YQ v Ředitelství silnic a dálnic ČR.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2023:770
Date12 October 2023
Docket NumberC-57/22
Celex Number62022CJ0057
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)

12. Oktober 2023(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Sozialpolitik – Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer – Arbeitszeitgestaltung – Richtlinie 2003/88/EG – Art. 7 Abs. 1 – Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub – Rechtswidrig entlassener und durch eine Gerichtsentscheidung wieder in seine Funktionen eingesetzter Arbeitnehmer – Ausschluss des Anspruchs auf den nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub für den Zeitraum zwischen der Entlassung und der Wiederaufnahme der Beschäftigung – Zeitraum zwischen dem Tag der Entlassung und dem Tag der Wiederaufnahme der Beschäftigung“

In der Rechtssache C‑57/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Nejvyšší soud (Oberstes Gericht, Tschechische Republik) mit Entscheidung vom 6. Dezember 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 28. Januar 2022, in dem Verfahren

YQ

gegen

Ředitelství silnic a dálnic ČR

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Richters P. G. Xuereb in Wahrnehmung der Aufgaben des Kammerpräsidenten sowie des Richters A. Kumin und der Richterin I. Ziemele (Berichterstatterin),

Generalanwalt: J. Richard de la Tour,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– der YQ, vertreten durch Z. Odehnal, Advokát,

– der Ředitelství silnic a dálnic ČR, vertreten durch L. Smejkal, Advokát,

– der Europäischen Kommission, vertreten durch P. Němečková und D. Recchia als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. 2003, L 299, S. 9).

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen YQ und dem Ředitelství silnic a dálnic ČR (Direktion für Straßen und Autobahnen der Tschechischen Republik, im Folgenden: ŘSD) wegen dessen Weigerung, YQ eine finanzielle Vergütung für nicht genommene Tage des bezahlten Jahresurlaubs zu gewähren.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3 Art. 7 („Jahresurlaub“) der Richtlinie 2003/88 bestimmt:

„(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind.

(2) Der bezahlte Mindestjahresurlaub darf außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden.“

Tschechisches Recht

4 § 69 des Zákon č. 262/2006 Sb., zákoník práce (Gesetz Nr. 262/2006 über das Arbeitsgesetzbuch) in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: Arbeitsgesetzbuch) lautet:

„(1) Wenn ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer unwirksam gekündigt oder das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer mit sofortiger Wirkung oder während der Probezeit unwirksam beendet hat und der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber unverzüglich schriftlich mitteilt, dass er auf seiner Weiterbeschäftigung bestehe, besteht dessen Arbeitsverhältnis fort und der Arbeitgeber ist verpflichtet, ihm einen Lohn- oder Gehaltsausgleich zu zahlen. Der Ausgleich in Höhe des Durchschnittsverdiensts ist dem Arbeitnehmer nach Satz 1 von dem Zeitpunkt an zu zahlen, an dem er dem Arbeitgeber mitteilt, dass er auf der Weiterbeschäftigung bestehe, bis zu dem Zeitpunkt, an dem der Arbeitgeber ihm die Fortsetzung der Arbeit gestattet oder das Arbeitsverhältnis wirksam beendet wird.

(2) Das Gericht kann auf Verlangen des Arbeitgebers den Lohn- oder Gehaltsausgleich für den weiteren Zeitraum angemessen herabsetzen, wenn die Gesamtdauer, für die der Arbeitnehmer einen Lohn- oder Gehaltsausgleich zu erhalten hat, sechs Monate übersteigt; das Gericht berücksichtigt in seiner Entscheidung insbesondere die Frage, ob der Arbeitnehmer in der Zwischenzeit anderweitig beschäftigt war, welche Arbeit er dort verrichtet und welches Entgelt er erhalten hat oder aus welchem Grund er keine Arbeit aufgenommen hat.“

Das Ausgangsverfahren und die Vorabentscheidungsfrage

5 YQ, die im Rahmen eines am 23. Juni 2009 geschlossenen Arbeitsvertrags beim ŘSD beschäftigt war, erhielt am 23. Oktober 2013 ein Kündigungsschreiben.

