OZ v Lyoness Europe AG.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2023:455
Date08 June 2023
Docket NumberC-455/21
Celex Number62021CJ0455
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

8. Juni 2023(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verbraucherschutz – Richtlinie 93/13/EWG – Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen – Art. 2 Buchst. b – Begriff ‚Verbraucher‘ – Vertrag über die Aufnahme in ein Treuesystem, durch das beim Erwerb von Waren und Dienstleistungen bei Drittanbietern bestimmte finanzielle Vorteile erlangt werden können“

In der Rechtssache C‑455/21

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunalul Olt (Regionalgericht Olt, Rumänien) mit Entscheidung vom 27. Mai 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 23. Juli 2021, in dem Verfahren

OZ

gegen

Lyoness Europe AG

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter D. Gratsias, M. Ilešič, I. Jarukaitis und Z. Csehi (Berichterstatter),

Generalanwältin: T. Ćapeta,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– von OZ,

– der Lyoness Europe AG, vertreten durch R. Boanţă, M. Doibani, I. Palenciuc, I. Postolachi und I. Stănciulescu, Avocați,

– der rumänischen Regierung, vertreten durch E. Gane und L. Liţu als Bevollmächtigte,

– der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Greco, Avvocato dello Stato,

– der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Boitos und N. Ruiz García als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29).

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen OZ und der Lyoness Europe AG wegen bestimmter Klauseln in den Allgemeinen Bedingungen eines Vertrags über die Aufnahme in ein Treuesystem, durch das beim Erwerb von Waren und Dienstleistungen bei Drittanbietern bestimmte finanzielle Vorteile erlangt werden können.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 93/13

3 In den Erwägungsgründen 5, 6 und 10 der Richtlinie 93/13 heißt es:

„Die Verbraucher kennen im Allgemeinen nicht die Rechtsvorschriften, die in anderen Mitgliedstaaten für Verträge über den Kauf von Waren oder das Angebot von Dienstleistungen gelten. Diese Unkenntnis kann sie davon abhalten, Waren und Dienstleistungen direkt in anderen Mitgliedstaaten zu ordern.

Um die Errichtung des Binnenmarktes zu erleichtern und den Bürger in seiner Rolle als Verbraucher beim Kauf von Waren und Dienstleistungen mittels Verträgen zu schützen, für die die Rechtsvorschriften anderer Mitgliedstaaten gelten, ist es von Bedeutung, missbräuchliche Klauseln aus diesen Verträgen zu entfernen.

Durch die Aufstellung einheitlicher Rechtsvorschriften auf dem Gebiet missbräuchlicher Klauseln kann der Verbraucher besser geschützt werden. Diese Vorschriften sollten für alle Verträge zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern gelten. Von dieser Richtlinie ausgenommen sind daher insbesondere Arbeitsverträge sowie Verträge auf dem Gebiet des Erb‑, Familien- und Gesellschaftsrechts.“

4 Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 lautet:

„Zweck dieser Richtlinie ist die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über missbräuchliche Klauseln in Verträgen zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern.“

5 In Art. 2 der Richtlinie 93/13 heißt es:

„Im Sinne dieser Richtlinie bedeuten:

b) Verbraucher: eine natürliche Person, die bei Verträgen, die unter diese Richtlinie fallen, zu einem Zweck handelt, der nicht ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann;

c) Gewerbetreibender: eine natürliche oder juristische Person, die bei Verträgen, die unter diese Richtlinie fallen, im Rahmen ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit handelt, auch wenn diese dem öffentlich-rechtlichen Bereich zuzurechnen ist.“

6 Nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 „[ist e]ine Vertragsklausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde, … als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht.“

7 Art. 6 der Richtlinie 93/13 bestimmt:

„(1) Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind, und legen die Bedingungen hierfür in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften fest; sie sehen ferner vor, dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann.

