Opinion of Advocate General Rantos delivered on 18 April 2024.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2024:326
Date18 April 2024
Celex Number62022CC0447
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

ATHANASIOS RANTOS

vom 18. April 2024(1)

Rechtssache C447/22 P

Republik Slowenien,

Europäische Kommission

gegen

Petra Flašker

„Rechtsmittel – Staatliche Beihilfen – Art. 107 und 108 AEUV – Von der Republik Slowenien vor dem Beitritt zur Europäischen Union gewährte Beihilfemaßnahmen – Vorprüfungsphase – Beschluss der Europäischen Kommission, mit dem das Nichtvorliegen einer staatlichen Beihilfe festgestellt wird – Keine Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens – Begriff ‚ernsthafte Schwierigkeiten‘ hinsichtlich des Vorliegens einer Beihilfe oder ihrer Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt – Umfang der Sorgfalts- und Ermittlungspflichten der Kommission – Beweislast der Partei, die sich auf das Vorliegen ‚ernsthafter Schwierigkeiten‘ beruft“






I. Einleitung

1. Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Republik Slowenien die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 27. April 2022, Flašker/Kommission (T‑392/20, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2022:245), mit dem dieses den Beschluss C(2020) 1724 final der Kommission vom 24. März 2020, der die Prüfung von Maßnahmen betreffend das Netzwerk öffentlicher Apotheken Lekarna Ljubljana im Hinblick auf die Vorschriften über staatliche Beihilfen in den Art. 107 und 108 AEUV abschließt (Sache SA.43546 [2016/FC] – Slowenien, im Folgenden: streitiger Beschluss), für nichtig erklärt hat, soweit er die von diesem „verwalteten Vermögenswerte“ betrifft.

2. Dieser Sache liegt eine Beschwerde zugrunde, die Petra Flašker (im Folgenden: PF), Inhaberin einer privaten Apotheke, im Jahr 2016 bei der Kommission einreichte und mit der sie beanstandete, es bestünden staatliche Beihilfen zugunsten von Lekarna Ljubljana, einer Konkurrentin, in Form insbesondere der Überlassung von Vermögenswerten unter Verwaltung, etwa Geschäftsräumen, zu Bedingungen, die nicht den Marktbedingungen entsprächen. Mit dem streitigen Beschluss schloss die Kommission die Prüfung der Beschwerde ab, ohne das vertiefte Prüfverfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV zu eröffnen. Die Kommission gab im Wesentlichen an, am Ende der Vorprüfungsphase nach Art. 108 Abs. 3 AEUV zu der Überzeugung gelangt zu sein, dass die in Rede stehenden Maßnahmen keine staatlichen Beihilfen darstellten und es sich, selbst unter der Annahme, die Überlassung von Vermögenswerten unter Verwaltung habe eine staatliche Beihilfe darstellen können, dann jedenfalls um eine „bestehende Beihilfe“ handele. Das mit der hiergegen erhobenen Nichtigkeitsklage befasste Gericht hat mit dem angefochtenen Urteil dem von PF geltend gemachten Klagegrund, die Kommission habe den streitigen Beschluss nicht rechtmäßig erlassen können, ohne das Prüfverfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV zu eröffnen, stattgegeben und den streitigen Beschluss für nichtig erklärt, soweit er die von Lekarna Ljubljana verwalteten Vermögenswerte betrifft.

3. Mit dem hiergegen eingelegten Rechtsmittel macht die Republik Slowenien, unterstützt durch die Kommission, im Rahmen ihrer ersten beiden Rechtsmittelgründe geltend, das angefochtene Urteil des Gerichts sei mit einem Rechtsfehler hinsichtlich der Auslegung und Anwendung des Art. 108 Abs. 2 und 3 AEUV, des Art. 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung (EU) 2015/1589(2) sowie des Begriffs „ernsthafte Schwierigkeiten“, die zu der Pflicht führen, das förmliche Prüfverfahren zu eröffnen, behaftet. Dem Ersuchen des Gerichtshofs entsprechend werden sich die vorliegenden Schlussanträge auf die Analyse dieser ersten beiden Rechtsmittelgründe konzentrieren.

