Urteile nº T-325/01 of TGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften, September 15, 2005

Resolution DateSeptember 15, 2005
Issuing OrganizationTGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften
Decision NumberT-325/01

„Wettbewerb – Artikel 81 EG – Kartelle – Vertretervertrag – Vertrieb von Kraftfahrzeugen – Wirtschaftliche Einheit – Maßnahmen zur Behinderung des Parallelhandels mit Kraftfahrzeugen – Preisfestsetzung – Verordnung (EG) Nr. 1475/95 – Geldbuße“

In der Rechtssache T‑325/01

DaimlerChrysler AG mit Sitz in Stuttgart (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte R. Bechtold und W. Bosch,

Klägerin,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch W. Mölls als Bevollmächtigten, im Beistand von Rechtsanwalt H.-J. Freund, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung 2002/758/EG der Kommission vom 10. Oktober 2001 bezüglich eines Verfahrens nach Artikel 81 EG-Vertrag (Sache COMP/36.264 – Mercedes-Benz) (ABl. 2002, L 257, S. 1) und hilfsweise Verringerung der mit der genannten Entscheidung auferlegten Geldbuße

erlässt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZDER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin P. Lindh sowie der Richter R. García-Valdecasas und J. D. Cooke,

Kanzler: I. Natsinas, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. Mai 2004

folgendes

Urteil

Dem Rechtsstreit zugrunde liegender Sachverhalt

1 Die vorliegende Klage ist auf die Nichtigerklärung der Entscheidung 2002/758/EG der Kommission vom 10. Oktober 2001 bezüglich eines Verfahrens nach Artikel 81 EG-Vertrag (Sache COMP/36.264 – Mercedes-Benz) (ABl. 2002, L 257, S. 1, im Folgenden: streitige Entscheidung) gerichtet.

2 Die DaimlerChrysler AG (im Folgenden: Klägerin) ist die Muttergesellschaft eines Konzerns, der u. a. im Bereich der Herstellung und des Vertriebes von Kraftfahrzeugen tätig ist.

3 Die Daimler-Benz AG wurde am 21. Dezember 1998 aufgrund eines „Business combination agreement“ vom 7. Mai 1998 mit der Klägerin verschmolzen. Die Klägerin wurde damit Rechtsnachfolgerin der Daimler-Benz AG, und deren sämtliche Rechte, Vermögenswerte, Verbindlichkeiten und Verpflichtungen gingen auf sie über.

4 Vor dieser Verschmelzung war die Daimler-Benz AG die Konzernobergesellschaft des Daimler-Benz-Konzerns, der über seine Tochtergesellschaften weltweit tätig war. Außerdem wurde die Mercedes-Benz AG, eine Tochtergesellschaft der Daimler-Benz AG, am 26. Mai 1997 durch Verschmelzung auf diese übertragen. Seitdem ist sie der für das Fahrzeuggeschäft zuständige Geschäftsbereich innerhalb der Daimler-Benz AG. Im Einklang mit der streitigen Entscheidung bezieht sich die Bezeichnung „Mercedes-Benz“ im vorliegenden Urteil auf die Daimler-Benz AG (bis 1989), die Mercedes-Benz AG (bis 1997), die Daimler-Benz AG (1997/98) oder auf die Klägerin (ab 1998).

5 Die Kommission erhielt seit Anfang 1995 mehrere Schreiben von Verbrauchern, die sich über Behinderungen des Exports von Neufahrzeugen der Marke Mercedes-Benz durch die Konzernunternehmen der Daimler-Benz AG in verschiedenen Mitgliedstaaten beschwerten.

6 Die Kommission verfügte über Anhaltspunkte dafür, dass zu diesem Konzern gehörende Unternehmen eine gegen Artikel 81 Absatz 1 EG verstoßende Marktabschottung betrieben. Am 4. Dezember 1996 erließ sie mehrere Nachprüfungsentscheidungen nach Artikel 14 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln [81] und [82] des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204). Diese Nachprüfungen wurden am 11. und 12. Dezember 1996 bei der Daimler-Benz AG in Stuttgart (Deutschland), der Mercedes-Benz Belgium SA/NV in Belgien, der Mercedes-Benz Nederland NV in Utrecht (Niederlande) und der Mercedes-Benz España, SA, in Spanien durchgeführt.

