Verbatim report of proceedings of 12 November 2014

JurisdictionEuropean Union
Published date12 October 2022
Celex NumberC2022/392/01
C_2022392DE.01000101.xml

12.10.2022

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 392/1


12. November 2014
AUSFÜHRLICHE SITZUNGSBERICHTE VOM 12. NOVEMBER 2014

(2022/C 392/01)

Inhalt

1.

Wiederaufnahme der Sitzungsperiode 3

2.

Genehmigung des Protokolls der vorangegangenen Sitzung: siehe Protokoll 3

3.

25 Jahre Mauerfall (Aussprache) 3

4.

Zusammensetzung des Parlaments: siehe Protokoll 12

5.

Antrag auf Aufhebung der parlamentarischen Immunität: siehe Protokoll 12

6.

Zusammensetzung der Ausschüsse und Delegationen: siehe Protokoll 12

7.

Unterzeichnung von nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren angenommenen Rechtsakten (Artikel 78 GO): siehe Protokoll 12

8.

Weiterbehandlung der Standpunkte und Entschließungen des Parlaments: siehe Protokoll 12

9.

Vorlage von Dokumenten: siehe Protokoll 12

10.

Delegierte Rechtsakte (Artikel 105 GO): siehe Protokoll 12

11.

Beschlüsse über bestimmte Dokumente: siehe Protokoll 13

12.

Begrüßung 13

13.

Arbeitsplan 13

14.

Erklärung des Präsidenten der Kommission 14

15.

Wahl eines neuen Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments (Abstimmung) 24

16.

Bekämpfung von Steuerumgehung (Aussprache) 26

17.

Vorlage des Jahresberichts des Rechnungshofs — 2013 (Aussprache) 47

18.

Friedensprozess in Nordirland (Aussprache) 62

19.

Angespannte Lage in der Ausschließlichen Wirtschaftszone der Republik Zypern aufgrund von Maßnahmen der Türkei (Aussprache) 74

20.

Humanitäre Lage im Südsudan (Aussprache) 87

21.

Änderungen der Abkommen mit EWR-Ländern und der Schweiz (Aussprache) 98

22.

Ausführungen von einer Minute zu wichtigen politischen Fragen 107

23.

Tagesordnung der nächsten Sitzung: siehe Protokoll 114

24.

Schluss der Sitzung 115

Ausführliche sitzungsberichte vom 12. November 2014

VORSITZ: MARTIN SCHULZ

Präsident

(Die Sitzung wird um 15.05 Uhr eröffnet.)

1. Wiederaufnahme der Sitzungsperiode

Der Präsident. - Ich erkläre die am Donnerstag, dem 23. Oktober 2014, unterbrochene Sitzungsperiode für wieder aufgenommen.

2. Genehmigung des Protokolls der vorangegangenen Sitzung: siehe Protokoll

3. 25 Jahre Mauerfall (Aussprache)

Der Präsident. - (2014/2920(RSP)) Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 9. November vor 25 Jahren rissen mutige Männer und Frauen die Berliner Mauer nieder – eine Mauer, befestigt durch Stacheldraht, bewacht durch Soldaten, eine Mauer, die Familien, ein ganzes Land, einen ganzen Kontinent willkürlich entzweigerissen hat. Diese willkürliche Teilung Deutschlands und Europas wurde am 9. November 1989 durch eine friedliche Revolution beendet. Kein Panzer rollte, kein Schuss fiel, kein Tropfen Blut floss. In dieser Nacht – am 9. November 1989 — fand eine europäische Freiheitsbewegung ihren Höhepunkt in Berlin. Wohin man in diesem Jahr der Wunder – wie es der Historiker Timothy Garton Ash genannt hat – 1989 in Europa auch blickte: Der Funke der Freiheit war entzündet. Und es waren nicht Supermächte, es waren auch nicht Staatenlenker, die die Geschichte geschrieben haben, es waren die Völker Europas selbst, die ihre eigene Geschichte schrieben und den Lauf der Welt veränderten.

Erinnern wir uns noch einmal: Auf den Danziger Werften hatten sich Arbeiter um Lech Wałęsa versammelt, und die Solidarność mit ihrer friedlichen Aktion ließ sich nicht von Gewalt leiten, sondern von Johannes Paul II., der ihr zurief: „Bekämpft Böses mit Gutem!“ In Prag nahm die Samtene Revolution ihren Lauf, als Hunderttausende Demonstranten auf dem Wenzelsplatz riefen: „Havel auf die Burg!“ Ungarn baute seine Grenzanlagen zu Österreich ab – ein Riss im Eisernen Vorhang, durch den Zehntausende in die Freiheit flohen. Von Vilnius über Riga bis Tallinn zog sich eine Menschenkette, Hand in Hand erstritten sich die baltischen Völker mit ihrer Singenden Revolution die Unabhängigkeit. In Leipzig trugen Bürgerrechtler den Widerstand aus der Kirche auf die Straße mit dem Ruf „Wir sind das Volk!“, immer wieder „Wir sind das Volk!“.

Ob in Berlin, in Leipzig, in Warschau, in Prag oder in Bratislava, in Vilnius, in Tallinn oder in Riga: Die Wege zu Freiheit und Demokratie waren unterschiedlich, aber eines waren sie immer: Sie waren friedlich. Gemeinsam waren den Menschen, die demonstrierten, ihre Friedfertigkeit und ihr Mut. Ihnen, meine Damen und Herren, den Freiheitskämpferinnen und Freiheitskämpfern in all diesen Ländern, verdanken wir es, dass Demokratie und Freiheit über Unrecht und Diktatur siegten.

