SM y otros contra mBank S.A.

JurisdictionEuropean Union
Date07 December 2023
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Neunte Kammer)

7. Dezember 2023(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verbraucherschutz – Richtlinie 93/13/EWG – Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen – Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 – Folgen der Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Klausel – An eine Fremdwährung gekoppelter Hypothekendarlehensvertrag, der missbräuchliche Klauseln über den Wechselkurs enthält – Nichtigkeit dieses Vertrags – Rückzahlungsansprüche – Gesetzliche Zinsen – Verjährungsfrist“

In der Rechtssache C‑140/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Rejonowy dla Warszawy-Śródmieścia w Warszawie (Rayongericht Warschau-Stadtmitte, Polen) mit Entscheidung vom 18. Januar 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 25. Februar 2022, in dem Verfahren

SM,

KM

gegen

mBank S. A.,

Beteiligte:

Rzecznik Finansowy,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin O. Spineanu-Matei, des Richters S. Rodin (Berichterstatter) und der Richterin L. S. Rossi,

Generalanwalt: A. M. Collins,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– von KM und SM, vertreten durch W. Bochenek und P. Stalski, Radcowie prawni,

– der mBank S. A., vertreten durch A. Cudna-Wagner und K. Stokłosa, Radcowie prawni, und B. Miąskiewicz, Adwokat,

– der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna und S. Żyrek als Bevollmächtigte,

– der portugiesischen Regierung, vertreten durch C. Alves, P. Barros da Costa, A. Cunha, B. Lavrador und A. Pimenta als Bevollmächtigte,

– der Europäischen Kommission, vertreten durch N. Ruiz García und A. Szmytkowska als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29).

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen SM und KM auf der einen und der mBank S. A., einem Kreditinstitut, auf der anderen Seite über die Erstattung von Zahlungen, die im Rahmen eines aufgrund missbräuchlicher Klauseln für nichtig zu erklärenden Hypothekendarlehensvertrags an die mBank geleistet wurden.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3 Im zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie 93/13 heißt es:

„Durch die Aufstellung einheitlicher Rechtsvorschriften auf dem Gebiet missbräuchlicher Klauseln kann der Verbraucher besser geschützt werden. …“

4 Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 lautet:

„Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind, und legen die Bedingungen hierfür in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften fest; sie sehen ferner vor, dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann.“

5 Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird.“

Polnisches Recht

6 Art. 60 der Ustawa – Kodeks cywilny (Gesetz über das Zivilgesetzbuch) vom 23. April 1964 (Dz. U. Nr. 16, Pos. 93) in der auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Zivilgesetzbuch) lautet:

„Vorbehaltlich der gesetzlich vorgesehenen Ausnahmen kann der Wille einer Person, die ein Rechtsgeschäft vornimmt, durch jedes Verhalten dieser Person zum Ausdruck gebracht werden, das ihren Willen in hinreichender Weise offenbart, einschließlich der Bekanntgabe dieses Willens in elektronischer Form.“

7 Art. 117 des Zivilgesetzbuchs bestimmt:

„§ 1. Vorbehaltlich der im Gesetz vorgesehenen Ausnahmen unterliegen vermögensrechtliche Ansprüche der Verjährung.

§ 2. Nach Ablauf der Verjährungsfrist kann derjenige, gegen den sich der Anspruch richtet, seine Erfüllung verweigern, es sei denn, dass er auf die Erhebung der Verjährungseinrede verzichtet. Der Verzicht auf die Verjährungseinrede vor Ablauf der Verjährungsfrist ist jedoch unwirksam.

§ 21. Nach Ablauf der Verjährungsfrist kann die Erfüllung eines Anspruchs gegen einen Verbraucher nicht mehr verlangt werden.“

8 Art. 1171 des Zivilgesetzbuchs sieht vor:

„§ 1. In Ausnahmefällen kann das Gericht nach Abwägung der Interessen der Parteien den Ablauf der Verjährungsfrist für einen Anspruch gegen einen Verbraucher unberücksichtigt lassen, wenn dies aus Gründen der Billigkeit geboten ist.

§ 2. Bei der Ausübung der in § 1 genannten Befugnis hat das Gericht insbesondere Folgendes zu berücksichtigen:

1) die Dauer der Verjährungsfrist;

2) die Dauer des Zeitraums zwischen dem Ablauf der Verjährungsfrist und der Geltendmachung des Anspruchs;

3) die Art der Umstände, die dazu geführt haben, dass der Berechtigte den Anspruch nicht geltend gemacht hat, einschließlich des Einflusses des Verhaltens des Verpflichteten auf die verspätete Geltendmachung des Anspruchs durch den Berechtigten.“

9 Art. 118 des Zivilgesetzbuchs in seiner bis zum 8. Juli 2018 geltenden Fassung lautete:

„Wird durch eine besondere Vorschrift nichts anderes bestimmt, so beträgt die Verjährungsfrist zehn Jahre und für Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen und Ansprüche im Zusammenhang mit der Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit drei Jahre.“

