Skarb Państwa Rzeczypospolitej Polskiej reprezentowany przez Generalnego Dyrektora Dróg Krajowych i Autostrad contre TOTO SpA – Costruzioni Generali et Vianini Lavori SpA.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2021:808
Date06 October 2021
Docket NumberC-581/20
Celex Number62020CJ0581
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

6. Oktober 2021(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 – Art. 1 Abs. 1 – Zivil- und Handelssachen – Art. 35 – Einstweilige Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen – Rechtsbehelf, der auf einen zwischen einer öffentlichen Einrichtung und zwei privatrechtlichen Gesellschaften geschlossenen Vertrag über den Bau einer öffentlichen Schnellstraße gestützt ist – Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz betreffend die Strafzahlungen und Garantien, die sich aus dem Vertrag ergeben – Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bereits ergangene Entscheidung des in der Hauptsache zuständigen nationalen Gerichts“

In der Rechtssache C‑581/20

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Varhoven kasatsionen sad (Oberstes Kassationsgericht, Bulgarien) mit Entscheidung vom 28. Oktober 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 5. November 2020, in dem Verfahren

Skarb Państwa Rzeczypospolitej Polskiej reprezentowany przez Generalnego Dyrektora Dróg Krajowych i Autostrad

gegen

TOTO SpA – Costruzioni Generali,

Vianini Lavori SpA

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot, des Richters L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) sowie der Richter M. Safjan und N. Jääskinen,

Generalanwalt: A. Rantos,

Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. Juli 2021,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– des Skarb Państwa Rzeczypospolitej Polskiej reprezentowany przez Generalnego Dyrektora Dróg Krajowych i Autostrad, vertreten durch O. Temnikov, advokat,

– der TOTO SpA – Costruzioni Generali und Vianini Lavori SpA, vertreten durch Rechtsanwalt A. Valov im Beistand von V. P. Penkov, N. G. Tsvetanov, P. D. Tsanov, V. V. Tomova, B. H. Strizhlev und V. K. Semkov, advokati, sowie durch T. Stoeva, Vertreterin,

– der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna und S. Żyrek als Bevollmächtigte,

– der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Heller und I. Zaloguin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 9. September 2021

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 1 und Art. 35 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1).

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Skarb Państwa Rzeczypospolitej Polskiej reprezentowany przez Generalnego Dyrektora Dróg Krajowych i Autostrad (Staatskasse der Republik Polen, vertreten durch ihren Generaldirektor für Nationale Straßen und Autobahnen) (im Folgenden: Generaldirektor für Nationale Straßen) auf der einen sowie der TOTO SpA – Costruzioni Generali und der Vianini Lavori SpA (im Folgenden: Bauunternehmen), zwei Gesellschaften italienischen Rechts, auf der anderen Seite, wegen eines Vertrags über den Bau einer Schnellstraße in Polen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3 Die Erwägungsgründe 10, 33 und 34 der Verordnung Nr. 1215/2012 lauten:

„(10) Der sachliche Anwendungsbereich dieser Verordnung sollte sich, von einigen genau festgelegten Rechtsgebieten abgesehen, auf den wesentlichen Teil des Zivil- und Handelsrechts erstrecken; …

(33) Werden einstweilige Maßnahmen, einschließlich Sicherungsmaßnahmen, von einem Gericht angeordnet, das in der Hauptsache zuständig ist, so sollte ihr freier Verkehr nach dieser Verordnung gewährleistet sein. Allerdings sollten einstweilige Maßnahmen, einschließlich Sicherungsmaßnahmen, die angeordnet wurden, ohne dass der Beklagte vorgeladen wurde, nicht gemäß dieser Verordnung anerkannt und vollstreckt werden, es sei denn, die die Maßnahme enthaltende Entscheidung ist dem Beklagten vor der Vollstreckung zugestellt worden. Dies sollte die Anerkennung und Vollstreckung solcher Maßnahmen gemäß einzelstaatlichem Recht nicht ausschließen. Werden einstweilige Maßnahmen, einschließlich Sicherungsmaßnahmen, von einem Gericht eines Mitgliedstaats angeordnet, das für die Entscheidung in der Hauptsache nicht zuständig ist, sollte die Wirkung dieser Maßnahmen auf das Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats gemäß dieser Verordnung beschränkt werden.

