Societatea Civilă Profesională de Avocaţi AB & CD v Consiliul Judeţean Suceava and Others.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2024:13
Date11 January 2024
Docket NumberC-252/22
Celex Number62022CJ0252
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

11. Januar 2024(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Umwelt – Übereinkommen von Aarhus – Art. 9 Abs. 3 bis 5 – Zugang zu Gerichten – Rechtsanwaltsgesellschaft bürgerlichen Rechts – Rechtsbehelf zur Anfechtung von Verwaltungshandlungen – Zulässigkeit – Voraussetzungen nach nationalem Recht – Keine Beeinträchtigung der Rechte und berechtigten Interessen – Nicht übermäßig teure Gerichtsverfahren – Kostenverteilung – Kriterien“

In der Rechtssache C‑252/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Curtea de Apel Târgu-Mureş (Berufungsgericht Târgu-Mureş, Rumänien) mit Entscheidung vom 16. Februar 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 8. April 2022, in dem Verfahren

Societatea Civilă Profesională de Avocați AB & CD

gegen

Consiliul Judeţean Suceava,

Preşedintele Consiliului Judeţean Suceava,

Agenţia pentru Protecţia Mediului Bacău,

Consiliul Local al Comunei Pojorâta,

Beteiligter:

QP,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Lycourgos, der Richterin O. Spineanu-Matei, der Richter J.‑C. Bonichot (Berichterstatter) und S. Rodin sowie der Richterin L. S. Rossi,

Generalanwältin: L. Medina,

Kanzler: R. Șereș, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 4. Mai 2023,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– der Societatea Civilă Profesională de Avocaţi AB & CD, vertreten durch D. Ionescu, P. F. Plopeanu und I. Stoia, Avocaţi,

– des Preşedintele Consiliului Judeţean Suceava und des Consiliul Judeţean Suceava, vertreten durch Y. Beşleagă und V. Stoica, Avocaţi,

– der irischen Regierung, vertreten durch M. Browne, Chief State Solicitor, A. Joyce und M. Tierney als Bevollmächtigte im Beistand von B. Foley, D. McGrath, SC, und E. Burke-Murphy, BL,

– der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

– der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Gattinara und M. Ioan als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 13. Juli 2023

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 4 und Art. 9 Abs. 3 bis 5 des am 25. Juni 1998 in Aarhus unterzeichneten und mit dem Beschluss 2005/370/EG des Rates vom 17. Februar 2005 (ABl. 2005, L 124, S. 1) im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigten Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (im Folgenden: Übereinkommen von Aarhus).

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Societatea Civilă Profesională de Avocaţi AB & CD, einer Rechtsanwaltsgesellschaft rumänischen bürgerlichen Rechts (im Folgenden: AB & CD), und mehreren öffentlichen Einrichtungen über die Rechtmäßigkeit von Verwaltungshandlungen, die diese Einrichtungen im Hinblick auf den Bau einer Deponie in Pojorâta (Rumänien) vorgenommen haben, nämlich den Bauleitplan vom 16. September 2009 und die Baugenehmigung vom 3. Oktober 2012.

Rechtlicher Rahmen

Völkerrecht

3 Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) Nrn. 4 und 5 des Übereinkommens von Aarhus sieht vor:

„4. [Im Sinne dieses Übereinkommens] bedeutet ‚Öffentlichkeit‘ eine oder mehrere natürliche oder juristische Personen und, in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder der innerstaatlichen Praxis, deren Vereinigungen, Organisationen oder Gruppen;

5. bedeutet ‚betroffene Öffentlichkeit‘ die von umweltbezogenen Entscheidungsverfahren betroffene oder wahrscheinlich betroffene Öffentlichkeit oder die Öffentlichkeit mit einem Interesse daran; im Sinne dieser Begriffsbestimmung haben nichtstaatliche Organisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen und alle nach innerstaatlichem Recht geltenden Voraussetzungen erfüllen, ein Interesse.“

4 Art. 3 Abs. 8 des Übereinkommens von Aarhus lautet:

„Jede Vertragspartei stellt sicher, dass Personen, die ihre Rechte im Einklang mit diesem Übereinkommen ausüben, hierfür nicht in irgendeiner Weise bestraft, verfolgt oder belästigt werden. Diese Bestimmung berührt nicht die Befugnis innerstaatlicher Gerichte, in Gerichtsverfahren angemessene Gerichtskosten zu erheben.“

5 Art. 9 („Zugang zu Gerichten“) Abs. 2 bis 5 des Übereinkommens von Aarhus bestimmt:

„(2) Jede Vertragspartei stellt im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicher, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit,

a) die ein ausreichendes Interesse haben oder alternativ

b) eine Rechtsverletzung geltend machen, sofern das Verwaltungsprozessrecht einer Vertragspartei dies als Voraussetzung erfordert,

Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht und/oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle haben, um die materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen anzufechten, für die Artikel 6 und – sofern dies nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht vorgesehen ist und unbeschadet des Absatzes 3 – sonstige einschlägige Bestimmungen dieses Übereinkommens gelten.

