abs. 2 AEUV und von Art. 1 Buchst. h der Verordnung (EU) 2015/1589 des Rates vom 13. Juli 2015 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 108 AEUV (ABl. 2015, L 248, S. 9) klagebefugt sei, wodurch es ihr ermöglicht werde, eine Klage auf Nichtigerklärung gegen den angefochtenen Beschluss zu erheben, der ohne die Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens erlassen worden sei, um ihre Verfahrensrechte zu wahren.

22 Als Wettbewerberin von Condor würden die Interessen der Klägerin aufgrund der Gewährung der in Rede stehenden Beihilfemaßnahme beeinträchtigt, durch die es Condor ermöglicht werde, trotz der negativen Auswirkungen der Covid‑19‑Pandemie als subventionierte Wettbewerberin auf dem Markt zu verbleiben. Die Klägerin, bei der es sich um das zweitgrößte Luftfahrtunternehmen in Deutschland handele, erhalte hingegen keine solche Unterstützung.

23 Die Kommission bestreitet die Zulässigkeit der Klage nicht.

24 Die Französische Republik ist der Auffassung, die Klägerin verfüge nicht über die Klagebefugnis, um die Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses zu beanstanden, so dass der erste und der zweite Klagegrund unzulässig seien. Dagegen bestreitet die Französische Republik weder die Zulässigkeit des dritten Klagegrundes, da die Klägerin unbestreitbar Beteiligte im Sinne von Art. 108 Abs. 2 AEUV sei, noch die Zulässigkeit des vierten Klagegrundes.

25 Es ist festzustellen, dass an der Zulässigkeit der Klage kein Zweifel besteht, soweit die Klägerin mit ihr geltend machen möchte, dass die Kommission ein förmliches Prüfverfahren nach Art. 108 Abs. 2...

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