Urteile nº T-306/01 of TGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften, September 21, 2005

Resolution DateSeptember 21, 2005
Issuing OrganizationTGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften
Decision NumberT-306/01

„Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen gegen Personen und Organisationen, die mit Osama bin Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk und den Taliban in Verbindung stehen – Zuständigkeit der Gemeinschaft – Einfrieren von Geldern – Grundrechte – Ius cogens – Gerichtliche Nachprüfung – Nichtigkeitsklage“

In der Rechtssache T‑306/01

Ahmed Ali Yusuf, wohnhaft in Spånga (Schweden),

Al Barakaat International Foundation mit Sitz in Spånga,

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte L. Silbersky und T. Olsson,

Kläger,

gegen

Rat der Europäischen Union, vertreten durch M. Vitsentzatos, I. Rådestad, E. Karlsson und M. Bishop als Bevollmächtigte,

und

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch A. Van Solinge, J. Enegren und C. Brown als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte,

unterstützt durch

Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, zunächst vertreten durch J. E. Collins, dann durch R. Caudwell als Bevollmächtigte, Letztere im Beistand von S. Moore, Barrister, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Streithelfer,

ursprünglich wegen Nichtigerklärung der Verordnung (EG) Nr. 467/2001 des Rates vom 6. März 2001 über das Verbot der Ausfuhr bestimmter Waren und Dienstleistungen nach Afghanistan, über die Ausweitung des Flugverbots und des Einfrierens von Geldern und anderen Finanzmitteln betreffend die Taliban von Afghanistan und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 337/2000 (ABl. L 67, S. 1) und der Verordnung (EG) Nr. 2199/2001 der Kommission vom 12. November 2001 zur vierten Änderung der Verordnung Nr. 467/2001 (ABl. L 295, S. 16) und sodann wegen Nichtigerklärung der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 des Rates vom 27. Mai 2002 über die Anwendung bestimmter spezifischer restriktiver Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen, die mit Osama bin Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk und den Taliban in Verbindung stehen, und zur Aufhebung der Verordnung Nr. 467/2001 (ABl. L 139, S. 9),

erlässt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZDER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Zweite erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten N. J. Forwood sowie der Richter J. Pirrung, P. Mengozzi, A. W. H. Meij und M. Vilaras,

Kanzler: H. Jung,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. Oktober 2003

folgendes

Urteil

Rechtlicher Rahmen

1 Nach Artikel 24 Absatz 1 der am 26. Juni 1945 in San Francisco (Vereinigte Staaten) unterzeichneten Charta der Vereinten Nationen übertragen die Mitglieder der Organisation der Vereinten Nationen (UNO) „dem Sicherheitsrat die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit und erkennen an, dass der Sicherheitsrat bei der Wahrnehmung der sich aus dieser Verantwortung ergebenden Pflichten in ihrem Namen handelt“.

2 Nach Artikel 25 der Charta der Vereinten Nationen kommen die Mitglieder der UNO überein, „die Beschlüsse des Sicherheitsrats im Einklang mit dieser Charta anzunehmen und durchzuführen“.

3 Nach Artikel 48 Absatz 2 der Charta der Vereinten Nationen werden die Beschlüsse des Sicherheitsrats zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit „von den Mitgliedern der Vereinten Nationen unmittelbar sowie durch Maßnahmen in den geeigneten internationalen Einrichtungen durchgeführt, deren Mitglieder sie sind“.

4 Artikel 103 der Charta der Vereinten Nationen lautet: „Widersprechen sich die Verpflichtungen von Mitgliedern der Vereinten Nationen aus dieser Charta und ihre Verpflichtungen aus anderen internationalen Übereinkünften, so haben die Verpflichtungen aus dieser Charta Vorrang.“

5 In Artikel 11 Absatz 1 EU heißt es:

„Die Union erarbeitet und verwirklicht eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die sich auf alle Bereiche der Außen- und Sicherheitspolitik erstreckt und Folgendes zum Ziel hat:

– die Wahrung der gemeinsamen Werte, der grundlegenden Interessen, der Unabhängigkeit und der Unversehrtheit der Union im Einklang mit den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen,

– die Stärkung der Sicherheit der Union in allen ihren Formen,

– die Wahrung des Friedens und die Stärkung der internationalen Sicherheit entsprechend den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen …“

6 Artikel 301 EG lautet:

„Ist in gemeinsamen Standpunkten oder gemeinsamen Aktionen, die nach den Bestimmungen des Vertrags über die Europäische Union betreffend die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik angenommen worden sind, ein Tätigwerden der Gemeinschaft vorgesehen, um die Wirtschaftsbeziehungen zu einem oder mehreren dritten Ländern auszusetzen, einzuschränken oder vollständig einzustellen, so trifft der Rat die erforderlichen Sofortmaßnahmen; der Rat beschließt auf Vorschlag der Kommission mit qualifizierter Mehrheit.“

7 Artikel 60 Absatz 1 EG bestimmt:

„Falls ein Tätigwerden der Gemeinschaft in den in Artikel 301 vorgesehenen Fällen für erforderlich erachtet wird, kann der Rat nach dem Verfahren des Artikels 301 die notwendigen Sofortmaßnahmen auf dem Gebiet des Kapital- und Zahlungsverkehrs mit den betroffenen dritten Ländern ergreifen.“

8 Artikel 307 Absatz 1 EG lautet:

„Die Rechte und Pflichten aus Übereinkünften, die vor dem 1. Januar 1958 oder, im Falle später beigetretener Staaten, vor dem Zeitpunkt ihres Beitritts zwischen einem oder mehreren Mitgliedstaaten einerseits und einem oder mehreren dritten Ländern andererseits geschlossen wurden, werden durch diesen Vertrag nicht berührt.“