7 Am 21. Oktober 1998 richtete die Kommission ein Auskunftsersuchen nach Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 an die Daimler-Benz AG, auf das diese am 10. November 1998 antwortete. Am 15. Juni 2001 übermittelte die Kommission der Klägerin ein weiteres Auskunftsersuchen, das am 9. Juli 2001 beantwortet wurde. Bei den am 11. und 12. Dezember 1996 durchgeführten Nachprüfungen stieß die Kommission auf zahlreiche Unterlagen, die sie beschlagnahmte. Auf diesen Unterlagen, den der Klägerin übermittelten Auskunftsersuchen und deren Stellungnahmen beruht die streitige Entscheidung.

8 Am 10. Oktober 2001 erließ die Kommission die streitige Entscheidung.

Streitige Entscheidung

9 Die Kommission vertritt in der streitigen Entscheidung die Auffassung, dass Mercedes-Benz selbst oder über ihre Tochtergesellschaften Mercedes-Benz España, SA (im Folgenden: MBE), und Mercedes-Benz Belgium SA (im Folgenden: MBBel) gegen Artikel 81 Absatz 1 EG verstoßen habe. Die in der streitigen Entscheidung bezeichneten Maßnahmen beträfen den Einzelhandel mit Personenkraftwagen der Marke Mercedes-Benz (143. bis 149. Begründungserwägung).

10 Die Kommission beschreibt in der streitigen Entscheidung die betroffenen Unternehmen und ihr Vertriebsnetz. Der Vertrieb von Personenkraftwagen der Marke Mercedes-Benz erfolge in Deutschland im Wesentlichen über konzernzugehörige Niederlassungen, über Vertreter, die (gemäß § 84 Absatz 1 des deutschen HGB) den Status eines Handelsvertreters in der Form eines Vermittlungsvertreters hätten, und über Kommissionäre (15. Begründungserwägung). In Belgien bestehe das Vertriebsnetz aus einem Importeur, MBBel, der seit dem 21. Dezember 1998 eine 100 %ige Tochtergesellschaft der Klägerin sei und über zwei Niederlassungen Neufahrzeuge verkaufe, Händlern und Agenturen/Werkstätten, die auch Neuwagen-Kaufverträge vermittelten (17. und 19. Begründungserwägung). In Spanien werde der Vertrieb über ein Netz abgewickelt, das sich aus drei Niederlassungen von MBE und den Händlern zusammensetze. Einige der Agenturen und/oder Werkstätten verkauften keine Fahrzeuge, sondern vermittelten nur Kaufverträge. MBE sei eine 100 %ige Tochtergesellschaft der Landesholding Daimler-Benz España, SA, die wiederum eine 99,88 %ige Tochtergesellschaft der Daimler-Benz AG gewesen sei. Seit dem 21. Dezember 1998 sei diese Holding eine 100 %ige Tochtergesellschaft der Klägerin (20. Begründungserwägung).

11 Artikel 81 Absatz 1 EG sei entgegen dem Vorbringen der Klägerin im Verwaltungsverfahren auf die Verträge zwischen Mercedes-Benz und den deutschen Vertretern in gleichem Umfang wie auf einen Vertrag mit einem Vertragshändler anwendbar. Ihm auferlegte Beschränkungen seien daher wie bei einem Eigenhändler zu beurteilen (168. Begründungserwägung).

12 Die Kommission weist insoweit erstens darauf hin, dass die deutschen Mercedes-Benz-Vertreter eine Reihe von unternehmerischen Risiken zu tragen hätten, die mit ihrer Vermittlungstätigkeit für Mercedes-Benz untrennbar verbunden seien und dazu führten, dass Artikel 81 EG auf die zwischen Mercedes-Benz und ihnen selbst geschlossenen Vereinbarungen anwendbar sei (153. bis 160. Begründungserwägung).

