ARST SpA – Azienda regionale sarda trasporti v TR and Others.

JurisdictionEuropean Union
Date09 November 2023
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

9. November 2023(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Straßenverkehr – Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften – Verordnung (EG) Nr. 561/2006 – Art. 3 Buchst. a – Wendung ‚wenn die Linienstrecke nicht mehr als 50 km beträgt‘ – Beförderungen im Straßenverkehr mit Fahrzeugen, die zur Personenbeförderung im Linienverkehr verwendet werden – Linienstrecke, die nicht mehr als 50 km beträgt – Nichtanwendung der Verordnung Nr. 561/2006 – Gemischt genutzte Fahrzeuge – Art. 4 Buchst. e und j – Ausdrücke ‚andere Arbeiten‘ und ‚Lenkzeit‘– Art. 6 Abs. 3 und 5 – Gesamtlenkzeit während zweier aufeinanderfolgender Wochen – Lenkzeiten in einem Fahrzeug, das vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen ist“

In der Rechtssache C‑477/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof, Italien) mit Entscheidung vom 12. Mai 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Juli 2022, in dem Verfahren

Arst SpA – Azienda regionale sarda trasporti

gegen

TR,

OS,

EK,

UN,

RC,

RS,

OA,

ZB,

HP,

WS,

IO,

TK,

ME,

SK,

TF,

TC,

ND

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe sowie der Richter N. Piçarra (Berichterstatter), M. Safjan, N. Jääskinen und M. Gavalec,

Generalanwalt: A. Rantos,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– der Arst SpA – Azienda regionale sarda trasporti, vertreten durch S. Manso, Avvocato,

– der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. Garofoli, Avvocato dello Stato,

– der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Malferrari, P. Messina und G. Wilms als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Buchst. a, Art. 4 Buchst. j sowie Art. 6 Abs. 3 und 5 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr und zur Änderung der Verordnungen (EWG) Nr. 3821/85 und (EG) Nr. 2135/98 des Rates sowie zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 des Rates (ABl. 2006, L 102, S. 1, berichtigt in ABl. 2015, L 101, S. 62) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 165/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Februar 2014 (ABl. 2014, L 60, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 561/2006).

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen einem öffentlichen Nahverkehrsunternehmen der Region Sardinien (Italien), der ARST SpA – Azienda regionale sarda trasporti (im Folgenden: Arst), und mehreren Beschäftigten dieses Unternehmens wegen des Antrags dieser Beschäftigten auf Zahlung einer Entschädigung und/oder eines Ausgleichs durch Arst, die bzw. der sich nach den nicht genommenen Ruhezeiten und den Zeiten bemisst bzw. bemessen, die die zulässige summierte Gesamtlenkzeit während zweier aufeinanderfolgender Wochen überschritten haben.

Rechtlicher Rahmen

Richtlinie 2002/15/EG

3 Art. 3 Buchst. a Nr. 1 der Richtlinie 2002/15/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 zur Regelung der Arbeitszeit von Personen, die Fahrtätigkeiten im Bereich des Straßentransports ausüben (ABl. 2002, L 80, S. 35), definiert den Ausdruck „Arbeitszeit“ wie folgt:

„bei Fahrpersonal: die Zeitspanne zwischen Arbeitsbeginn und Arbeitsende, während der der Beschäftigte an seinem Arbeitsplatz ist, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht, und während der er seine Funktion oder Tätigkeit ausübt, d. h.

– die Zeit sämtlicher Tätigkeiten im Straßenverkehr. Diese Tätigkeiten umfassen insbesondere Folgendes:

i) Fahren,

ii) Be- und Entladen,

iii) Hilfe beim Ein- und Aussteigen der Fahrgäste,

iv) Reinigung und technische Wartung,

v) alle anderen Arbeiten, die dazu dienen, die Sicherheit des Fahrzeugs, der Ladung und der Fahrgäste zu gewährleisten bzw. die gesetzlichen oder behördlichen Formalitäten, die einen direkten Zusammenhang mit der gerade ausgeführten spezifischen Transporttätigkeit aufweisen, zu erledigen; hierzu gehören auch: Überwachen des Beladens/Entladens, Erledigung von Formalitäten im Zusammenhang mit Polizei, Zoll, Einwanderungsbehörden usw.;

– die Zeiten, während deren das Fahrpersonal nicht frei über seine Zeit verfügen kann und sich an seinem Arbeitsplatz bereithalten muss, seine normale Arbeit aufzunehmen, wobei es bestimmte mit dem Dienst verbundene Aufgaben ausführt, insbesondere während der Zeit des Wartens auf das Be- und Entladen, wenn deren voraussichtliche Dauer nicht im Voraus bekannt ist …“

