Urteile nº T-228/99 of TGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften, March 06, 2003

Resolution DateMarch 06, 2003
Issuing OrganizationTGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften
Decision NumberT-228/99

URTEIL DES GERICHTS (Zweite erweiterte Kammer)

6. März 2003(1) „Staatliche Beihilfen - Unzuständigkeit der Kommission - Verletzung der Verteidigungsrechte - Verletzung wesentlicher Formvorschriften - Begriff der Beihilfe - Verstoß gegen die Artikel 87 EG und 295 EG - Marktwirtschaftlich handelnder Kapitalgeber - Angemessener Vergütungssatz - Verletzung der Begründungspflicht“

In den verbundenen Rechtssachen T-228/99 und T-233/99

Westdeutsche Landesbank Girozentrale mit Sitz in Düsseldorf (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt F. Montag, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Land Nordrhein-Westfalen, Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt M. Schütte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Kläger,

unterstützt durch

Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch W. D. Plessing als Bevollmächtigten im Beistand von Rechtsanwalt H.-F. Wissel,

Streithelferin,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch K.-D. Borchardt und V. Kreuschitz als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte,

unterstützt durch

Bundesverband deutscher Banken e. V. mit Sitz in Berlin (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt H.-J. Niemeyer,

Streithelfer,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung 2000/392/EG der Kommission vom 8. Juli 1999 über eine von der Bundesrepublik Deutschland zugunsten der Westdeutschen Landesbank Girozentrale durchgeführte Maßnahme (ABl. 2000, L 150, S. 1),

erlässtDAS GERICHT ERSTER INSTANZ

DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Zweite erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten R. M. Moura Ramos, der Richterin V. Tiili sowie der Richter J. Pirrung, P. Mengozzi und A. W. H. Meij,

Kanzler: D. Christensen, Verwaltungsrätin

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 5. und 6. Juni 2002,

folgendes

Urteil

Vorgeschichte des Rechtsstreits

I - Kontext des Rechtsstreits

1.
In den vorliegenden Rechtssachen geht es um die Eingliederung der Wohnungsbauförderungsanstalt des Landes Nordrhein-Westfalen (im Folgenden: WfA) in die Westdeutsche Landesbank Girozentrale (im Folgenden: WestLB) (im Folgenden: Übertragung oder streitiger Vorgang).

A - Eigenkapitalanforderungen aufgrund der Eigenmittelrichtlinie und der Solvabilitätsrichtlinie

2.
Nach der Richtlinie 89/647/EWG des Rates vom 18. Dezember 1989 über einen Solvabilitätskoeffizienten für Kreditinstitute (ABl. L 386, S. 14) und der Richtlinie 89/299/EWG des Rates vom 17. April 1989 über die Eigenmittel von Kreditinstituten (ABl. L 124, S. 16) müssen die Banken über Eigenmittel in Höhe von mindestens 8 % ihrer risikogewichteten Aktiva und risikotragenden außerbilanzmäßigen Transaktionen verfügen. Diese Richtlinien bedingten Änderungen am deutschen Kreditwesengesetz (im Folgenden: Kreditwesengesetz [KWG]), die am 1. Januar 1992 vorgenommen wurden; die neuen Anforderungen traten am 30. Juni 1993 in Kraft.

3.
Was die von diesen Richtlinien errichtete neue Schwelle von 8 % betrifft, so muss mindestens die Hälfte davon in „Basiseigenmitteln“ bestehen, was Kapitalbestandteile umfasst, die dem Kreditinstitut unmittelbar und unbeschränkt zur Verfügung stehen, um etwaige Verluste zu decken. Basiseigenmittel sind für die Gesamtausstattung der Bank mit Eigenmitteln im aufsichtsrechtlichen Sinne deswegen von entscheidender Bedeutung, weil „ergänzende Eigenmittel“ (weitere Eigenmittel von geringerer Qualität) nur in Höhe der vorhandenen Basiseigenmittel zur Unterlegung risikotragender Geschäfte einer Bank anerkannt werden.

