Urteile nº T-380/10 of TGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften, September 16, 2013

Resolution DateSeptember 16, 2013
Issuing OrganizationTGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften
Decision NumberT-380/10

„Wettbewerb – Kartelle – Belgischer, deutscher, französischer, italienischer, niederländischer und österreichischer Markt für Badezimmerausstattungen – Beschluss, mit dem eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 EWR‑Abkommen festgestellt wird – Koordinierung von Preiserhöhungen und Austausch sensibler Geschäftsinformationen – Wettbewerbsverzerrung – Beweis – Berechnung der Geldbuße – Zusammenarbeit im Verwaltungsverfahren – Mitteilung über Zusammenarbeit von 2002 – Erlass von Geldbußen – Ermäßigung der Geldbuße – Erheblicher Mehrwert – Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen von 2006 – Rückwirkungsverbot“

In der Rechtssache T‑380/10

Wabco Europe mit Sitz in Brüssel (Belgien),

Wabco Austria GesmbH mit Sitz in Wien (Österreich),

Trane Inc. mit Sitz in Piscataway, New Jersey (Vereinigte Staaten),

Ideal Standard Italia Srl mit Sitz in Mailand (Italien),

Ideal Standard GmbH mit Sitz in Bonn (Deutschland),

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte S. Völcker, F. Louis, A. Israel und N. Niejahr sowie C. O’Daly und E. Batchelor, Solicitors, und F. Carlin, Barrister,

Klägerinnen,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch F. Castillo de la Torre, F. Ronkes Agerbeek und G. Koleva als Bevollmächtigte,

Beklagte,

wegen Nichtigerklärung des Beschlusses K(2010) 4185 endg. der Kommission vom 23. Juni 2010 in einem Verfahren nach Artikel 101 [AEUV] und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/39092 – Badezimmerausstattungen), soweit er die Klägerinnen betrifft, hilfsweise Herabsetzung der gegen diese verhängten Geldbußen

erlässt

DAS GERICHT (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin I. Pelikánová, der Richterin K. Jürimäe (Berichterstatterin) und des Richters M. van der Woude,

Kanzler: S. Spyropoulos, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. März 2012

folgendes

Urteil

Vorgeschichte des Rechtsstreits

1 Mit dem Beschluss K(2010) 4185 endg. vom 23. Juni 2010 in einem Verfahren nach Artikel 101 [AEUV] und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/39092 – Badezimmerausstattungen) (im Folgenden: angefochtener Beschluss) stellte die Europäische Kommission eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV und Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) im Badezimmerausstattungssektor fest. Diese Zuwiderhandlung, an der 17 Unternehmen beteiligt gewesen seien, habe in verschiedenen Zeiträumen zwischen dem 16. Oktober 1992 und dem 9. November 2004 in Form eines Bündels wettbewerbswidriger Vereinbarungen oder abgestimmter Verhaltensweisen in Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, den Niederlanden und Österreich stattgefunden (Randnrn. 2 und 3 sowie Art. 1 des angefochtenen Beschlusses).

2 Genauer führte die Kommission in dem angefochtenen Beschluss aus, die festgestellte Zuwiderhandlung habe erstens die Koordinierung jährlicher Preiserhöhungen und weiterer Preisgestaltungselemente durch die genannten Hersteller von Badezimmerausstattungen im Rahmen regelmäßiger Treffen nationaler Verbände, zweitens die Festsetzung oder Koordinierung der Preise bei besonderen Anlässen wie dem Anstieg der Rohstoffkosten, der Einführung des Euro oder der Einführung einer Straßenmaut sowie drittens die Offenlegung und den Austausch sensibler Geschäftsinformationen umfasst (Randnrn. 152 bis 163 des angefochtenen Beschlusses). Außerdem stellte sie fest, dass die Preise im Badezimmerausstattungssektor in jährlichen Runden festgesetzt worden seien. In diesem Rahmen hätten die Hersteller Preislisten beschlossen, die üblicherweise ein Jahr lang gegolten hätten und bei Verkäufen an Großhändler zugrunde gelegt worden seien (Randnrn. 152 bis 163 des angefochtenen Beschlusses).

3 Die von dem Kartell betroffenen Produkte sind Badezimmerausstattungen, die zu einer der drei folgenden Produktuntergruppen gehören: Armaturen, Duschabtrennungen und ‑zubehör sowie Sanitärkeramik (im Folgenden: drei Produktuntergruppen) (Randnrn. 5 und 6 des angefochtenen Beschlusses).

4 Die American Standard Inc., seit 2007 Trane Inc., ist ein amerikanischer Konzern, der unter der Marke „Ideal Standard“ Sanitärkeramik und Armaturen herstellt und vertreibt. Die europäischen Tätigkeiten dieses Konzerns in diesem Sektor wurden ab dem 29. Oktober 2001 von der American Standard Europe BVBA, seit 2007 Wabco Europe, übernommen. Dieser Konzern war alleiniger Anteilseigner von in sechs Mitgliedstaaten tätigen Tochtergesellschaften: erstens der Ideal Standard GmbH und der Ideal-Standard Produktions-GmbH in Deutschland, zweitens der Ideal Standard SAS in Frankreich, drittens der Standard Italia Srl in Italien, viertens, ab 2001, der Metaalwarenfabriek Venlo BV, seit 2005 Ideal Standard Nederland BV Europe, in den Niederlanden, fünftens der Wabco Austria GesmbH in Österreich, die 2007 an die Ideal Standard GmbH verkauft wurde, und sechstens einer Tochtergesellschaft der letztgenannten Gesellschaft in Belgien (Randnrn. 21 bis 26 und 1043 bis 1049 des angefochtenen Beschlusses).

