Gemeente Dinkelland v Ontvanger van de Belastingdienst/Grote ondernemingen, kantoor Zwolle.

JurisdictionEuropean Union
Date22 February 2024
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

22. Februar 2024(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobene Steuern – Verpflichtung zur Erstattung der Mehrwertsteuer und zur Zahlung von Zinsen auf den Mehrwertsteuerbetrag – Erstattung aufgrund von Fehlern in der Buchführung des Steuerpflichtigen – Erstattung aufgrund der rückwirkenden Änderung der Modalitäten für die Berechnung der abzugsfähigen Mehrwertsteuer auf die Gemeinkosten des Steuerpflichtigen“

In der Rechtssache C‑674/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Rechtbank Gelderland (Bezirksgericht Gelderland, Niederlande) mit Entscheidung vom 26. Oktober 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 31. Oktober 2022, in dem Verfahren

Gemeente Dinkelland

gegen

Ontvanger van de Belastingdienst/Grote ondernemingen, kantoor Zwolle

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Lycourgos (Berichterstatter), der Richterin O. Spineanu-Matei, der Richter J.‑C. Bonichot und S. Rodin sowie der Richterin L. S. Rossi,

Generalanwalt: G. Pitruzzella,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– der Gemeente Dinkelland, vertreten durch Steuerberater D. van der Zijden,

– der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und J. M. Hoogveld als Bevollmächtigte,

– der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Jokubauskaitė und W. Roels als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Unionsrechts in Bezug auf die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Zinsen auf Mehrwertsteuerbeträge zu zahlen, die unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben wurden und erstattet werden.

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Gemeente Dinkelland (Gemeinde Dinkelland, Niederlande) und dem Ontvanger van de Belastingdienst/Grote ondernemingen, kantoor Zwolle (Steuereinnehmer/Große Unternehmen, Dienststelle Zwolle) (im Folgenden: Steuerverwaltung) wegen der Weigerung der Steuerverwaltung, der Gemeinde Dinkelland Zinsen auf einen ihr erstatteten Mehrwertsteuerbetrag zu zahlen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3 Art. 9 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie) lautet:

„(1) Als ‚Steuerpflichtiger‘ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.

Als ‚wirtschaftliche Tätigkeit‘ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.

(2) Neben den in Absatz 1 genannten Personen gilt als Steuerpflichtiger jede Person, die gelegentlich ein neues Fahrzeug liefert, das durch den Verkäufer oder durch den Erwerber oder für ihre Rechnung an den Erwerber nach einem Ort außerhalb des Gebiets eines Mitgliedstaats, aber im Gebiet der Gemeinschaft versandt oder befördert wird.“

4 Art. 168 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet wie folgt:

„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:

a) die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden;

b) die Mehrwertsteuer, die für Umsätze geschuldet wird, die der Lieferung von Gegenständen beziehungsweise dem Erbringen von Dienstleistungen gemäß Artikel 18 Buchstabe a sowie Artikel 27 gleichgestellt sind;

c) die Mehrwertsteuer, die für den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen gemäß Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i geschuldet wird;

d) die Mehrwertsteuer, die für dem innergemeinschaftlichen Erwerb gleichgestellte Umsätze gemäß den Artikeln 21 und 22 geschuldet wird;

e) die Mehrwertsteuer, die für die Einfuhr von Gegenständen in diesem Mitgliedstaat geschuldet wird oder entrichtet worden ist.“

5 Art. 173 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:

„(1) Soweit Gegenstände und Dienstleistungen von einem Steuerpflichtigen sowohl für Umsätze verwendet werden, für die ein Recht auf Vorsteuerabzug gemäß den Artikeln 168, 169 und 170 besteht, als auch für Umsätze, für die kein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, darf nur der Teil der Mehrwertsteuer abgezogen werden, der auf den Betrag der erstgenannten Umsätze entfällt.

Dieser Pro-rata-Satz des Vorsteuerabzugs wird … für die Gesamtheit der von dem Steuerpflichtigen bewirkten Umsätze festgelegt.

(2) Die Mitgliedstaaten können folgende Maßnahmen ergreifen:

c) dem Steuerpflichtigen gestatten oder ihn verpflichten, den Vorsteuerabzug je nach der Zuordnung der Gesamtheit oder eines Teils der Gegenstände oder Dienstleistungen vorzunehmen;

…“

6 Art. 183 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:

„Übersteigt der Betrag der abgezogenen Vorsteuer den Betrag der für einen Steuerzeitraum geschuldeten Mehrwertsteuer, können die Mitgliedstaaten den Überschuss entweder auf den folgenden Zeitraum vortragen lassen oder nach den von ihnen festgelegen Einzelheiten erstatten.

Die Mitgliedstaaten können jedoch festlegen, dass geringfügige Überschüsse weder vorgetragen noch erstattet werden.“

7 Art. 203 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:

„Die Mehrwertsteuer wird von jeder Person geschuldet, die diese Steuer in einer Rechnung ausweist.“

8 Art. 250 Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:

„Jeder Steuerpflichtige hat eine Mehrwertsteuererklärung abzugeben, die alle für die Festsetzung des geschuldeten Steuerbetrags und der vorzunehmenden Vorsteuerabzüge erforderlichen Angaben enthält, gegebenenfalls einschließlich des Gesamtbetrags der für diese Steuer und Abzüge maßgeblichen Umsätze sowie des Betrags der steuerfreien Umsätze, soweit dies für die Feststellung der Steuerbemessungsgrundlage erforderlich ist.“

Niederländisches Recht

9 Art. 28c der Invorderingswet 1990 (Beitreibungsgesetz 1990) (im Folgenden: Beitreibungsgesetz) sieht vor:

„(1) Sofern der Steuereinnehmer aufgrund einer Entscheidung des Steuerinspektors verpflichtet ist, Steuern zu erstatten, weil die betreffende Steuer unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben worden ist, werden dem Steuerschuldner auf Antrag Beitreibungszinsen gezahlt.

(2) Die Beitreibungszinsen nach Abs. 1 werden linear für den Zeitraum berechnet, der am Tag nach der Entrichtung, der Begleichung oder der Abführung der Steuer beginnt und am Tag vor dem Erstattungszeitpunkt endet, und haben den dem Steuerschuldner zu erstattenden oder erstatteten Betrag zur Bemessungsgrundlage. Abweichend von Satz 1 werden Beitreibungszinsen nach Abs. 1 nicht für die Tage berechnet, für die gemäß Kapitel VA der Algemene wet inzake rijksbelastingen [(Allgemeines Gesetz über die staatlichen Steuern)] Steuerzinsen oder gemäß Art. 28b Beitreibungszinsen gezahlt werden.

…“

10 Nach Art. 30ha der Algemene wet inzake rijksbelastingen (Allgemeines Gesetz über die staatlichen Steuern) werden, wenn innerhalb von acht Wochen nach Eingang des Erstattungsantrags kein Erstattungsbescheid ergeht, Zinsen für den Zeitraum gewährt, der acht Wochen nach Eingang des Erstattungsantrags beginnt und 14 Tage nach dem Datum des Erstattungsbescheids endet. Steht die Erstattung im Zusammenhang mit einer Stellungnahme der Steuerverwaltung zur Zahlung der durch Erklärung entrichteten Steuer, werden auch Zinsen für den Zeitraum gezahlt, der am Tag nach der Zahlung beginnt und 14 Tage nach dem Datum des Erstattungsbescheids endet. In den anderen Fällen sind keine Zinsen zu zahlen.

11 Die Wet...

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