6 Nachdem diese Kündigung durch am 10. Januar 2017 rechtskräftig gewordenes Urteil des Krajský soud v Brně (Regionalgericht Brno [Brünn], Tschechische Republik) vom 20. Dezember 2016 für nichtig erklärt worden war, nahm YQ ihre Arbeit beim ŘSD gemäß ihrem Arbeitsvertrag wieder auf.

7 Das vorlegende Gericht stellt fest, dass YQ, die ihren Arbeitgeber schriftlich über ihren Arbeitswillen informiert hatte, im Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis zum 10. Januar 2017 von diesem keine Arbeit zugewiesen bekam.

8 Nach der Wiederaufnahme ihrer Beschäftigung beantragte YQ beim ŘSD, in den Monaten von Juli bis September 2017 ihren nicht genommenen Jahresurlaub aus dem Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis zum 10. Januar 2017 zu nehmen. Der ŘSD lehnte dies ab, weil YQ während dieses Zeitraums nicht gearbeitet habe. Trotz der Ablehnung erschien YQ im Juli 2017 an den Tagen, für die sie Urlaub beantragt hatte, nicht an ihrem Arbeitsplatz. Daraufhin entließ ihr Arbeitgeber sie am 9. August 2017 wegen unerlaubten Fernbleibens.

9 YQ verklagte den ŘSD am Městský soud v Brně (Stadtgericht Brno, Tschechische Republik) auf Zahlung von 55 552 tschechischen Kronen (CZK) zuzüglich Verzugszinsen als Lohnausgleich für die Urlaubstage aus dem Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis zum 10. Januar 2017. Die Klage wurde mit Urteil vom 4. Oktober 2019 abgewiesen. Auf die von YQ eingelegte Berufung bestätigte der Krajský soud v Brně (Regionalgericht Brno) diese Entscheidung mit Urteil vom 6. Oktober 2020.

10 Das vorlegende Gericht ist mit einem Rechtsmittel gegen dieses Urteil befasst.

11 Es führt aus, dass der Zeitraum, in dem die Kündigung des Arbeitnehmers Gegenstand einer gerichtlichen Auseinandersetzung sei, nach dem anwendbaren nationalen Recht durch Sondervorschriften in den §§ 69 bis 72 des Arbeitsgesetzbuchs geregelt werde, aus denen hervorgehe, dass der Arbeitnehmer im betreffenden Zeitraum weder einen Anspruch auf Lohnausgleich bei Arbeitsverhinderung noch auf Lohnausgleich für nicht genommenen Urlaub habe.

12 Für den Fall, dass die Kündigung des Arbeitsverhältnisses für unwirksam befunden worden sei, ergebe sich aus der nationalen Rechtsprechung, dass der Arbeitnehmer während der gesamten Dauer des Gerichtsverfahrens betreffend die Wirksamkeit dieser Kündigung Anspruch auf Lohnausgleich in Höhe seines Durchschnittsverdiensts habe, wenn er den Arbeitgeber schriftlich über seine Absicht informiert habe, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, und ihm keine Arbeit zugewiesen worden sei. Nach Ablauf eines Zeitraums von sechs Monaten könne das nationale Gericht eine Kürzung des Lohnausgleichs nach dem anwendbaren Recht nur dann vornehmen, wenn nach Würdigung aller Umstände des Falles festgestellt werde, dass der Arbeitnehmer eine Arbeit für einen anderen Arbeitgeber zu Bedingungen aufgenommen habe oder hätte aufnehmen können, die grundsätzlich gleichwertig oder sogar günstiger seien als diejenigen, die er bei Ausübung seiner Arbeit im Rahmen des Arbeitsvertrags gehabt hätte, wenn der Arbeitgeber...

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