13 Der deutsche Mercedes-Benz-Vertreter sei u. a. in erheblichem Umfang am Preisrisiko für die von ihm vermittelten Fahrzeuge beteiligt. Soweit ein Vertreter Preiszugeständnisse beim Neuwagenverkauf mache, denen Mercedes-Benz zustimme, gingen diese voll zulasten seiner Provision (155. und 156. Begründungserwägung).

14 Der deutsche Vertreter trage gemäß § 4 Absatz 4 des deutschen Vertretervertrags auch das Transportkostenrisiko für Neufahrzeuge. Dieser übertrage wie bei einem Eigenhändler die Kosten und das Transportrisiko schuldrechtlich auf den Kunden (157. Begründungserwägung).

15 Der Vertreter habe auch in ganz erheblichem Umfang eigene Mittel zur Verkaufsförderung einzusetzen. Er müsse insbesondere Vorführwagen auf eigene Rechnung erwerben (§ 4 Absatz 7 des deutschen Vertretervertrags). Für den Kauf der Vorführ- und Geschäftsfahrzeuge räume Mercedes-Benz Sonderkonditionen ein. Für diese Fahrzeuge gälten Mindesthaltedauern von drei bis sechs Monaten und Mindestlaufstrecken von 3 000 km. Danach könne der Vertreter die Fahrzeuge als Gebrauchtfahrzeuge weiterveräußern und trage insoweit auch das Absatzrisiko für diese nicht unerhebliche Zahl von Fahrzeugen (158. Begründungserwägung).

16 Die Tätigkeit eines deutschen Mercedes-Benz-Vertreters sei darüber hinaus zwangsläufig mit einer Reihe von weiteren unternehmerischen Risiken verbunden. Deren Übernahme sei eine der Voraussetzungen dafür, dass ein Unternehmen Vertreter von Mercedes-Benz werden könne. Gemäß § 13 des Vertretervertrags sei der Vertreter verpflichtet, an den Fahrzeugen, die unter die Herstellergarantie fielen, Gewährleistungsarbeiten durchzuführen. Die deutschen Vertreter müssten auf eigene Rechnung eine Werkstatt einrichten und dort Kundendienst- und Garantieleistungen anbieten und auf Verlangen am Bereitschafts- und Notdienst teilnehmen (§ 12 des Vertretervertrags). Außerdem müssten sie für die Reparaturen der Fahrzeuge in ihren Werkstätten ein Ersatzteillager auf eigene Rechnung unterhalten (§ 14 des Vertretervertrags) (159. Begründungserwägung).

17 Zweitens weist die Kommission darauf hin, dass aus wirtschaftlicher Sicht die Umsätze des Vertreters aus eigenunternehmerischer Tätigkeit jene aus der Vermittlung von Neuwagenkaufverträgen um ein Mehrfaches überstiegen. Dies ergebe sich aus Folgendem: „Für die Vermittlertätigkeit erhält der Vertreter eine Provision, die sich bei Personenwagen aus der Grundprovision von 12,2 % und einer Leistungsprovision von bis zu 3,6 % zusammensetzt. Diese Provisionseinnahmen von maximal 15,8 % sind der Umsatz aus der Vertretertätigkeit. Aus dieser Provision hat der Vertreter die Nachlässe, die er den Fahrzeugkäufern gewährt, zu finanzieren. Der tatsächliche Umsatz aus dem Vertretergeschäft ist daher geringer als die genannten 15,8 %.“ Hinzu komme, dass „der Umsatz aus dem Vermittlungsgeschäft, wenn man die Fahrzeugpreise als Teil dieses Umsatzes ansieht, etwa 50 % des gesamten Umsatzes eines Vertreters [beträgt]. Der tatsächliche Vertreterumsatz aus der Vermittlung an sich ist jedoch die genannte Provision. Vergleicht man sie mit den Umsätzen des Vertreters aus vertraglich mit der Vermittlung verknüpften Tätigkeiten, bei denen der Vertreter das volle Risiko trägt, so...

To continue reading

Request your trial

VLEX uses login cookies to provide you with a better browsing experience. If you click on 'Accept' or continue browsing this site we consider that you accept our cookie policy. ACCEPT