AS “Latvijas valsts meži” v Dabas aizsardzības pārvalde and Vides pārraudzības valsts birojs.

JurisdictionEuropean Union
Date07 December 2023
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Neunte Kammer)

7. Dezember 2023(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Umwelt – Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen – Richtlinie 92/43/EWG – Art. 6 Abs. 3 – Begriff ,Pläne oder Projekte‘ in einem Schutzgebiet – Eingriff in einen Wald aus Gründen des Brandschutzes – Erforderlichkeit einer vorherigen Prüfung des Eingriffs auf Verträglichkeit mit dem betreffenden Gebiet“

In der Rechtssache C‑434/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Administratīvā rajona tiesa, Rīgas tiesu nams (Bezirksverwaltungsgericht, Bezirk Riga, Lettland) mit Entscheidung vom 30. Juni 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 30. Juni 2022, in dem Verfahren

„Latvijas valsts meži“ AS

gegen

Dabas aizsardzības pārvalde,

Vides pārraudzības valsts birojs,

Beteiligte:

Valsts meža dienests,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung des Richters J.‑C. Bonichot (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Kammerpräsidenten, des Richters S. Rodin und der Richterin L. S. Rossi,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– der „Latvijas valsts meži“ AS, vertreten durch M. Gūtmanis,

– der Dabas aizsardzības pārvalde, vertreten durch A. Svilāns,

– der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Hermes und I. Naglis als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 13. Juli 2023

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. 1992, L 206, S. 7, im Folgenden: Habitatrichtlinie).

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der „Latvijas valsts meži“ AS und der Dabas aizsardzības pārvalde (Umweltschutzbehörde, Lettland) der Regionalverwaltung Kurzeme (Lettland) wegen der Entscheidung des Generaldirektors der Behörde vom 22. März 2021, mit der diesem Unternehmen aufgegeben wurde, verschiedene Maßnahmen zu ergreifen, um die negativen Auswirkungen des Fällens von Bäumen im besonderen Schutzgebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung (Natura 2000) „Ances purvi un meži“ (Feuchtgebiete und Wälder von Ance) in Lettland zu verringern.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Habitatrichtlinie

3 Art. 1 Buchst. l der Habitatrichtlinie definiert ein besonderes Schutzgebiet als „ein von den Mitgliedstaaten durch eine Rechts- oder Verwaltungsvorschrift und/oder eine vertragliche Vereinbarung als ein von gemeinschaftlicher Bedeutung ausgewiesenes Gebiet, in dem die Maßnahmen, die zur Wahrung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes der natürlichen Lebensräume und/oder Populationen der Arten, für die das Gebiet bestimmt ist, erforderlich sind, durchgeführt werden“.

4 Die Ausweisung besonderer Schutzgebiete ist in Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie geregelt:

„Ist ein Gebiet aufgrund des in Absatz 2 genannten Verfahrens als Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung bezeichnet worden, so weist der betreffende Mitgliedstaat dieses Gebiet so schnell wie möglich – spätestens aber binnen sechs Jahren – als besonderes Schutzgebiet aus und legt dabei die Prioritäten nach Maßgabe der Wichtigkeit dieser Gebiete für die Wahrung oder die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes eines natürlichen Lebensraumtyps des Anhangs I oder einer Art des Anhangs II und für die Kohärenz des Netzes Natura 2000 sowie danach fest, inwieweit diese Gebiete von Schädigung oder Zerstörung bedroht sind.“

5 Der Schutz von Natura-2000-Gebieten ist u. a. in Art. 6 der Richtlinie geregelt, der vorsieht:

„(1) Für die besonderen Schutzgebiete legen die Mitgliedstaaten die nötigen Erhaltungsmaßnahmen fest, die gegebenenfalls geeignete, eigens für die Gebiete aufgestellte oder in andere Entwicklungspläne integrierte Bewirtschaftungspläne und geeignete Maßnahmen rechtlicher, administrativer oder vertraglicher Art umfassen, die den ökologischen Erfordernissen der natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I und der Arten nach Anhang II entsprechen, die in diesen Gebieten vorkommen.

(2) Die Mitgliedstaaten treffen die geeigneten Maßnahmen, um in den besonderen Schutzgebieten die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten sowie Störungen von Arten, für die die Gebiete ausgewiesen worden sind, zu vermeiden, sofern solche Störungen sich im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken könnten.

(3) Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die ein solches Gebiet jedoch einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, erfordern eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung und vorbehaltlich des Absatzes 4 stimmen die zuständigen einzelstaatlichen Behörden dem Plan bzw. Projekt nur zu, wenn sie festgestellt haben, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird, und nachdem sie gegebenenfalls die Öffentlichkeit angehört haben.

(4) Ist trotz negativer Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art ein Plan oder Projekt durchzuführen und ist eine Alternativlösung nicht vorhanden, so ergreift der Mitgliedstaat alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen, um sicherzustellen, dass die globale Kohärenz von Natura 2000 geschützt ist. Der Mitgliedstaat unterrichtet die Kommission über die von ihm ergriffenen Ausgleichsmaßnahmen.