10 Art. 118 des Zivilgesetzbuchs in seiner seit dem 8. Juli 2018 geltenden Fassung bestimmt:

„Wird durch eine besondere Vorschrift nichts anderes bestimmt, so beträgt die Verjährungsfrist sechs Jahre und für Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen und Ansprüche im Zusammenhang mit der Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit drei Jahre. Die Verjährungsfrist endet jedoch am letzten Tag des Kalenderjahres, es sei denn, die Verjährungsfrist ist kürzer als zwei Jahre.“

11 Gemäß Art. 120 § 1 des Zivilgesetzbuchs gilt:

„Der Lauf der Verjährung beginnt an dem Tag, an dem der Anspruch fällig geworden ist. Ist die Fälligkeit des Anspruchs von der Vornahme einer bestimmten Handlung durch den Berechtigten abhängig, so beginnt der Lauf der Verjährung an dem Tag, an dem der Anspruch fällig geworden wäre, wenn der Berechtigte die Handlung am frühestmöglichen Termin vorgenommen hätte.“

12 Art. 3851 des Zivilgesetzbuchs bestimmt:

„§ 1. Die Bestimmungen eines mit einem Verbraucher geschlossenen Vertrags, die nicht individuell vereinbart worden sind, sind für ihn unverbindlich, wenn sie seine Rechte und Pflichten in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise gestalten und seine Interessen grob verletzen (unzulässige Vertragsbestimmungen). Dies gilt nicht für Bestimmungen, die die Hauptleistungen der Parteien, darunter den Preis oder die Vergütung, festlegen, wenn sie eindeutig formuliert worden sind.

§ 2. Ist eine Vertragsbestimmung nach § 1 für den Verbraucher unverbindlich, so sind die Parteien an den Vertrag in seinem übrigen Umfang gebunden.

§ 3. Als nicht individuell vereinbart gelten diejenigen Vertragsbestimmungen, auf deren Inhalt der Verbraucher keinen wirklichen Einfluss gehabt hat. Dies gilt insbesondere für Vertragsbestimmungen, die einem Vertragsmuster entstammen, das dem Verbraucher von dem Vertragspartner vorgeschlagen worden ist.

§ 4. Die Beweislast dafür, dass eine Bestimmung individuell vereinbart worden ist, trägt derjenige, der sich darauf beruft.“

13 Art. 405 des Zivilgesetzbuchs sieht vor:

„Wer einen Vermögensvorteil auf Kosten einer anderen Person ohne rechtlichen Grund erlangt hat, ist verpflichtet, den Vorteil in Natur herauszugeben und, falls dies unmöglich ist, seinen Wert zu erstatten.“

14 Art. 410 des Zivilgesetzbuchs sieht vor:

㤠1. Die Vorschriften der vorstehenden Artikel werden insbesondere auf eine nicht geschuldete Leistung angewandt.

§ 2. Eine Leistung ist nicht geschuldet, wenn derjenige, der sie erbracht hat, nicht oder nicht gegenüber der Person, an die er geleistet hat, leistungsverpflichtet war oder wenn die Grundlage der Leistung entfallen ist oder der beabsichtigte Zweck der Leistung nicht erreicht worden ist oder wenn das zur Leistung verpflichtende Rechtsgeschäft unwirksam war und nicht nach der Erbringung der Leistung wirksam geworden ist.“

15 Art. 455 des Zivilgesetzbuchs lautet:

„Ist eine Frist für die Erbringung der Leistung nicht bestimmt und ergibt sie sich auch nicht aus den Besonderheiten des Schuldverhältnisses, so muss die Leistung unverzüglich erbracht werden, nachdem der Schuldner hierzu aufgefordert worden ist.“

16 In Art. 481 § 1 des Zivilgesetzbuchs heißt es:

„Gerät der Schuldner mit der Erbringung einer Geldleistung in Verzug, so kann der Gläubiger für die Dauer des Verzugs Zinsen verlangen, auch wenn er keinen Schaden erlitten hat und der Verzug auf Umständen beruht, die der Schuldner nicht zu vertreten hat.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

17 Am 18. Februar 2009 schlossen SM und KM mit der mBank einen variabel verzinsten Hypothekendarlehensvertrag, der auf polnische Zloty (PLN) lautete und an den Schweizer Franken (CHF) gekoppelt war (im Folgenden: Darlehensvertrag).

18 Gemäß diesem Vertrag waren SM und KM verpflichtet, monatliche Raten in polnischen Zloty zu entrichten, deren Höhe auf der Grundlage des Verkaufskurses des Schweizer Frankens ermittelt wurde, der am Fälligkeitstag der monatlichen Raten in der Wechselkurstabelle der mBank veröffentlicht wurde (im Folgenden: Umrechnungsklauseln).

19 Da SM und KM die Umrechnungsklauseln für missbräuchlich hielten, beschwerten sie sich am 4. Juli 2019 bei der mBank. Sie forderten die Erstattung der von der Bank aufgrund der Nichtigkeit des Darlehensvertrags zu Unrecht eingezogenen monatlichen Darlehensraten in...

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