4. Die vorliegende Rechtssache knüpft an zahlreiche andere Rechtssachen an, aus denen sich eine ständige Rechtsprechung der Unionsgerichte entwickelt hat, und fügt sich in eine Reihe von Rechtssachen ein, in denen jüngst Urteile zur Nichteröffnung des förmlichen Prüfverfahrens ergangen sind(3). Sie gibt dem Gerichtshof somit Gelegenheit, zum einen den Begriff „ernsthafte Schwierigkeiten“, deren Vorliegen am Ende einer Vorprüfung zu der Verpflichtung der Kommission führt, das förmliche Prüfverfahren zu eröffnen, und zum anderen die Beweislast und den Umfang der Sorgfalts- und Ermittlungspflichten der Kommission bei Sachverhaltsunklarheiten näher zu klären.

II. Rechtlicher Rahmen

A. Beitrittsvertrag und Beitrittsakte

5. Der Vertrag über den Beitritt der Republik Slowenien zur Europäischen Union(4) wurde von der Republik Slowenien am 16. April 2003 unterzeichnet und trat am 1. Mai 2004 in Kraft (im Folgenden: Beitrittsvertrag).

6. Gemäß Art. 1 Abs. 2 des Beitrittsvertrags sind die Aufnahmebedingungen und die Anpassungen der die Union begründenden Verträge in der Akte über die Bedingungen des Beitritts zur Europäischen Union und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge (im Folgenden: Beitrittsakte(5)) festgelegt.

7. Nach Art. 22 der Beitrittsakte, der ebenso wie deren andere Bestimmungen Bestandteil des Beitrittsvertrags ist, werden die in Anhang IV dieser Akte aufgeführten Maßnahmen unter den in jenem Anhang festgelegten Bedingungen angewandt.

8. Anhang IV Nr. 3 Abs. 1 der Beitrittsakte sieht vor:

„Die folgenden Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen, die in einem neuen Mitgliedstaat vor dem Tag des Beitritts eingeführt worden und auch nach diesem Tag noch anzuwenden sind, gelten als zum Tag des Beitritts bestehende Beihilfen im Sinne von Artikel [108 Absatz 1 AEUV]:

a) Beihilfemaßnahmen, die vor dem 10. Dezember 1994 eingeführt worden sind;

b) Beihilfemaßnahmen, die in der Anlage zu diesem Anhang aufgeführt sind;

c) Beihilfemaßnahmen, die vor dem Tag des Beitritts von der Kontrollbehörde für staatliche Beihilfen des neuen Mitgliedstaats überprüft und als mit dem Besitzstand vereinbar beurteilt wurden und gegen die die [Europäische] Kommission keine Einwände aufgrund schwerwiegender Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der Maßnahme mit dem Gemeinsamen Markt gemäß dem in Nummer 2 vorgesehenen Verfahren erhoben hat.

Nach dem Tag des Beitritts weiterhin anzuwendende Maßnahmen, die staatliche Beihilfen darstellen und nicht die vorstehend genannten Voraussetzungen erfüllen, sind als zum Tag des Beitritts für die Zwecke der Anwendung von Artikel [108 Absatz 3 AEUV] als neue Beihilfen anzusehen.“

