Conclusiones del Abogado General Sr. M. Szpunar, presentadas el 8 de febrero de 2024.
Jurisdiction | European Union |
Celex Number | 62022CC0633 |
ECLI | ECLI:EU:C:2024:127 |
Date | 08 February 2024 |
Court | Court of Justice (European Union) |
Vorläufige Fassung
SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
MACIEJ SZPUNAR
vom 8. Februar 2024(1)
Rechtssache C‑633/22
Real Madrid Club de Fútbol,
AE
gegen
EE,
Société Éditrice du Monde SA
(Vorabentscheidungsersuchen der Cour de cassation [Kassationsgerichtshof, Frankreich])
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – Verordnung (EG) Nr. 44/2001 – Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen – Versagungsgründe – Verstoß gegen die öffentliche Ordnung (ordre public) des Vollstreckungsstaats – Verurteilung einer Zeitung und eines ihrer Journalisten wegen Schädigung des Rufs eines Sportvereins“
I. Einleitung
1. Die Verordnung (EG) Nr. 44/2001(2), die auch als Brüssel‑I-Verordnung bekannt ist und der Tradition folgt, die die Mitgliedstaaten seit dem Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen(3) selbst entwickelt haben, sah einheitliche Vorschriften für die Anerkennung und Vollstreckung in den Mitgliedstaaten ergangener Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vor. Nach diesen Vorschriften muss, damit eine in einem Mitgliedstaat (im Folgenden: Ursprungsmitgliedstaat) ergangene Entscheidung in einem anderen Mitgliedstaat (im Folgenden: Vollstreckungsmitgliedstaat) vollstreckt werden kann, dieser die Entscheidung für vollstreckbar erklären.
2. Die Brüssel‑I-Verordnung ist durch die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012(4) (im Folgenden: Brüssel‑Ia-Verordnung) ersetzt worden, die weiter geht als ihre Vorgängerin und ein System der automatischen Vollstreckung („ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf“) in den Mitgliedstaaten ergangener Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen einführt.
3. Es bleibt jedoch dabei, dass ein Vollstreckungsmitgliedstaat nach den Bestimmungen dieser beiden Verordnungen unter Verweis auf die traditionelle Lösung des internationalen Privatrechts das Recht hat, die Vollstreckung eines Urteils zu versagen, wenn es seine öffentliche Ordnung bedroht.
4. Zwar lässt sich argumentieren, dass die Existenz einer Ordre-public-Ausnahme eine notwendige und unvermeidbare Voraussetzung für die Liberalisierung der Anforderungen darstellt, die aufgestellt worden sind, um ausländischen Entscheidungen Vollstreckbarkeit im Hoheitsgebiet eines Vollstreckungsmitgliedstaats zu verleihen: Dieser ist weniger zögerlich, ausländische Entscheidungen zu akzeptieren, wenn er über ein Sicherheitsventil verfügt, das ihm das letzte Wort in Bezug auf die Wirkung der Entscheidungen in seinem Hoheitsgebiet gibt.
5. Die Besonderheit der vorliegenden Rechtssache liegt darin, dass die Vollstreckbarkeit der in einem Ursprungsmitgliedstaat ergangenen Entscheidungen mit der Begründung versagt worden ist, dass die Vollstreckung dieser Entscheidungen mit der in Art. 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) garantierten Freiheit der Meinungsäußerung kollidiere. Diese Rechtssache gibt dem Gerichtshof nicht nur Gelegenheit, die Modalitäten eines Rückgriffs auf die Ordre-public-Klausel in einem solchen Fall zu klären, sondern auch die Umrisse seiner Zuständigkeit für Vorabentscheidungen zu präzisieren.
II. Rechtlicher Rahmen
6. Kapitel III („Anerkennung und Vollstreckung“) der Brüssel‑I-Verordnung umfasst drei Abschnitte, die mit „Anerkennung“ (Art. 33 bis 37), „Vollstreckung“ (Art. 38 bis 52) und „Gemeinsame Vorschriften“ (Art. 53 bis 56) überschrieben sind, sowie eine Definition des Begriffs „Entscheidung“ (Art. 32).
7. Art. 33 dieser Verordnung, der den ersten Abschnitt von Kapitel III über die Anerkennung von Entscheidungen eröffnet, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem ergangen sind, in dem die Anerkennung geltend gemacht wird, sieht in seinem Abs. 1 vor, dass „[d]ie in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen … in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt [werden], ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf“.
8. Art. 34 Nr. 1 der genannten Verordnung bestimmt, dass eine Entscheidung nicht anerkannt wird, wenn „die Anerkennung der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Mitgliedstaats, in dem sie geltend gemacht wird, offensichtlich widersprechen würde“.
9. Art. 36 derselben Verordnung lautet: „Die ausländische Entscheidung darf keinesfalls in der Sache selbst nachgeprüft werden.“
10. Art. 38 der Brüssel‑I-Verordnung, der den zweiten Abschnitt von Kapitel III über die Vollstreckung in anderen Mitgliedstaaten ergangener Entscheidungen eröffnet, sieht in seinem Abs. 1 vor:
„Die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen, die in diesem Staat vollstreckbar sind, werden in einem anderen Mitgliedstaat vollstreckt, wenn sie dort auf Antrag eines Berechtigten für vollstreckbar erklärt worden sind.“
11. Art. 41 dieser Verordnung bestimmt: „Sobald die in Artikel 53 vorgesehenen Förmlichkeiten erfüllt sind, wird die Entscheidung unverzüglich für vollstreckbar erklärt, ohne dass eine Prüfung nach den Artikeln 34 und 35 erfolgt. Der Schuldner erhält in diesem Abschnitt des Verfahrens keine Gelegenheit, eine Erklärung abzugeben.“
12. In Art. 43 Abs. 1 der genannten Verordnung heißt es: „Gegen die Entscheidung über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung kann jede Partei einen Rechtsbehelf einlegen.“
13. Art. 45 derselben Verordnung lautet:
„(1) Die Vollstreckbarerklärung darf von dem mit einem Rechtsbehelf nach Artikel 43 oder Artikel 44 befassten Gericht nur aus einem der in den Artikeln 34 und 35 aufgeführten Gründe versagt oder aufgehoben werden. Das Gericht erlässt seine Entscheidung unverzüglich.
