QB v European Commission.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2023:792
Date19 October 2023
Docket NumberC-88/22
Celex Number62022CJ0088
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

19. Oktober 2023(*)

„Rechtsmittel – Öffentlicher Dienst – Anhang VII des Statuts der Beamten der Europäischen Union – Art. 4 Abs. 1 Buchst. a zweiter Gedankenstrich – Bedienstete auf Zeit – Dienstbezüge – Auslandszulage – Voraussetzungen für die Gewährung – Hauptberufliche Tätigkeit – Dienst für einen anderen Staat“

In der Rechtssache C‑88/22 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 8. Februar 2022,

QB, zunächst vertreten durch R. Wardyn, Radca prawny, dann durch K. Staszkiewicz, Avocate,

Rechtsmittelführer,

andere Partei des Verfahrens:

Europäische Kommission, vertreten durch T. S. Bohr und A.‑C. Simon als Bevollmächtigte,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Richters J.‑C. Bonichot in Wahrnehmung der Aufgaben des Kammerpräsidenten, des Richters S. Rodin und der Richterin L. S. Rossi (Berichterstatterin),

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 4. Mai 2023

folgendes

Urteil

1 Mit seinem Rechtsmittel beantragt QB, ein Bediensteter auf Zeit der Europäischen Kommission, die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 8. Dezember 2021, QB/Kommission (T‑71/21, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2021:868), mit dem das Gericht seine Klage auf Aufhebung der Entscheidung des Amts für die Feststellung und Abwicklung individueller Ansprüche (PMO) der Kommission vom 6. April 2020, mit der dieses ihm die Auslandszulage versagte (im Folgenden: streitige Entscheidung), abgewiesen hat.

Rechtlicher Rahmen

2 Art. 4 Abs. 1 des Anhangs VII des Statuts der Beamten der Europäischen Union in der auf den vorliegenden Rechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Statut) bestimmt:

„Eine Auslandszulage in Höhe von 16 v. H. des Gesamtbetrags des Grundgehalts sowie der Haushaltszulage und der Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder, die dem Beamten gezahlt werden, wird gewährt:

a) Beamten, die

– die Staatsangehörigkeit des Staates, in dessen Hoheitsgebiet sie ihre Tätigkeit ausüben, nicht besitzen und nicht besessen haben und

– während eines sechs Monate vor ihrem Dienstantritt ablaufenden Zeitraums von fünf Jahren in dem europäischen Hoheitsgebiet des genannten Staates weder ihre ständige hauptberufliche Tätigkeit ausgeübt noch ihren ständigen Wohnsitz gehabt haben. Bei Anwendung dieser Vorschrift bleibt die Lage unberücksichtigt, die sich aus dem Dienst für einen anderen Staat oder eine internationale Organisation ergibt.

…“

Vorgeschichte des Rechtsstreits

3 Das Gericht legte die Vorgeschichte des Rechtsstreits in den Rn. 3 bis 13 des angefochtenen Urteils wie folgt dar:

„3 Das Europäische Netz für die Aus- und Fortbildung von Richtern und Staatsanwälten (im Folgenden: EJTN) ist eine gemeinnützige internationale Vereinigung nach belgischem Recht, die keine Rechtspersönlichkeit besitzt und ihren Sitz in Brüssel (Belgien) hat. Es bezweckt die Entwicklung von Fortbildungsprogrammen mit europäischer Dimension für die Mitglieder und das Personal der Gerichtsbarkeiten. Mitglieder des EJTN können diejenigen Organe der Mitgliedstaaten sein, die für die Fortbildung von Richtern und Staatsanwälten verantwortlich oder an der juristischen Fortbildung auf Unionsebene beteiligt sind.

4 Ab 2005 übte der Rechtsmittelführer polnischer Staatsangehörigkeit, QB, das Amt eines Richters in einem Rayongericht in Polen aus.

5 Ab März 2009 war der Rechtsmittelführer infolge einer Entscheidung des polnischen Justizministeriums an die Krajowa Szkoła Sądownictwa i Prokuratury (Staatliche Schule für Justiz und Staatsanwaltschaft, im Folgenden: KSSiP) abgeordnet. Letztere ist eine durch ein Gesetz geschaffene Zentralorganisation des Staates, die die Ausbildung der Mitglieder der ordentlichen Gerichte und der Staatsanwaltschaft in Polen sicherstellen soll.

6 Im Dezember 2013 schlossen das polnische Justizministerium und das EJTN eine Vereinbarung, in der dem von der KSSiP abgeordneten Rechtsmittelführer die Aufgaben des Generalsekretärs des EJTN übertragen wurden. Betreffend den Ort der Ausübung der Tätigkeit war vorgesehen, dass die Anwesenheit des Rechtsmittelführers nicht nur am Sitz der KSSiP in Polen, sondern auch in den Räumlichkeiten des EJTN in Brüssel und an jedem anderen Ort erforderlich wäre, an dem die Tätigkeiten des EJTN stattfänden oder an dem die Anwesenheit des Rechtsmittelführers als im Interesse des EJTN liegend angesehen würde.

7 Vom 1. Januar 2014 bis zum 31. Dezember 2019 war der Rechtsmittelführer außerdem als leitender Experte im Internationalen Zentrum für Zusammenarbeit der KSSiP tätig. Er war damit betraut, die ordnungsgemäße Zusammenarbeit und die Durchführung der sich aus dem Beitritt der KSSiP zum EJTN ergebenden Tätigkeiten sicherzustellen.