Verordnung Nr. 561/2006

4 In den Erwägungsgründen 17 und 24 der Verordnung Nr. 561/2006 heißt es:

„(17) Mit dieser Verordnung sollen die sozialen Bedingungen für die von ihr erfassten Arbeitnehmer sowie die allgemeine Straßenverkehrssicherheit verbessert werden. Dazu dienen insbesondere die Bestimmungen über die maximale Lenkzeit pro Tag, pro Woche und pro Zeitraum von zwei aufeinander folgenden Wochen, die Bestimmung über die Verpflichtung der Fahrer, mindestens einmal in jedem Zeitraum von zwei aufeinander folgenden Wochen eine regelmäßige wöchentliche Ruhezeit zu nehmen, und die Bestimmungen, wonach eine tägliche Ruhezeit unter keinen Umständen einen ununterbrochenen Zeitraum von neun Stunden unterschreiten sollte. …

(24) Die Mitgliedstaaten sollten Vorschriften für Fahrzeuge erlassen, die zur Personenbeförderung im Linienverkehr dienen, wenn die Strecke nicht mehr als 50 km beträgt. Diese Vorschriften sollten einen angemessenen Schutz in Form von erlaubten Lenkzeiten und vorgeschriebenen Fahrtunterbrechungen und Ruhezeiten bieten.“

5 Nach Art. 1 dieser Verordnung werden in ihr „Vorschriften zu den Lenkzeiten, Fahrtunterbrechungen und Ruhezeiten für Kraftfahrer im Straßengüter‑ und ‑personenverkehr festgelegt, um die Bedingungen für den Wettbewerb zwischen Landverkehrsträgern, insbesondere im Straßenverkehrsgewerbe, anzugleichen und die Arbeitsbedingungen sowie die Straßenverkehrssicherheit zu verbessern“, und ist es ferner „Ziel dieser Verordnung …, zu einer besseren Kontrolle und Durchsetzung durch die Mitgliedstaaten sowie zu einer besseren Arbeitspraxis innerhalb des Straßenverkehrsgewerbes beizutragen.“

6 Art. 2 Abs. 1 der Verordnung bestimmt:

„Diese Verordnung gilt für folgende Beförderungen im Straßenverkehr:

b) Personenbeförderung mit Fahrzeugen, die für die Beförderung von mehr als neun Personen einschließlich des Fahrers konstruiert oder dauerhaft angepasst und zu diesem Zweck bestimmt sind.“

7 In Art. 3 der Verordnung heißt es:

„Diese Verordnung gilt nicht für Beförderungen im Straßenverkehr mit folgenden Fahrzeugen:

a) Fahrzeuge, die zur Personenbeförderung im Linienverkehr verwendet werden, wenn die Linienstrecke nicht mehr als 50 km beträgt;

…“

8 Art. 4 der Verordnung Nr. 561/2006 bestimmt:

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

e) ‚andere Arbeiten‘ alle in Artikel 3 Buchstabe a der Richtlinie [2002/15] als ‚Arbeitszeit‘ definierten Tätigkeiten mit Ausnahme der Fahrtätigkeit sowie jegliche Arbeit für denselben oder einen anderen Arbeitgeber, sei es inner- oder außerhalb des Verkehrssektors;

h) ‚wöchentliche Ruhezeit‘ den wöchentlichen Zeitraum, in dem ein Fahrer frei über seine Zeit verfügen kann und der eine ‚regelmäßige wöchentliche Ruhezeit‘ und eine ‚reduzierte wöchentliche Ruhezeit‘ umfasst;

– ‚regelmäßige wöchentliche Ruhezeit‘ eine Ruhepause von mindestens 45 Stunden;

j) ‚Lenkzeit‘ die Dauer der Lenktätigkeit, aufgezeichnet entweder:

– vollautomatisch oder halbautomatisch durch Kontrollgeräte [gemäß der Verordnung Nr. 165/2014 über Fahrtenschreiber im Straßenverkehr, zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 3821/85 des Rates über das Kontrollgerät im Straßenverkehr], oder

– von Hand gemäß den Anforderungen [der Verordnung Nr. 165/2014];

k) ‚tägliche Lenkzeit‘ die summierte Gesamtlenkzeit zwischen dem Ende einer täglichen Ruhezeit und dem Beginn der darauf folgenden täglichen Ruhezeit oder zwischen einer täglichen und einer wöchentlichen Ruhezeit;

n) ‚Personenlinienverkehr‘ innerstaatliche und grenzüberschreitende Verkehrsdienste im Sinne des [Artikels 2 Nummer 2 der Verordnung (EG) Nr. 1073/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über gemeinsame Regeln für den Zugang zum grenzüberschreitenden Personenkraftverkehrsmarkt und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 (ABl. 2009, L 300, S. 88)];

q) ‚Lenkdauer‘ die Gesamtlenkzeit zwischen dem Zeitpunkt, zu dem ein Fahrer nach einer Ruhezeit oder einer Fahrtunterbrechung beginnt, ein Fahrzeug zu lenken, und dem Zeitpunkt, zu dem er eine Ruhezeit oder Fahrtunterbrechung einlegt. Die Lenkdauer kann ununterbrochen oder unterbrochen sein.

…“

9 In Art. 6 Abs. 3 und 5 der Verordnung Nr. 561/2006 heißt es:

„(3) Die summierte...

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