Diese Menschen wollten sich des sowjetischen Jochs entledigen. Aber es ging ihnen auch um etwas anderes, um einen anderen Leitsatz des Jahres 1989: Es ging ihnen um die Rückkehr nach Europa. Vollendet wurden diese friedlichen Revolutionen des Jahres 1989 folgerichtig erst mit den Wiedervereinigungen – zunächst der deutschen und dann der europäischen Wiedervereinigung durch die Osterweiterung der EU vor zehn Jahren, die Rückkehr der mittel- und osteuropäischen Völker an ihren rechtmäßigen Platz in der Völkerfamilie Europas. Dass wir, meine Damen und Herren, die Repräsentantinnen und Repräsentanten dieser Völker Europas, hier gemeinsam arbeiten können – zum Beispiel heute –, das verdanken wir dem Mut der Menschen, die für ihre Überzeugungen auf die Straße gingen.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen. der Rückblick verklärt vieles. Aber dass Spruchbanner und Kerzen, Blumen und Gesang, Gebete und Schlüsselbunde über Panzer und Gewehre, über Mauern und Grenzen triumphierten, das war doch nicht garantiert! Wie leicht hätten diese Demonstrationen in einem Blutvergießen enden können, so wie 1953 in Berlin, 1956 in Budapest, 1968 in Prag oder wenige Monate zuvor auf dem Tiananmen-Platz in Peking. Das müssen wir uns heute vor Augen halten, wenn wir den Mut begreifen wollen, den die Männer und Frauen auf diesen Straßen aufbrachten.

Deshalb: Nichts beschreibt die Epoche nach dem Fall der Mauer, nach dem Ende der Trennung besser als erste Satz der Berliner Erklärung von 2008, der auch unser Leitmotiv für die Zukunft sein sollte: „Wir sind zu unserem Glück vereint!“

Herbert Reul, im Namen der PPE-Fraktion . – Herr Präsident, meine Kollegen und liebe Kolleginnen! Die Mauer ist weg. Vor 25 Jahren fiel die Mauer in Berlin; seit 25 Jahren ist die Teilung in Deutschland, in Europa und in der Welt überwunden. Die Mauer fiel, weil Bürgerinnen und Bürger in der DDR friedlich demonstrierten für Einigkeit und Recht und Freiheit, weil sie spürten, dass die Obrigkeit nicht mehr stark genug war, sie aufzuhalten. Die Mauer fiel, weil Menschen, Politiker in Deutschland, in Europa und in der Welt die Unterdrückung in der DDR, die Unnatürlichkeit der Mauer verurteilten und an die Einigkeit und Einigung Deutschlands glaubten.

Die Mauer fiel, weil Systeme, die den Menschen die Freiheit vorenthalten, nicht überleben können. Die Mauer fiel, weil bankrotte Systeme nicht überleben können. Die Mauer fiel, weil Menschen in Estland, in Lettland, in Litauen, in Ungarn, in der Tschechoslowakei und in Polen Voraussetzungen für diesen Wandel schufen. Ein Wunder war es aber nicht, ebenso wenig wie ein Naturereignis, sondern die Folge einer in der Geschichte beispiellosen, friedlichen Revolution, die seit Monaten in einem atemberaubenden Tempo von einem Höhepunkt zum anderen eilte.

Sicher ist: Ohne die zahlreichen Bürgerrechtsbewegungen, die sich im Spätsommer 1989 zu Volksbewegungen entwickelten und ihren Veränderungswillen in friedlichen Massendemonstrationen ausdrückten, hätte es diesen 9. November in Berlin nicht gegeben. Dieser Mauerfall fand in Berlin statt, aber er ist selbstverständlich ein Ereignis von europäischer Tragweite. Wie oft habe ich an der Mauer in Berlin gestanden als junger Kerl! Ich war sehr unsicher, ob ich jemals erleben würde, dass diese Mauer fällt. Und welche Unsicherheit oder sogar Angst hatte ich, wenn ich in die DDR zu Besuchen fuhr und zum Beispiel am Bahnhof Friedrichstraße Untersuchungsprozeduren über mich ergehen lassen musste!

Diese Repression, dieses Überwachtsein, dieses Gefühl des Überwachtseins dauerte bei mir vielleicht ein paar Stunden. Die Menschen in der DDR lebten Jahrzehnte unter einem solchen Regime. All das ist vorbei, und deshalb feiern wir in diesen Tagen. Aber diese 25 Jahre seit dem Mauerfall haben auch ein Stück Normalität eintreten lassen: Es ist normal geworden, man erinnert sich nicht. Etwa 23 Millionen Deutsche können sich gar nicht an den Mauerfall erinnern, denn sie sind erst nach 1985 geboren.

Aber auch diese jungen Menschen können ja aus dem Mauerfall lernen, genauso wie wir Politiker. Wir müssen uns allerdings darum kümmern, dass junge Menschen daraus lernen. Politik muss langfristig Ziele verfolgen und durchhalten und nicht aufgeben, wie es Teile der Welt und der deutschen Politik in der Frage der Wiedervereinigung getan haben. Politik muss auch Chancen ergreifen, ohne Mut geht es nicht. Helmut Kohl hat damals diese Chance ergriffen und genutzt. Wir Deutschen sind für die Wiedervereinigung unendlich dankbar.

Und wir Europäer haben seitdem unsere gemeinsame Geschichte weitergeschrieben. Dass wir heute mit Mitgliedern aus 28 Mitgliedstaaten gemeinsam in einem demokratischen Parlament gedenken, wäre vor 25 Jahren nicht vorstellbar gewesen.

Die Welt wird sich auch weiterhin verändern. Wir im Europäischen Parlament dürfen an diesen Veränderungen mitarbeiten. Und der Mauerfall erinnert uns daran, dass Grenzen überwunden werden können, dass sich...

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