5 Wabco Europe, Wabco Austria, Trane, Ideal Standard Italia und Ideal Standard werden im Folgenden zusammen als „Klägerinnen“ bezeichnet.

6 Am 15. Juli 2004 informierten die Masco Corp. und ihre Tochtergesellschaften, darunter die Hansgrohe AG, die Armaturen herstellt, und die Hüppe GmbH, die Duschabtrennungen herstellt, die Kommission über das Bestehen eines Kartells im Badezimmerausstattungssektor und beantragten den Erlass bzw. eine Ermäßigung der Geldbuße gemäß der Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 2002, C 45, S. 3, im Folgenden: Mitteilung über Zusammenarbeit von 2002). Am 2. März 2005 beschloss die Kommission gemäß Randnr. 8 Buchst. a und Randnr. 15 der Mitteilung über Zusammenarbeit von 2002 einen bedingten Geldbußenerlass zugunsten von Masco (Randnrn. 126 bis 128 des angefochtenen Beschlusses).

7 Am 9. und 10. November 2004 führte die Kommission gemäß Art. 20 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101 AEUV] und [102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) in den Räumlichkeiten verschiedener Unternehmen und nationaler Verbände des Badezimmerausstattungssektors unangekündigte Nachprüfungen durch (Randnr. 129 des angefochtenen Beschlusses).

8 Am 15. und am 19. November 2004 beantragten die Grohe Beteiligungs GmbH und ihre Tochtergesellschaften (im Folgenden: Grohe) sowie die Klägerinnen jeweils den Erlass bzw. eine Ermäßigung der Geldbuße gemäß der Mitteilung über Zusammenarbeit von 2002 (Randnrn. 131 und 132 des angefochtenen Beschlusses).

9 Zwischen dem 15. November 2005 und dem 16. Mai 2006 versandte die Kommission an verschiedene Unternehmen und Verbände des Badezimmerausstattungssektors, darunter die Klägerinnen, Auskunftsverlangen nach Art. 18 der Verordnung Nr. 1/2003 (Randnr. 133 des angefochtenen Beschlusses).

10 Am 17. bzw. 19. Januar 2006 beantragten die Roca SARL sowie die Hansa Metallwerke AG und ihre Tochtergesellschaften jeweils den Erlass bzw. eine Ermäßigung der Geldbuße gemäß der Mitteilung über Zusammenarbeit von 2002. Am 20. Januar 2006 stellte auch die Aloys Dornbracht GmbH & Co. KG Armaturenfabrik (im Folgenden: Dornbracht) einen solchen Antrag.

11 Am 26. März 2007 nahm die Kommission eine Mitteilung der Beschwerdepunkte an, die den Klägerinnen zugestellt wurde (Randnr. 139 des angefochtenen Beschlusses).

12 Vom 12. bis 14. November 2007 fand eine Anhörung statt, an der die Klägerinnen teilnahmen (Randnr. 143 des angefochtenen Beschlusses).

13 Am 9. Juli 2009 versandte die Kommission an bestimmte Unternehmen, darunter die Klägerinnen, ein Sachverhaltsschreiben und lenkte deren Aufmerksamkeit auf bestimmte Beweise, auf die sie sich im Rahmen des Erlasses einer endgültigen Entscheidung stützen wolle (Randnrn. 147 und 148 des angefochtenen Beschlusses).

14 Zwischen dem 19. Juni 2009 und dem 8. März 2010 versandte die Kommission nach Art. 18 der Verordnung Nr. 1/2003 an verschiedene Unternehmen, darunter die Klägerinnen, weitere Auskunftsverlangen (Randnrn. 149 bis 151 des angefochtenen Beschlusses).

15 Am 23. Juni 2010 erließ die Kommission den angefochtenen Beschluss.

16 Darin ging sie als Erstes davon aus, dass die in Randnr. 2 des vorliegenden Urteils beschriebenen Verhaltensweisen Teil eines gemeinsamen Plans zur Beschränkung des Wettbewerbs zwischen den Adressaten des angefochtenen Beschlusses seien und die Merkmale einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung aufwiesen, deren Wirkungsbereich die in Randnr. 3 des vorliegenden Urteils genannten drei Produktuntergruppen betroffen und sich auf Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, die Niederlande und Österreich erstreckt habe (Randnrn. 778 und 793 des angefochtenen Beschlusses) (im Folgenden: festgestellte Zuwiderhandlung). Sie betonte insoweit vor allem, dass die besagten Verhaltensweisen nach einem wiederkehrenden Muster stattgefunden hätten, das in den sechs von der Untersuchung der Kommission betroffenen Mitgliedstaaten übereingestimmt habe (Randnrn. 778 und 793 des angefochtenen Beschlusses). Sie verwies auch darauf, dass es folgende Verbände gegeben habe: alle drei Produktuntergruppen betreffende nationale Verbände, die von ihr als „Dachverbände“ bezeichnet wurden, nationale Verbände mit in Bezug auf mindestens zwei der genannten drei Produktuntergruppen tätigen Mitgliedern, die von ihr als „produktübergreifende Verbände“ bezeichnet wurden, und produktspezifische Verbände mit in Bezug auf eine der genannten drei Produktuntergruppen tätigen Mitgliedern (Randnrn. 796 und 798 des angefochtenen Beschlusses). Schließlich stellte sie fest, dass es eine zentrale Gruppe von Unternehmen gegeben habe, die in verschiedenen Mitgliedstaaten im Rahmen von Dachverbänden und produktübergreifenden Verbänden an dem Kartell beteiligt gewesen seien (Randnrn. 796 und 797 des angefochtenen Beschlusses).

17 Speziell zu den Klägerinnen stellte die Kommission fest, sie hätten sich in...

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