X v Raad van bestuur van de Sociale verzekeringsbank.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2024:184
Date29 February 2024
Docket NumberC-549/22
Celex Number62022CJ0549
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

29. Februar 2024(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Assoziationsabkommen EG‑Algerien – Soziale Sicherheit der algerischen Wanderarbeitnehmer und ihrer Hinterbliebenen – Transfer von Leistungen nach Algerien zu den nach den Rechtsvorschriften des Schuldnermitgliedstaats geltenden Sätzen – Hinterbliebenenleistungen – Nationale Regelung, die das Wohnstaatsprinzip anwendet – Wohnortklausel, die die Kürzung der Hinterbliebenenleistungen für die Leistungsempfänger mit Wohnort in Algerien enthält“

In der Rechtssache C‑549/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Centrale Raad van Beroep (Berufungsgericht in Sachen der sozialen Sicherheit und des öffentlichen Dienstes, Niederlande) mit Entscheidung vom 15. August 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 18. August 2022, in dem Verfahren

X

gegen

Raad van bestuur van de Sociale verzekeringsbank,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richter F. Biltgen, N. Wahl und J. Passer sowie der Richterin M. L. Arastey Sahún (Berichterstatterin),

Generalanwalt: A. M. Collins,

Kanzler: D. Dittert, Referatsleiter,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 28. Juni 2023,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– des Raad van bestuur van de Sociale verzekeringsbank, vertreten durch C. Speear, W. van den Berg und M. Van der Ent-Eltink als Berater,

– der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und H. S. Gijzen als Bevollmächtigte,

– der Europäischen Kommission, vertreten durch B.‑R. Killmann, D. Martin und F. van Schaik als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 12. Oktober 2023

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 68 Abs. 4 des Europa-Mittelmeer-Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Demokratischen Volksrepublik Algerien andererseits (ABl. 2005, L 265, S. 2, im Folgenden: Assoziationsabkommen EG-Algerien).

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen X und dem Raad van bestuur van de Sociale verzekeringsbank (Verwaltungsrat der Sozialversicherungsanstalt, Niederlande) (im Folgenden: SVB) über die Kürzung der an X gezahlten Hinterbliebenenleistung aufgrund ihres Wohnsitzes in Algerien.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Assoziationsabkommen EG-Algerien

3 Das Assoziationsabkommen EG-Algerien wurde in Valencia (Spanien) am 22. April 2002 unterzeichnet und im Namen der Europäischen Gemeinschaft durch den Beschluss 2005/690/EG des Rates vom 18. Juli 2005 (ABl. 2005, L 265, S. 1) genehmigt. Gemäß seinem Art. 110 Abs. 1 trat es, wie sich aus der im Amtsblatt der Europäischen Union (ABl. 2005, L 292, S. 10) veröffentlichten Mitteilung ergibt, am 1. September 2005 in Kraft. Darüber hinaus ersetzte es gemäß Art. 110 Abs. 2 mit seinem Inkrafttreten das am 26. April 1976 in Algier (Algerien) unterzeichnete Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Demokratischen Volksrepublik Algerien, das im Namen der Gemeinschaft durch die Verordnung (EWG) Nr. 2210/78 des Rates vom 26. September 1978 (ABl. 1978, L 263, S. 1, im Folgenden: Kooperationsabkommen EWG‑Algerien) genehmigt worden war.

4 Art. 1 des Assoziationsabkommens EG-Algerien bestimmt:

„(1) Zwischen der Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Algerien andererseits wird eine Assoziation gegründet.

(2) Ziel dieses Abkommens ist es,

– einen geeigneten Rahmen für den politischen Dialog zwischen den Vertragsparteien zu schaffen, der die Vertiefung ihrer Beziehungen und ihrer Zusammenarbeit in allen Bereichen ermöglicht, die sie für sachdienlich erachten;

– den Handel zu fördern, die Entwicklung ausgewogener wirtschaftlicher und sozialer Beziehungen zwischen den Vertragsparteien zu gewährleisten und die Voraussetzungen für die schrittweise Liberalisierung des Waren‑, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs zu schaffen;

– den Austausch von Menschen zu fördern, insbesondere im Rahmen von Verwaltungsverfahren;

– die Integration der Maghreb-Länder untereinander zu unterstützen und zu diesem Zweck den Handel und die Zusammenarbeit innerhalb des Maghreb sowie zwischen diesem und der Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten zu fördern;

– die wirtschaftliche, soziale, kulturelle und finanzielle Zusammenarbeit zu fördern.“

5 In Art. 68 des Abkommens heißt es:

„(1) Vorbehaltlich der folgenden Absätze gilt für die algerischen Arbeitnehmer und die mit ihnen zusammenlebenden Familienangehörigen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit eine Regelung, die keine auf der Staatsangehörigkeit beruhende Diskriminierung gegenüber den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten, in denen sie beschäftigt sind, beinhaltet.