8 Der Rechtsmittelführer lebte vom 1. Januar 2014 bis zum 30. Juni 2019 mit seiner Familie in Brüssel. Nach Ablauf seines Mandats für das EJTN im Juni 2019 kehrten der Rechtsmittelführer und seine Familie nach Polen zurück.

9 Der Rechtsmittelführer trat am 1. Januar 2020 als Bediensteter auf Zeit in den Dienst der … Kommission ein.

10 Mit [der streitigen Entscheidung] gewährte das Amt für die Feststellung und Abwicklung individueller Ansprüche (PMO) dem Rechtsmittelführer nach dem Dienstantritt bei der Kommission die Expatriierungszulage, nicht aber die Auslandszulage.

13 Mit Entscheidung vom 3. November 2020 (im Folgenden: Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde) wies die zum Abschluss von Dienstverträgen ermächtigte Behörde … der Kommission [die] Beschwerde [des Rechtsmittelführers gegen die streitige Entscheidung] zurück. Sie stellte klar, dass sich der Bezugszeitraum von fünf Jahren vor Dienstantritt des Rechtsmittelführers bei der Kommission [(im Folgenden: Bezugszeitraum)] vom 1. Juli 2014 bis zum 30. Juni 2019 erstreckt habe. Während dieses gesamten Zeitraums habe der Rechtsmittelführer die Aufgaben des Generalsekretärs des EJTN in Brüssel ausgeübt. Der Rechtsmittelführer bestreite nicht die Schlussfolgerung des PMO, dass das EJTN nicht als eine internationale Organisation im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. a zweiter Gedankenstrich des Anhangs VII des Statuts angesehen werden könne. Der Rechtsmittelführer sei zwar im Bezugszeitraum den Anweisungen seiner Vorgesetzten der KSSiP unterworfen geblieben, aber dennoch durch eine eigenständige rechtliche Beziehung mit dem EJTN verbunden gewesen. Da der Rechtsmittelführer nicht in die Ständige Vertretung des polnischen Staates in Belgien eingegliedert gewesen sei, könne die Ausübung der Aufgaben des Generalsekretärs des EJTN nicht als Dienst für den polnischen Staat im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. a des Anhangs VII des Statuts angesehen werden, so dass seine hauptberufliche Tätigkeit während des Bezugszeitraums in Belgien ausgeübt worden sei. Da die Auslandszulage allein aufgrund des Kriteriums des Ortes der Ausübung der Haupttätigkeit verweigert werden könne, brauche das Kriterium des ständigen Wohnsitzes nicht geprüft zu werden.“

Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

4 Mit Klageschrift, die am 2. Februar 2021 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob QB Klage auf Aufhebung der streitigen Entscheidung.

5 QB stützte seine Klage auf drei Klagegründe. Mit dem ersten Klagegrund machte er eine Verletzung der Begründungspflicht geltend. Mit dem zweiten Klagegrund warf er der Kommission einen Verstoß gegen Art. 4 Abs. 1 Buchst. a des Anhangs VII des Statuts vor, bezogen auf, erstens, die Bestimmung seines ständigen Wohnsitzes während des Bezugszeitraums, zweitens, die Bestimmung seiner hauptberuflichen Tätigkeit während dieses Zeitraums und des Ortes ihrer Ausübung und, drittens, die Anwendbarkeit der in dieser Bestimmung vorgesehenen Ausnahme auf den „Dienst für einen anderen Staat“. Mit dem dritten Klagegrund machte er einen offensichtlichen Beurteilungsfehler bei der Anwendung der Voraussetzungen für die Gewährung der Auslandszulage geltend.

6 Mit dem angefochtenen Urteil wies das Gericht die Klage in vollem Umfang ab.

Anträge der Parteien im Rechtsmittelverfahren

7 Mit seinem Rechtsmittel beantragt QB,

– das angefochtene Urteil aufzuheben,

– die streitige Entscheidung und die Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde für nichtig zu erklären,

– hilfsweise, die Rechtssache an das Gericht zurückzuverweisen, und

– der Kommission die Kosten beider Rechtszüge aufzuerlegen.

8 Die Kommission beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen und QB zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

Zum Rechtsmittel

9 Der Rechtsmittelführer stützt sein Rechtsmittel auf zwei Gründe, mit denen er Rechtsfehler des Gerichts bei der Auslegung und Anwendung der Voraussetzungen für die Gewährung der Auslandszulage nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. a zweiter Gedankenstrich des Anhangs VII des Statuts rügt.

Zum ersten Rechtsmittelgrund

Vorbringen der Parteien

10 Mit dem ersten Rechtsmittelgrund wirft der Rechtsmittelführer dem Gericht vor, Art. 4 Abs. 1 Buchst. a zweiter Gedankenstrich des Anhangs VII des Statuts rechtsfehlerhaft ausgelegt und angewandt zu haben, indem es in den Rn. 63 bis 74 des angefochtenen Urteils entschieden habe, dass die hauptberufliche Tätigkeit des Rechtsmittelführers im Bezugszeitraum die des Generalsekretärs des EJTN gewesen sei und dass sich der Ort der Ausübung dieser Tätigkeit in Brüssel befunden habe.

11 Insoweit bestreitet der...

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