4.
Außerdem wird die Vergabe von Großkrediten durch eine Bank durch den Umfang ihrer Eigenmittel begrenzt. Zum Zeitpunkt der WfA-Übertragung durften nach § 13 KWG ein einzelner Großkredit 50 % der Eigenmittel eines Kreditinstituts und die Gesamtheit der Großkredite, die über 15 % der Eigenmittel ausmachten, das Achtfache der Eigenmittel des Kreditinstituts nicht übersteigen. Nach einer Änderung des Kreditwesengesetzes im Jahr 1994 zwecks Anpassung an die Richtlinie 92/121/EWG des Rates vom 21. Dezember 1992 über die Überwachung und Kontrolle der Großkredite von Kreditinstituten (ABl. 1993, L 29, S. 1) wurde der höchstmögliche Kredit auf 25 % der Eigenmittel einer Bank begrenzt und dürfen alle Großkredite zusammen, die 10 % der Eigenmittel einer Bank übersteigen, das Achtfache der gesamten Eigenmittel nicht übersteigen.

5.
Ferner beschränkt Artikel 12 der Zweiten Richtlinie 89/646/EWG des Rates vom 15. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute und zur Änderung der Richtlinie 77/780/EWG (ABl. L 386, S. 1) den Umfang der Beteiligungen an anderen Kredit- und Bankinstituten. Nach § 12 KWG, einer Bestimmung, die nicht auf Gemeinschaftsrecht beruht, eine Entsprechung aber auch in anderen Mitgliedstaaten findet, wird zudem der Gesamtbetrag der langfristigen Anlagen - darunter auch Beteiligungen an Unternehmen außerhalb des Finanzsektors - auf den Gesamtbetrag der Eigenmittel begrenzt. Die deutschen Banken mussten sich zum 30. Juni 1993 den neuen Eigenkapitalbestimmungen anpassen.

B - Die WestLB

6.
Die WestLB ist eine Kreditanstalt des öffentlichen Rechts nach den Rechtsvorschriften des Landes Nordrhein-Westfalen (im Folgenden: Land). Am 31. Dezember 1991 belief sich ihr anerkanntes Eigenkapital auf 5,1 Milliarden DM. Durch Gesetz sind ihr drei Aufgaben übertragen worden: Sie ist Zentralbank für die örtlichen Sparkassen dieses Landes und seit dem 17. Juli 1992 auch für die Sparkassen des Landes Brandenburg. Sie erfüllt die Aufgaben einer Staats- und Kommunalbank, indem sie im Auftrag ihrer Anteilseigner Finanzgeschäfte abwickelt. Schließlich übt sie allgemeine Banktätigkeiten aus.

7.
Die WestLB befindet sich zu 100 % in öffentlichem Eigentum. Den größten Anteil am Nominalkapital hält das Land (43,2 %). Die anderen Anteilseigner sind die Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe (jeweils 11,7 %) sowie der Rheinische und der Westfälisch-Lippische Sparkassen- und Giroverband (jeweils 16,7 %). Diese Anteilsverhältnisse zum Zeitpunkt der Übertragung sind zumindest bis zum 8. Juli 1999 unverändert geblieben.

8.
Gemessen an seiner Bilanz nimmt der WestLB-Konzern unter den deutschen Kreditinstituten den dritten Rang nach der Deutschen Bank AG und der Dresdner Bank AG ein. Der WestLB-Konzern bietet Finanzdienstleistungen für Unternehmen und öffentliche Einrichtungen an und ist auch auf den internationalen Kapitalmärkten sowohl für eigene Rechnung als auch für andere Schuldtitelemittenten tätig. Wie viele andere deutsche Universalbanken besitzt auch die WestLB Beteiligungen an Finanzinstituten und Unternehmen. Im Übrigen wickelte sie 1997 einen bedeutenden Teil ihrer Geschäftstätigkeit außerhalb Deutschlands ab.