(2) Die ausländische Entscheidung darf keinesfalls in der Sache selbst nachgeprüft werden.“
14. Art. 48 der Brüssel‑I-Verordnung sieht vor:
„(1) Ist durch die ausländische Entscheidung über mehrere mit der Klage geltend gemachte Ansprüche erkannt [worden] und kann die Vollstreckbarerklärung nicht für alle Ansprüche erteilt werden, so erteilt das Gericht oder die sonst befugte Stelle sie für einen oder mehrere dieser Ansprüche.
(2) Der Antragsteller kann beantragen, dass die Vollstreckbarerklärung nur für einen Teil des Gegenstands der Verurteilung erteilt wird.“
III. Sachverhalt des Ausgangsverfahrens
15. Die Zeitung Le Monde veröffentlichte am 7. Dezember 2006 einen Artikel, in dem der Verfasser EE, ein bei dieser Zeitung angestellter Journalist, behauptete, dass die Fußballvereine Real Madrid und FC Barcelona die Dienste von Dr. X. Fuentes, dem Drahtzieher eines Dopingrings im Radsport, in Anspruch genommen hätten. Ein Auszug aus dem Artikel erschien auf der ersten Seite, zusammen mit einer Zeichnung mit dem Untertitel „Doping: erst der Radsport, jetzt der Fußball“, die einen Radfahrer in den Farben der spanischen Flagge zeigt, umgeben von kleinen Fußballspielern und Spritzen. Zahlreiche Medien, vor allem in Spanien, berichteten über diese Veröffentlichung.
16. Am 23. Dezember 2006 veröffentlichte die Zeitung Le Monde kommentarlos das Dementischreiben, das ihr von Real Madrid übermittelt worden war.
17. Dieser Verein und ein Mitglied seines medizinischen Teams, die Kläger des Ausgangsverfahrens, reichten vor dem Juzgado de Primera Instancia nº 19 de Madrid (Gericht erster Instanz Nr. 19 Madrid, Spanien) eine auf die Verletzung ihrer Ehre gestützte Haftungsklage gegen die Herausgeberin der Zeitung Le Monde und den Journalisten/Verfasser des betreffenden Artikels, die Beklagten des Ausgangsverfahrens, ein.
18. Mit Urteil vom 27. Februar 2009 verurteilte dieses Gericht die Beklagten des Ausgangsverfahrens zur Zahlung von 300 000 Euro an Real Madrid und von 30 000 Euro an das Mitglied des medizinischen Teams des Vereins und ordnete die Veröffentlichung seines Urteils in der Zeitung Le Monde an. Dagegen legten die Beklagten des Ausgangsverfahrens Berufung bei der Audiencia Provincial de Madrid (Provinzgericht Madrid, Spanien) ein, die das Urteil im Wesentlichen bestätigte. Das Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof, Spanien) wies das gegen die letztgenannte Entscheidung eingelegte Rechtsmittel mit Urteil vom 24. Februar 2014 zurück.
19. Der Juzgado de Primera Instancia nº 19 de Madrid (Gericht erster Instanz Nr. 19 Madrid) ordnete mit Beschluss vom 11. Juli 2014 gesamtschuldnerisch(5) die Vollstreckung der Entscheidung des Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) und die Zahlung von 390 000 Euro als Hauptforderung, Zinsen und Kosten an Real Madrid sowie mit Beschluss vom 9. Oktober 2014 die Vollstreckung dieser Entscheidung und die Zahlung von 33 000 Euro als Hauptforderung, Zinsen und Kosten an das Mitglied des medizinischen Teams des Vereins an.
20. Am 15. Februar 2018 erließ der Leiter der Gerichtskanzlei des Tribunal de grande instance de Paris (Großinstanzgericht Paris, Frankreich) zwei Erklärungen, mit denen die Vollstreckbarkeit dieser Beschlüsse feststellt wurde.
21. Mit Urteilen vom 15. September 2020 hob die Cour d’appel de Paris (Berufungsgericht Paris, Frankreich) die Erklärungen auf. Da sie die Beschlüsse vom 11. Juli und vom 9. Oktober 2014 als offensichtlich gegen den französischen internationalen Ordre public verstoßend betrachtete, entschied sie, dass diese in Frankreich nicht vollstreckt werden dürften.
22. Die Cour d’appel de Paris (Berufungsgericht Paris) stellte insoweit in einem ersten Schritt fest, dass die spanischen Gerichte die fraglichen Verurteilungen aufgrund von Art. 9 Abs. 3 der Ley Orgánica 1/1982, de protección civil del derecho al honor, a la intimidad personal y familiar y a la propia imagen (Ley Orgánica 1/1982 über den zivilrechtlichen Schutz des Rechts auf Ehre, des Rechts auf persönliche und familiäre Intimsphäre und des Rechts am eigenen Bild) vom 5. Mai 1982 (BOE vom 14. Mai 1982, S. 11196) ausgesprochen hätten, obwohl Real Madrid keinen Vermögensschaden geltend gemacht habe. Außerdem habe die Audiencia Provincial de Madrid (Provinzgericht Madrid) in ihrem vom Tribunal Supremo (Oberster...
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