(34) Um die Kontinuität zwischen dem … Übereinkommen [vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32)], der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 [des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1)] und dieser Verordnung zu wahren, sollten Übergangsvorschriften vorgesehen werden. Dies gilt auch für die Auslegung des … Übereinkommens … und der es ersetzenden Verordnungen durch den Gerichtshof der Europäischen Union.“

4 Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 sieht vor:

„Diese Verordnung ist in Zivil-und Handelssachen anzuwenden, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt. Sie gilt insbesondere nicht für Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten oder die Haftung des Staates für Handlungen oder Unterlassungen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Rechte (acta iure imperii).“

5 In Art. 2 Buchst. a der Verordnung heißt es:

„Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

a) …

Für die Zwecke von Kapitel III umfasst der Ausdruck ,Entscheidung‘ auch einstweilige Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen, die von einem nach dieser Verordnung in der Hauptsache zuständigen Gericht angeordnet wurden. Hierzu gehören keine einstweiligen Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen, die von einem solchen Gericht angeordnet wurden, ohne dass der Beklagte vorgeladen wurde, es sei denn, die Entscheidung, welche die Maßnahme enthält, wird ihm vor der Vollstreckung zugestellt.“

6 Kapitel II („Zuständigkeit“) Abschnitt 7 der Verordnung enthält Art. 25 Abs. 1, der wie folgt lautet:

„Haben die Parteien unabhängig von ihrem Wohnsitz vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats zuständig, es sei denn, die Vereinbarung ist nach dem Recht dieses Mitgliedstaats materiell ungültig. Dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats sind ausschließlich zuständig, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben. …

…“

7 Art. 35 in Kapitel II Abschnitt 10 der Verordnung Nr. 1215/2012 lautet:

„Die im Recht eines Mitgliedstaats vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen können bei den Gerichten dieses Mitgliedstaats auch dann beantragt werden, wenn für die Entscheidung in der Hauptsache das Gericht eines anderen Mitgliedstaats zuständig ist.“

Bulgarisches Recht

8 Art. 18 („Staatenimmunität“) des Grazhdanski protsesualen kodeks (Zivilprozessordnung) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: GPK) sieht vor:

„(1) Die bulgarischen Gerichte sind in folgenden Fällen zuständig für Klagen, bei denen ein ausländischer Staat oder eine Person mit gerichtlicher Immunität Partei ist:

1. bei Verzicht auf die gerichtliche Immunität;

2. bei Klagen, die auf vertragliche Beziehungen gestützt sind, wenn sich der Erfüllungsort in der Republik Bulgarien befindet;

3. bei Klagen auf Schadensersatz bei einem in der Republik Bulgarien begangenen Verstoß;

4. bei Klagen betreffend Rechte an Nachlassvermögen und erblosem Nachlass in der Republik Bulgarien;

5. in Rechtssachen, die in die ausschließliche Zuständigkeit der bulgarischen Gerichte fallen.

(2) Die Bestimmungen in Abs. 1 Nrn. 2, 3 und 4 gelten nicht für Rechtsgeschäfte und Handlungen, die in Ausübung eines Amtes von Personen bzw. im Zusammenhang mit der Ausübung von Hoheitsrechten ausländischer Staaten vorgenommen werden.“

9 Art. 389 („Vorläufiger Rechtsschutz nach Klageerhebung“) GPK bestimmt:

„(1) In jedem Stadium des Verfahrens bis zum Abschluss des Beweisverfahrens in der Berufungsinstanz kann der Kläger bei dem Gericht, bei dem die Rechtssache anhängig ist, den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Sicherung der Klageansprüche beantragen.

(2) Vorläufiger Rechtsschutz ist in Bezug auf alle Arten von Klagen zulässig.“

10 Art. 391 („Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung“) Abs. 1 GPK sieht vor:

„Eine einstweilige Anordnung zur Sicherung der Klageansprüche wird erlassen, wenn ohne sie die Durchsetzung der Ansprüche aus dem Urteil für den Kläger unmöglich oder erschwert wäre und wenn

1. sich die Klage auf überzeugende schriftliche Beweise stützt oder

2. eine Sicherheitsleistung in einer vom...

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