Conclusiones del Abogado General Sr. M. Szpunar, presentadas el 11 de enero de 2024.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2024:16
Date11 January 2024
Celex Number62023CC0022
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MACIEJ SZPUNAR

vom 11. Januar 2024(1)

Rechtssache C22/23

„Citadeles nekustamie īpašumi“ SIA

gegen

Valsts ieņēmumu dienests

(Vorabentscheidungsersuchen der Administratīvā rajona tiesa [Bezirksverwaltungsgericht, Lettland])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung – Richtlinie (EU) 2015/849 – Art. 3 Nr. 7 Buchst. c – Begriff des ‚Dienstleisters für Trusts oder Gesellschaften‘ – Eigentümer einer Immobilie, der Mietverträge mit juristischen Personen abgeschlossen hat – Zustimmung zur Registrierung eines Sitzes in dieser Immobilie – Art. 4 – Ausdehnung des Begriffs ‚Verpflichtete‘ auf Berufe und Unternehmenskategorien, die nicht in der Richtlinie (EU) 2015/849 genannt sind“






I. Einleitung

1. Ist ein Vermieter, der eine ihm gehörende Immobilie an eine Gesellschaft vermietet und zustimmt, dass diese Gesellschaft dort ihren Sitz registrieren lässt, als „Dienstleister für Trusts oder Gesellschaften“ im Sinne der Richtlinie (EU) 2015/849(2) zu betrachten und daher als „Verpflichteter“ einzustufen, der die sich aus dieser Richtlinie ergebenden Pflichten zu erfüllen hat?

2. Dies ist im Wesentlichen die Frage, die der Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache zu prüfen hat, die ein Vorabentscheidungsersuchen der Administratīvā rajona tiesa (Bezirksverwaltungsgericht, Lettland) betrifft, das sich auf die Auslegung von Art. 3 Nr. 7 Buchst. c der Richtlinie 2015/849 bezieht. Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen einer Gesellschaft und der zuständigen lettischen Behörde über eine Geldbuße, die wegen Verstößen gegen die nationalen Bestimmungen zur Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung verhängt wurde.

3. Diese Rechtssache bietet dem Gerichtshof Gelegenheit, die Bedeutung des Begriffs „Dienstleister für Trusts oder Gesellschaften“ im Sinne der Richtlinie 2015/849 zu präzisieren und Hinweise zu einer etwaigen Ausdehnung des Geltungsbereichs dieser Richtlinie durch die Mitgliedstaaten auf andere Verpflichtete als die in der Richtlinie ausdrücklich genannten zu geben.

II. Rechtlicher Rahmen

A. Unionsrecht

4. Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2015/849 sieht vor:

„Ziel dieser Richtlinie ist die Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems der Union zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung.“

5. In Art. 2 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 7 dieser Richtlinie heißt es:

„(1) Diese Richtlinie gilt für die folgenden Verpflichteten

3. die folgenden natürlichen oder juristischen Personen bei der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit:

a) Abschlussprüfer, externe Buchprüfer und Steuerberater sowie jede andere Person, die – unmittelbar oder über Dritte, mit denen diese andere Person verbunden ist, – als wesentliche geschäftliche oder gewerbliche Tätigkeit materielle Hilfe, Unterstützung oder Beratung im Hinblick auf Steuerangelegenheiten leistet,

b) Notare und andere selbständige Angehörige von rechtsberatenden Berufen, wenn sie im Namen und auf Rechnung ihres Klienten Finanz- oder Immobilientransaktionen durchführen oder für ihren Klienten an der Planung oder Durchführung von Transaktionen mitwirken, die Folgendes betreffen:

i) den Kauf und Verkauf von Immobilien oder Gewerbebetrieben,

c) Dienstleister für Trusts oder Gesellschaften, die nicht unter die Buchstaben a oder b fallen,

d) Immobilienmakler, auch in ihrer Tätigkeit bei der Vermietung von Immobilien, aber nur in Bezug auf Transaktionen, bei denen sich die monatliche Miete auf 10 000 [Euro] oder mehr beläuft,

7. Bei der Bewertung des Risikos der Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung im Sinne dieses Artikels richten die Mitgliedstaaten ihr spezielles Augenmerk auf alle Finanztätigkeiten, die naturgemäß als besonders geeignet gelten, für Zwecke der Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung genutzt oder missbraucht zu werden.

…“

6. Art. 3 Nr. 7 der Richtlinie 2015/849 bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

7. ‚Dienstleister für Trusts oder Gesellschaften‘ jede Person, die gewerbsmäßig eine der folgenden Dienstleistungen für Dritte erbringt:

a) Gründung von Gesellschaften oder anderen juristischen Personen;

b) Ausübung der Leitungs- oder Geschäftsführungsfunktion einer Gesellschaft, der Funktion eines Gesellschafters einer Personengesellschaft oder einer vergleichbaren Funktion bei einer anderen juristischen Person oder Bestellung einer anderen Person für die zuvor genannten Funktionen;

c) Bereitstellung eines Sitzes, einer Geschäfts‑, Post- oder Verwaltungsadresse und anderer damit zusammenhängender Dienstleistungen für eine Gesellschaft, eine Personengesellschaft oder eine andere juristische Person oder Rechtsvereinbarung;

d) Ausübung der Funktion eines Trustees eines Express Trusts oder einer ähnlichen Rechtsvereinbarung oder Bestellung einer anderen Person für die zuvor genannten Funktionen;

e) Ausübung der Funktion eines nominellen Anteilseigners für eine andere Person, bei der es sich nicht um eine an einem geregelten Markt notierte Gesellschaft handelt, die dem Unionsrecht entsprechenden Offenlegungsanforderungen oder gleichwertigen internationalen Standards unterliegt, oder Bestellung einer anderen Person für die zuvor genannten Funktionen“.