C - Die WfA

9.
Die WfA wurde 1957 gegründet und war bis 31. Dezember 1991 als eine Anstalt des deutschen öffentlichen Rechts tätig; als solche besaß sie eigene Rechtspersönlichkeit. Sie war mit einem Grundkapital von 100 Millionen DM ausgestattet, und ihr alleiniger Anteilseigner war das Land. Aufgrund Gesetzes kam ihr ausschließlich die Aufgabe zu, den Wohnungsbau über die Vergabe zinsloser oder zinsverbilligter Darlehen zu fördern. Wegen ihrer Gemeinnützigkeit war sie von Körperschaftsteuer, Vermögensteuer und Gewerbekapitalsteuer befreit.

10.
Als Anstalt des öffentlichen Rechts galten für die WfA die Anstaltslast und die Gewährträgerhaftung des Landes für sämtliche Verbindlichkeiten der Anstalt. Diese Garantien sind nach der Übertragung bestehen geblieben.

D - Eingliederung der WfA in die WestLB

11.
Nach dem Gesetz zur Regelung der Wohnungsbauförderung, das am 18. Dezember 1991 vom nordrhein-westfälischen Landtag verabschiedet wurde, wurde die WfA zum 1. Januar 1992 auf die WestLB übertragen.

12.
In der Gesetzesbegründung wird die Übertragung mit der Erhöhung der Eigenmittel der WestLB begründet, die das Kreditinstitut in die Lage versetzen sollte, den ab 30. Juni 1993 geltenden strengeren Eigenkapitalanforderungen nachzukommen. Außerdem sollte die Zusammenlegung der Wohnungsbauförderungstätigkeiten der WfA mit denen der WestLB größere Effizienz ermöglichen.

13.
Im Rahmen der Übertragung hob das Land die Garantie der WfA von rund 7,4 Milliarden DM für Verbindlichkeiten des Landes aufgrund von Kapitalaufnahmen für die Wohnungsbauförderung auf.

14.
Die WestLB wurde die Gesamtrechtsnachfolgerin der WfA (mit Ausnahme der vor der Übertragung aufgehobenen Haftung der WfA gegenüber dem Land für Schulden des Landes aus Gründen der Wohnungsbauförderung). Aus der WfA wurde organisatorisch und wirtschaftlich eine unabhängige öffentlich-rechtliche Anstalt ohne Rechtsfähigkeit innerhalb der WestLB. Das Grundkapital und die Rücklagen der WfA müssen somit in der Bilanz der WestLB als Sonderrücklagen ausgewiesen werden. Das Land haftet aufgrund seiner Anstaltslast und Gewährträgerhaftung weiterhin für die Verbindlichkeiten der WfA.

15.
Die Vermögenswerte der WfA, also ihr Grundkapital, ihre Rücklagen, das Landeswohnungsbauvermögen und ihre sonstigen Forderungen sowie künftige Rückflüsse aus Baudarlehen, blieben nach Artikel 2 § 16 Absatz 2 des in Randnummer 11 genannten Gesetzes auch nach der Übertragung auf die WestLB für die Wohnungsbauförderung bestimmt. Dieselbe Vorschrift sah vor, dass die übertragenen Vermögenswerte gleichzeitig als Eigenkapital im Sinn des Kreditwesengesetzes und folglich der Richtlinie 89/299 dienen, auf dessen Grundlage der Solvabilitätskoeffizient der Bank berechnet wird. Demnach unterlegen sie auch das Wettbewerbsgeschäft der WestLB.

16.
Anlässlich der Übertragung änderten die Anteilseigner der WestLB den Mantelvertrag und vereinbarten, dass die für die Wohnungsbauförderung bestimmten Vermögenswerte stets erhalten bleiben, selbst wenn die WestLB Verluste erleiden sollte, durch die das ursprüngliche Kapital aufgezehrt wird. Das...

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