(2) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit der Verbraucher den durch diese Richtlinie gewährten Schutz nicht verliert, wenn das Recht eines Drittlands als das auf den Vertrag anzuwendende Recht gewählt wurde und der Vertrag einen engen Zusammenhang mit dem Gebiet der Mitgliedstaaten aufweist.“

RomI-Verordnung

8 In den Erwägungsgründen 7 und 25 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (ABl. 2008, L 177, S. 6, im Folgenden: Rom‑I-Verordnung) heißt es:

„(7) Der materielle Anwendungsbereich und die Bestimmungen dieser Verordnung sollten mit der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen [(ABl. 2001, L 12, S. 1)] … im Einklang stehen.

(25) Die Verbraucher sollten dann durch Regelungen des Staates ihres gewöhnlichen Aufenthalts geschützt werden, von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden kann, wenn der Vertragsschluss darauf zurückzuführen ist, dass der Unternehmer in diesem bestimmten Staat eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt. …“

9 Art. 3 („Freie Rechtswahl“) Abs. 1 der Rom‑I-Verordnung sieht vor:

„Der Vertrag unterliegt dem von den Parteien gewählten Recht. …“

10 Gemäß Art. 6 („Verbraucherverträge“) der Rom‑I-Verordnung gilt:

„(1) Unbeschadet der Artikel 5 und 7 unterliegt ein Vertrag, den eine natürliche Person zu einem Zweck, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann (‚Verbraucher‘), mit einer anderen Person geschlossen hat, die in Ausübung ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit handelt (‚Unternehmer‘), dem Recht des Staates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern der Unternehmer

a) seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit in dem Staat ausübt, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder

b) eine solche Tätigkeit auf [irgendeine] Weise auf diesen Staat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Staates, ausrichtet

und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt.

(2) Ungeachtet des Absatzes 1 können die Parteien das auf einen Vertrag, der die Anforderungen des Absatzes 1 erfüllt, anzuwendende Recht nach Artikel 3 wählen. Die Rechtswahl darf jedoch nicht dazu führen, dass dem Verbraucher der Schutz entzogen wird, der ihm durch diejenigen Bestimmungen gewährt wird, von denen nach dem Recht, das nach Absatz 1 mangels einer Rechtswahl anzuwenden wäre, nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf.

…“

Rumänisches Recht

11 Die Richtlinie 93/13 wurde durch die Legea nr. 193/2000 privind clauzele abuzive din contractele încheiate între profesioniști și consumatori (Gesetz Nr. 193/2000 über missbräuchliche Klauseln in Verträgen zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern) vom 6. November 2000 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 560 vom 10. November 2000) in ihrer auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Gesetz Nr. 193/2000) in rumänisches Recht umgesetzt.

12 In Art. 1 des Gesetzes Nr. 193/2000 heißt es:

„(1) Verträge zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern über den Verkauf von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen müssen klare und unmissverständliche Vertragsklauseln enthalten, für deren Verständnis keine Spezialkenntnisse erforderlich sind.

(2) Bei Zweifeln hinsichtlich der Auslegung von Vertragsklauseln sind diese zugunsten des Verbrauchers auszulegen.

(3) Gewerbetreibenden ist es untersagt, in Verbraucherverträgen missbräuchliche Klauseln zu verwenden.“

13 Art. 2 des Gesetzes Nr. 193/2000 sieht vor:

„(1) Verbraucher ist jede natürliche Person oder Vereinigung natürlicher Personen, die bei einem unter dieses Gesetz fallenden Vertrag zu einem Zweck handelt, der außerhalb ihrer kaufmännischen, industriellen oder produzierenden, handwerklichen oder freiberuflichen Tätigkeit liegt.

(2) Gewerbetreibender ist jede [zur Ausübung eines Gewerbes] zugelassene natürliche oder juristische Person, die bei einem unter dieses Gesetz fallenden Vertrag im Rahmen ihrer kaufmännischen, industriellen oder produzierenden, handwerklichen oder freiberuflichen...

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