Ist das betreffende Gebiet ein Gebiet, das einen prioritären natürlichen Lebensraumtyp und/oder eine prioritäre Art einschließt, so können nur Erwägungen im Zusammenhang mit der Gesundheit des Menschen und der öffentlichen Sicherheit oder im Zusammenhang mit maßgeblichen günstigen Auswirkungen für die Umwelt oder, nach Stellungnahme der Kommission, andere zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses geltend gemacht werden.“

UVP-Richtlinie

6 Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. 2012, L 26, S. 1, im Folgenden: UVP-Richtlinie) lautet:

„(2) Im Sinne dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:

a) ‚Projekt‘:

– die Errichtung von baulichen oder sonstigen Anlagen,

– sonstige Eingriffe in Natur und Landschaft einschließlich derjenigen zum Abbau von Bodenschätzen;

…“

Lettisches Recht

Gesetz über besondere Schutzgebiete

7 Die Habitatrichtlinie wurde durch das Likums „Par īpaši aizsargājamām dabas teritorijām“ (Gesetz über besondere Schutzgebiete) vom 2. März 1993 (Latvijas Vēstnesis, 1993, Nr. 5) in lettisches Recht umgesetzt.

8 In Art. 15 („Vorschriften für den Schutz und die Nutzung von Schutzgebieten“) dieses Gesetzes heißt es:

„(1) Für Schutzgebiete können Vorschriften für den Schutz und die Nutzung erlassen werden, um ihren Schutz zu gewährleisten und ihre natürlichen Werte zu erhalten.

(2) Für Schutzgebiete werden allgemeine Schutz- und Nutzungsvorschriften und individuelle Schutz- und Nutzungsvorschriften erlassen sowie Pläne zur Erhaltung des Wesens der Schutzgebiete aufgestellt.“

9 Art. 43 („Besondere Schutzgebiete von europäischer Bedeutung“) dieses Gesetzes bestimmt:

„…

(4) Jede ins Auge gefasste Tätigkeit und jede Planungsunterlage (ausgenommen Pläne zur Erhaltung des Wesens der Schutzgebiete und die darin ins Auge gefassten Tätigkeiten, die für die Verwaltung oder Wiederherstellung der Lebensräume besonders geschützter Arten, der Lebensräume besonders geschützter Arten mit eingeschränkter Nutzung oder von besonders geschützten Biotopen erforderlich sind, sowie die Ausgestaltung öffentlich zugänglicher Forschungs- und Naturtourismusinfrastrukturen, die in den Plänen zur Erhaltung des Wesens der Schutzgebiete vorgesehen sind), die einzeln oder in Verbindung mit anderen ins Auge gefassten Tätigkeiten oder anderen Planungsunterlagen erhebliche Auswirkungen auf ein Schutzgebiet von europäischer Bedeutung (Natura 2000) haben können, müssen einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden. …“

Gesetz über Brandschutz und Brandbekämpfung

10 Art. 10.1 Abs. 1 des Ugunsdrošības un ugunsdzēsības likums (Gesetz über Brandschutz und Brandbekämpfung) vom 24. Oktober 2002 (Latvijas Vēstnesis, 2002, Nr. 165) sieht vor, dass der Eigentümer oder der Besitzer eines Waldes verpflichtet ist, dort für die Einhaltung der Brandschutzvorschriften zu sorgen.

11 Art. 12 dieses Gesetzes bestimmt, dass der Ministerrat die Anforderungen regelt, die von natürlichen oder juristischen Personen zur Verhütung und wirksamen Löschung von Bränden und zur Milderung ihrer Folgen zu erfüllen sind, unabhängig von der Form des Eigentums und dem Ort, an dem sich das Objekt befindet.

Dekret Nr. 238

12 Nach Abs. 1 des Ministru kabineta noteikumi Nr. 238 „Ugunsdrošības noteikumi“ (Dekret Nr. 238 des Ministerrats über den Brandschutz) vom 19. April 2016 (Latvijas Vēstnesis, 2016, Nr. 78) (im Folgenden: Dekret Nr. 238) regelt dieses Dekret die von natürlichen oder juristischen Personen zur Verhütung und wirksamen Löschung von Bränden und zur Milderung ihrer Folgen zu erfüllenden Anforderungen an den Brandschutz, unabhängig von der Form des Eigentums und dem Ort, an dem sich das Objekt befindet.

13 Nach Abs. 2.7.1 des Dekrets Nr. 238 sind die im Waldgebiet angelegten Wege, die Feuerschneisen, die mineralienhaltigen Landstreifen, die naturbelassenen Fahrwege, die Löschwasserentnahmestellen und die Brandwachtürme Einrichtungen der Forstinfrastruktur zum Brandschutz.

14 Unterabs. 417.3 des Dekrets Nr. 238 sieht vor, dass der für das...

To continue reading

Request your trial

VLEX uses login cookies to provide you with a better browsing experience. If you click on 'Accept' or continue browsing this site we consider that you accept our cookie policy. ACCEPT