9 Schließlich bestimmt Artikel 308 EG:

„Erscheint ein Tätigwerden der Gemeinschaft erforderlich, um im Rahmen des Gemeinsamen Marktes eines ihrer Ziele zu verwirklichen, und sind in diesem Vertrag die hierfür erforderlichen Befugnisse nicht vorgesehen, so erlässt der Rat einstimmig auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments die geeigneten Vorschriften.“

Vorgeschichte des Rechtsstreits

10 Am 15. Oktober 1999 verabschiedete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (im Folgenden: Sicherheitsrat) die Resolution 1267 (1999), in der er u. a. verurteilte, dass afghanisches Hoheitsgebiet nach wie vor zur Beherbergung und Ausbildung von Terroristen und zur Planung terroristischer Handlungen benutzt wird, seine Überzeugung bekräftigte, dass die Unterbindung des internationalen Terrorismus für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit unerlässlich ist, und missbilligte, dass die Taliban Usama bin Laden (Osama bin Laden in den meisten deutschen Fassungen der von den Gemeinschaftsorganen stammenden Dokumente) weiterhin Zuflucht gewähren und es ihm und seinen Mithelfern ermöglichen, von dem durch die Taliban kontrollierten Gebiet aus ein Netz von Ausbildungslagern für Terroristen zu betreiben und Afghanistan als Stützpunkt für die Förderung internationaler terroristischer Operationen zu benutzen. In Ziffer 2 dieser Resolution verlangte der Sicherheitsrat, dass die Taliban Osama bin Laden ohne weitere Verzögerung an die zuständigen Behörden übergeben. Zur Durchsetzung dieser Verpflichtung bestimmt Ziffer 4 Buchstabe b der Resolution 1267 (1999), dass alle Staaten u. a. „Gelder und andere Finanzmittel, einschließlich Gelder, die aus Vermögenswerten stammen oder erzeugt wurden, die den Taliban gehören oder direkt oder indirekt ihrer Verfügungsgewalt oder der eines Unternehmens im Eigentum oder unter der Kontrolle der Taliban unterstehen, soweit von dem Ausschuss nach Ziffer 6 bezeichnet, einfrieren und sicherstellen werden, dass weder diese noch andere so bezeichnete Gelder oder Finanzmittel von ihren Staatsangehörigen oder von auf ihrem Hoheitsgebiet befindlichen Personen den Taliban oder einem Unternehmen im Eigentum der Taliban oder unter ihrer direkten oder indirekten Kontrolle unmittelbar oder zu deren Gunsten zur Verfügung gestellt werden, es sei denn, der Ausschuss genehmigt dies von Fall zu Fall aus humanitären Erwägungen“.

11 Ziffer 6 der Resolution 1267 (1999) sieht gemäß Artikel 28 der vorläufigen Geschäftsordnung des Sicherheitsrats die Einsetzung eines Ausschusses dieses Rates vor, der sich aus allen Mitgliedern des Sicherheitsrats zusammensetzt (im Folgenden: Sanktionsausschuss) und der insbesondere für die Durchführung der in Absatz 4 vorgeschriebenen Maßnahmen durch die Staaten zu sorgen, die in diesem Absatz genannten Gelder oder anderen Finanzmittel zu identifizieren und Anträge auf Genehmigung einer Ausnahme von den Maßnahmen des Absatzes 4 zu prüfen hat.

12 In der Erwägung, dass die Gemeinschaft tätig werden musste, um diese Resolution umzusetzen, nahm der Rat am 15. November 1999 den Gemeinsamen Standpunkt 1999/727/GASP über restriktive Maßnahmen gegen die Taliban (ABl. L 294, S. 1) an. Nach Artikel 2 dieses Gemeinsamen Standpunkts werden die ausländischen Gelder und anderen Finanzmittel der Taliban nach Maßgabe der Resolution 1267 (1999) des Sicherheitsrats eingefroren.

13 Am 14. Februar 2000 erließ der Rat auf der Grundlage der Artikel 60 EG und 301 EG die Verordnung (EG) Nr. 337/2000 über ein Flugverbot und das Einfrieren von Geldern und anderen Finanzmitteln betreffend die Taliban von Afghanistan (ABl. L 43, S. 1).

14 Am 19. Dezember 2000 verabschiedete der Sicherheitsrat die Resolution 1333 (2000), mit der die Taliban u. a. aufgefordert wurden, der Resolution 1267 (1999) nachzukommen und insbesondere aufzuhören, internationalen Terroristen und deren Organisationen Zuflucht und Ausbildung zu gewähren, und Osama bin Laden den zuständigen Behörden zu übergeben, damit er gerichtlich belangt wird. Der Sicherheitsrat beschloss insbesondere eine Ausweitung des durch die Resolution 1267 (1999) verhängten Flugverbots und Einfrierens von Geldern. So bestimmt Ziffer 8 Buchstabe c der Resolution 1333 (2000), dass alle Staaten Maßnahmen zu ergreifen haben, um u. a. „die Gelder und sonstigen finanziellen Vermögenswerte Usama Bin Ladens und der mit ihm verbundenen Personen und Einrichtungen, wie vom [Sanktionsausschuss] bezeichnet, namentlich derjenigen in der Organisation Al-Qaida, unverzüglich einzufrieren, einschließlich der Gelder, die...

To continue reading

Request your trial

VLEX uses login cookies to provide you with a better browsing experience. If you click on 'Accept' or continue browsing this site we consider that you accept our cookie policy. ACCEPT