Was als ausreichendes Interesse und als Rechtsverletzung gilt, bestimmt sich nach den Erfordernissen innerstaatlichen Rechts und im Einklang mit dem Ziel, der betroffenen Öffentlichkeit im Rahmen dieses Übereinkommens einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren. Zu diesem Zweck gilt das Interesse jeder nichtstaatlichen Organisation, welche die in Artikel 2 Nummer 5 genannten Voraussetzungen erfüllt, als ausreichend im Sinne des Buchstaben a. Derartige Organisationen gelten auch als Träger von Rechten, die im Sinne des Buchstaben b verletzt werden können.

(3) Zusätzlich und unbeschadet der in den Absätzen 1 und 2 genannten Überprüfungsverfahren stellt jede Vertragspartei sicher, dass Mitglieder der Öffentlichkeit, sofern sie etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen, Zugang zu verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren haben, um die von Privatpersonen und Behörden vorgenommenen Handlungen und begangenen Unterlassungen anzufechten, die gegen umweltbezogene Bestimmungen ihres innerstaatlichen Rechts verstoßen.

(4) Zusätzlich und unbeschadet des Absatzes 1 stellen die in den Absätzen 1, 2 und 3 genannten Verfahren angemessenen und effektiven Rechtsschutz und, soweit angemessen, auch vorläufigen Rechtsschutz sicher; diese Verfahren sind fair, gerecht, zügig und nicht übermäßig teuer. …

(5) Um die Effektivität dieses Artikels zu fördern, stellt jede Vertragspartei sicher, dass der Öffentlichkeit Informationen über den Zugang zu verwaltungsbehördlichen und gerichtlichen Überprüfungsverfahren zur Verfügung gestellt werden; ferner prüft jede Vertragspartei die Schaffung angemessener Unterstützungsmechanismen, um Hindernisse finanzieller und anderer Art für den Zugang zu Gerichten zu beseitigen oder zu verringern.“

Rumänisches Recht

6 Art. 56 der Legea nr. 134/2010 privind Codul de procedură civilă (Gesetz Nr. 134/2010 über die Zivilprozessordnung) (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 247 vom 10. April 2015) in seiner im Ausgangsverfahren geltenden Fassung (im Folgenden: Zivilprozessordnung) bestimmt:

„(1) Jede Person, die im Besitz der bürgerlichen Rechte ist, kann Partei des Verfahrens sein.

(2) Vereinigungen, Gesellschaften oder andere Einheiten ohne Rechtspersönlichkeit sind jedoch parteifähig, wenn sie rechtmäßig gegründet worden sind.

…“

7 In Art. 451 der Zivilprozessordnung heißt es:

„(1) Die Kosten umfassen die Stempelsteuer und den Gerichtsstempel, die Honorare der gemäß Art. 330 Abs. 3 bestellten Anwälte, Sachverständigen und Fachleute, die Reisekosten der Zeugen und die ihnen durch Anwesenheit in der Verhandlung entstandenen Verluste, die Beförderungskosten und gegebenenfalls die Unterbringungskosten sowie alle sonstigen Aufwendungen, die für den ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens erforderlich sind.

(2) Das Gericht kann – selbst von Amts wegen – den Anteil der Anwaltshonorare an den Kosten auch unter Berücksichtigung der Umstände der Rechtssache und unter Angabe von Gründen herabsetzen, wenn diese Kosten offensichtlich nicht in angemessenem Verhältnis zum Streitwert oder zur Komplexität der Rechtssache oder zu der von dem Anwalt geleisteten Tätigkeit stehen. Die vom Gericht getroffene Maßnahme hat keine Auswirkungen auf die Beziehung zwischen dem Anwalt und seinem Mandanten.

(4) Die Kosten für die Begleichung der Stempelsteuer und des Gerichtsstempels sowie die Begleichung der den Zeugen nach Absatz 1 geschuldeten Beträge dürfen allerdings nicht herabgesetzt werden.“

8 Art. 452 der Zivilprozessordnung bestimmt:

„Die Partei, die die Verurteilung zur Tragung der Kosten beantragt, hat deren Existenz und Umfang spätestens zum Abschluss der Erörterung in der Sache entsprechend den gesetzlichen Voraussetzungen nachzuweisen.“

9 In Art. 453 der Zivilprozessordnung heißt es:

„(1) Die unterliegende Partei trägt auf Antrag der obsiegenden Partei deren Kosten.

(2) Wird dem Antrag nur teilweise stattgegeben, so bestimmt das Gericht, inwieweit jede Partei zur Tragung der Kosten verurteilt werden kann. Gegebenenfalls kann das Gericht die Kosten gegeneinander aufheben.“

10 Art. 1 der Legea contenciosului administrativ nr. 554/2004 (Gesetz Nr. 554/2004 über das verwaltungsgerichtliche Verfahren) (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 1154 vom 7. Dezember 2004) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Gesetz über das verwaltungsgerichtliche Verfahren) sieht vor:

„(1) Wer sich durch eine Behörde aufgrund einer Verwaltungshandlung oder der Nichtbearbeitung eines Antrags in der gesetzlich festgelegten Frist in seinen Rechten oder in einem berechtigten Interesse verletzt fühlt, kann sich an das zuständige Verwaltungsgericht wenden, um die Nichtigerklärung der Handlung, die Anerkennung des geltend gemachten Rechts oder berechtigten Interesses und den...

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