7. Art. 4 der Richtlinie 2015/849 bestimmt:

„(1) Die Mitgliedstaaten sorgen in Übereinstimmung mit dem risikobasierten Ansatz dafür, dass der Geltungsbereich dieser Richtlinie ganz oder teilweise auf Berufe und Unternehmenskategorien ausgedehnt wird, die zwar keine Verpflichteten im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 sind, jedoch Tätigkeiten ausüben, bei denen es besonders wahrscheinlich ist, dass diese für Zwecke der Geldwäsche oder der Terrorismusfinanzierung genutzt werden.

(2) Dehnt ein Mitgliedstaat den Geltungsbereich dieser Richtlinie auf andere als die in Artikel 2 Absatz 1 genannten Berufe oder Unternehmenskategorien aus, so teilt er dies der Kommission mit.“

8. Art. 5 der Richtlinie 2015/849 lautet:

„Die Mitgliedstaaten können zur Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung in den Grenzen des Unionsrechts strengere Vorschriften auf dem unter diese Richtlinie fallenden Gebiet erlassen oder beibehalten.“

B. Lettisches Recht

9. Die Bestimmungen zur Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung im lettischen Recht sind im Noziedzīgi iegūtu līdzekļu legalizācijas un terorisma un proliferācijas finansēšanas novēršanas likums (Gesetz zur Verhinderung der Geldwäsche sowie der Finanzierung von Terrorismus und Proliferation) vom 17. Juli 2008(3) (im Folgenden: lettisches Antigeldwäschegesetz) enthalten, das u. a. zum Zweck der Umsetzung der Richtlinie 2015/849 in das lettische Recht geändert worden ist.

10. Dieses Gesetz definiert in seiner auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung in Art. 1 Nr. 10 den Begriff des „Dienstleisters für die Gründung und den Betrieb einer Rechtsvereinbarung oder einer juristischen Person“. Nach dieser Bestimmung handelt es sich dabei um eine juristische oder natürliche Person, die eine Geschäftsbeziehung mit einem Kunden unterhält und nach Buchst. c dieser Bestimmung u. a. „einen Sitz, eine Anschrift für die Entgegennahme von Postsendungen oder eine Anschrift für den Ort der Transaktionen [bereitstellt] und … andere ähnliche Dienstleistungen an Rechtsvereinbarungen und juristische Personen [erbringt]“.

11. Art. 3 des lettischen Antigeldwäschegesetzes bestimmt:

„(1) Verpflichtete sind Personen, die eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit ausüben:

4. Notare, Rechtsanwälte und andere selbständige Erbringer von Rechtsdienstleistungen, wenn sie im Namen und für Rechnung ihres Mandanten Dienstleistungen zur Unterstützung bei der Planung oder Durchführung von Transaktionen erbringen, sich an Transaktionen beteiligen oder andere berufliche Tätigkeiten im Zusammenhang mit den Transaktionen für Rechnung ihres Mandanten ausüben, die sich beziehen auf:

a) Kauf oder Verkauf von Immobilien oder Anteilen an einer Handelsgesellschaft,

5. Dienstleister für die Gründung und den Betrieb einer Rechtsvereinbarung oder einer juristischen Person;

6. Vermittler von Immobilientransaktionen.“

III. Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

A. Vorgeschichte des Rechtsstreits und Ausgangsverfahren

12. Die Citadeles nekustamie īpašumi SIA (im Folgenden: Citadeles), die Klägerin im Ausgangsverfahren, ist eine in Lettland eingetragene Handelsgesellschaft, deren Tätigkeit insbesondere im Kauf und Verkauf eigener Immobilien sowie in der Vermietung und Verwaltung dieser Immobilien besteht.

13. Im Zeitraum zwischen dem 14. September 2021 und dem 4. Februar 2022 führte der Valsts ieņēmumu dienests (Staatliche Steuerverwaltung, Lettland) (im Folgenden: VID) bei Citadeles eine Prüfung im Bereich der Verhinderung der Geldwäsche durch, über die ein Prüfungsbericht erstellt wurde.

14. In diesem Prüfungsbericht stellte der VID fest, dass Citadeles ein ihr gehörendes Gebäude vermietet habe, wobei sie Mietverträge mit Mietern abgeschlossen habe, darunter auch mit juristischen Personen und Rechtsvereinbarungen, die ihren Sitz in Räumlichkeiten in diesem Gebäude hätten registrieren lassen.

15. Nach den Feststellungen des Prüfungsberichts hatte Citadeles es versäumt, beim VID eine Tätigkeit wie die des „Dienstleisters für die Gründung und den Betrieb einer Rechtsvereinbarung oder einer juristischen Person“ gemäß dem lettischen Antigeldwäschegesetz registrieren zu lassen und die sich aus diesem Gesetz ergebenden Verpflichtungen zu erfüllen.

16. Auf der Grundlage dieser Feststellungen verhängte der VID mit Bescheid vom 28. März 2022 gegen Citadeles eine Geldbuße in Höhe von 1 000 Euro wegen Nichterfüllung der Anforderungen, die im lettischen Antigeldwäschegesetz festgelegt sind. Dieser Bescheid wurde durch einen Bescheid des Generaldirektors des VID vom 15. Juni 2022 (im Folgenden: angefochtener Bescheid) bestätigt.

17. Der angefochtene Bescheid stützt...

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