B. Verordnung 2015/1589

9. In Art. 1 („Definitionen“) der Verordnung 2015/1589 heißt es:

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

a) ‚Beihilfen‘ alle Maßnahmen, die die Voraussetzungen des Artikels 107 Absatz 1 AEUV erfüllen;

b) ‚bestehende Beihilfen‘

i) unbeschadet … des Anhangs IV Nummer 3 und der Anlage zu diesem Anhang der Akte über den Beitritt der Tschechischen Republik, Estlands, Zyperns, Lettlands, Litauens, Ungarns, Maltas, Polens, Sloweniens und der Slowakei … alle Beihilfen, die vor Inkrafttreten des [AEU‑Vertrags] in dem entsprechenden Mitgliedstaat bestanden, also Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen, die vor Inkrafttreten [des AEU‑Vertrags] in dem entsprechenden Mitgliedstaat eingeführt worden sind und auch nach dessen Inkrafttreten noch anwendbar sind;

c) ‚neue Beihilfen‘ alle Beihilfen, also Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen, die keine bestehenden Beihilfen sind, einschließlich Änderungen bestehender Beihilfen;

…“

10. Art. 4 („Vorläufige Prüfung der Anmeldung und Beschlüsse der Kommission“) Abs. 2 bis 5 dieser Verordnung bestimmt:

„(2) Gelangt die Kommission nach einer vorläufigen Prüfung zu dem Schluss, dass die angemeldete Maßnahme keine Beihilfe darstellt, so stellt sie dies durch Beschluss fest.

(3) Stellt die Kommission nach einer vorläufigen Prüfung fest, dass die angemeldete Maßnahme, insoweit sie in den Anwendungsbereich des Artikels 107 Absatz 1 AEUV fällt, keinen Anlass zu Bedenken hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt gibt, so beschließt sie, dass die Maßnahme mit dem Binnenmarkt vereinbar ist (im Folgenden ‚Beschluss, keine Einwände zu erheben‘). In dem Beschluss wird angeführt, welche Ausnahmevorschrift des AEUV zur Anwendung gelangt ist.

(4) Stellt die Kommission nach einer vorläufigen Prüfung fest, dass die angemeldete Maßnahme Anlass zu Bedenken hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt gibt, so beschließt sie, das Verfahren nach Artikel 108 Absatz 2 AEUV zu eröffnen (im Folgenden ‚Beschluss über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens‘).

(5) Die Beschlüsse nach den Absätzen 2, 3 und 4 dieses Artikels werden innerhalb von zwei Monaten erlassen. …“

C. Verordnung (EG) Nr. 794/2004

11. Art. 4 („Anmeldung bestimmter Änderungen bestehender Beihilfen im vereinfachten Verfahren“) Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 794/2004(6) sieht vor, dass für den Zweck von Art. 1 Buchst. c der Verordnung 2015/1589, „die Änderung einer bestehenden Beihilfe jede Änderung [ist], außer einer Änderung rein formaler oder verwaltungstechnischer Art, die keinen Einfluss auf die Würdigung der Vereinbarkeit der Beihilfemaßnahme mit dem [Binnenm]arkt haben kann. Eine Erhöhung der Ausgangsmittel für eine bestehende Beihilfe bis zu 20 % wird jedoch nicht als Änderung einer bestehenden Beihilfe angesehen.“

III. Vorgeschichte des Rechtsstreits

12. Die Vorgeschichte des Rechtsstreits sowie der Inhalt des streitigen Beschlusses werden in den Rn. 2 bis 13 des angefochtenen Urteils dargestellt und lassen sich für die Zwecke der vorliegenden Schlussanträge wie folgt zusammenfassen.

13. Im Jahr 1979 wurde in Ljubljana (Slowenien), damals in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien, eine Organisation namens Lekarna Ljubljana o.p. gegründet, die mit der Arzneimittelversorgung durch Apotheken betraut war. Nach den Angaben der slowenischen Behörden wurde diese Organisation zur Erfüllung ihrer Aufgabe mit Vermögenswerten ausgestattet. Nach dem Vorbringen von PF, die derzeit freie Apothekerin ist, war diese Einrichtung eine „Organisation der Vereinten Arbeit“, die sich nicht wirtschaftlich am Markt betätigt und nicht die Fähigkeit besessen habe, Trägerin von Eigentumsrechten zu sein.

14. Nach der Unabhängigkeit Sloweniens wurde im Jahr 1991...

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