Der Begriff der sozialen Sicherheit umfasst die Zweige der Sozialversicherung, die für Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft, für Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten, Altersruhegeld, Hinterbliebenenrenten, Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, Sterbegeld, Arbeitslosenunterstützung und Familienbeihilfen zuständig sind.

Jedoch darf diese Bestimmung nicht dazu führen, dass die anderen Koordinierungsregeln, die die auf Artikel [48] des [AEU]-Vertrages gestützte Gemeinschaftsregelung vorsieht, in anderer Weise angewandt werden als unter den Bedingungen des Artikels 70 dieses Abkommens.

(4) Die betreffenden Arbeitnehmer haben die Möglichkeit, Alters- und Hinterbliebenenrenten und Renten bei Arbeitsunfall, Berufskrankheit oder Erwerbsunfähigkeit, wenn diese durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit verursacht wurde, zu den nach den Rechtsvorschriften des Schuldnermitgliedstaates bzw. der Schuldnermitgliedstaaten geltenden Sätzen frei nach Algerien zu transferieren, mit Ausnahme beitragsunabhängiger Sonderleistungen.

…“

6 Art. 70 des Abkommens bestimmt:

„(1) Spätestens am Ende des ersten Jahres nach Inkrafttreten dieses Abkommens erlässt der Assoziationsrat die Bestimmungen zur Gewährleistung der Anwendung der in Artikel 68 genannten Grundsätze.

(2) Der Assoziationsrat legt die Modalitäten für eine Zusammenarbeit der Verwaltungen fest, die die für die Anwendung der in Absatz 1 genannten Bestimmungen erforderlichen Verwaltungs- und Kontrollgarantien bietet.“

Entwurf eines Beschlusses des Assoziationsrats

7 Der Beschluss 2010/699/EU des Rates vom 21. Oktober 2010 über den Standpunkt der Europäischen Union im Assoziationsrat, der gemäß dem Europa-Mittelmeer-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Demokratischen Volksrepublik Algerien andererseits eingerichtet worden ist, zur Annahme von Bestimmungen über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2010, L 306, S. 14), enthält im Anhang einen Entwurf eines Beschlusses des Assoziationsrats (im Folgenden: Entwurf eines Beschlusses des Assoziationsrats), mit dem Art. 70 des Abkommens umgesetzt wird.


8 Dieser Entwurf wurde vom Rat der Europäischen Union auf der Grundlage des Entwurfs eines Beschlusses des Assoziationsrats angenommen, der dem Vorschlag der Europäischen Kommission vom 12. Dezember 2007 (KOM[2007] 790 endgültig) für einen Beschluss des Rates beigefügt ist.

9 Art. 1 Abs. 1 des Entwurfs eines Beschlusses des Assoziationsrats bestimmt:

„Im Sinne dieses Beschlusses bezeichnet der Ausdruck

i) „exportierbare Leistungen“

i) in Bezug auf die Mitgliedstaaten:

– Hinterbliebenenrenten,

im Sinne der [Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2004, L 166, S. 1, und Berichtigung ABl. 2004, L 200, S. 1)], mit Ausnahme der in Anhang X der Verordnung genannten besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen;

…“

10 In Art. 2 (Persönlicher Geltungsbereich) des Entwurfs heißt es:

„Dieser Beschluss gilt für:

a) Arbeitnehmer, die algerische Staatsangehörige sind, rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats beschäftigt sind oder waren und für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Hinterbliebenen,

…“

11 Art. 4 („Aufhebung der Wohnortklauseln“) sieht in Abs. 1 vor:

„Exportierbare Leistungen im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 Buchstabe i, auf die die Personen im Sinne des Artikels 2 Buchstaben a und c Anspruch haben, dürfen nicht deshalb gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, weil der Leistungsempfänger


i) für die Zwecke einer Leistungsgewährung gemäß den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet Algeriens hat oder

ii) für die Zwecke...

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