Urteile nº T-463/14 of TGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften, April 27, 2016

Resolution DateApril 27, 2016
Issuing OrganizationTGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften
Decision NumberT-463/14

„Richtlinie 2004/17/EG - Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste - Durchführungsbeschluss zur Ausnahme bestimmter Dienste des Postsektors in Österreich von der Anwendung der Richtlinie 2004/17 - Art. 30 der Richtlinie 2004/17 - Begründungspflicht - Offensichtlicher Beurteilungsfehler“

In der Rechtssache T-463/14

Österreichische Post AG mit Sitz in Wien (Österreich), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte H. Schatzmann, J. Bleckmann und M. Oder,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch A. Tokár und C. Vollrath als Bevollmächtigte,

Beklagte,

wegen teilweiser Nichtigerklärung des Durchführungsbeschlusses 2014/184/EU der Kommission vom 2. April 2014 zur Ausnahme bestimmter Dienste des Postsektors in Österreich von der Anwendung der Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste (ABl. L 101, S. 4), soweit die Richtlinie weiterhin für die Vergabe von Aufträgen für bestimmte Postdienste in Österreich zur Anwendung kommen soll,

erlässt

DAS GERICHT (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten A. Dittrich (Berichterstatter), des Richters J. Schwarcz und der Richterin V. Tomljenović,

Kanzler: S. Bukšek Tomac, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 29. Oktober 2015

folgendes

Urteil

Vorgeschichte des Rechtsstreits

1 Die Klägerin, die Österreichische Post AG, ist eine nach österreichischem Recht errichtete Aktiengesellschaft, die zu 52,80 % im Eigentum der Österreichischen Industrieholding AG steht, die wiederum im Alleineigentum der Republik Österreich steht. Sie erbringt u. a. im Hoheitsgebiet der Republik Österreich umfassende Postdienste und damit zusammenhängende Dienste und Dienstleistungen und wurde gemäf‌l den österreichischen Rechtsvorschriften als Universaldienstbetreiber für Österreich benannt.

2 Mit Schreiben vom 30. September 2013 übermittelte die Klägerin der Europäischen Kommission einen Antrag gemäf‌l Art. 30 Abs. 5 der Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste (ABl. L 134, S. 1), dem sie verschiedene Sachverständigengutachten beifügte. Der Antrag betraf bestimmte Postdienste sowie bestimmte andere Dienste, die die Klägerin im Hoheitsgebiet Österreichs bereitstellt. Die Kommission sollte feststellen, dass die fraglichen in Österreich erbrachten Dienste auf Märkten mit freiem Zugang unmittelbar dem Wettbewerb ausgesetzt sind, so dass die Aufträge, die ihre Erbringung ermöglichen sollen, nicht unter die Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Postdienste gemäf‌l der Richtlinie 2004/17 fallen.

3 Im Einzelnen bezog sich der Antrag der Klägerin auf folgende Dienste:

- Postdienste für adressierte Briefe zwischen Geschäftskunden (im Folgenden: B2B) sowie zwischen Geschäftskunden und Privatkunden (im Folgenden: B2C) auf nationaler Ebene („inländische“ und „eingehende“ Briefe);

- Postdienste für adressierte Briefe zwischen Privatkunden (im Folgenden: C2C) sowie zwischen Privatkunden und Geschäftskunden (im Folgenden: C2B) auf nationaler Ebene („inländische“ und „eingehende“ Briefe);

- Postdienste für adressierte internationale („abgehende“) B2B- und B2C-Briefe (im Folgenden: B2X) sowie C2B- und C2C-Briefe (im Folgenden: C2X);

- Postdienste für adressierte Werbesendungen auf nationaler und internationaler Ebene;

- Postdienste für unadressierte Werbesendungen auf nationaler und internationaler Ebene;

- Postdienste für adressierte und unadressierte Zeitungen;

- Managementdienste für Poststellen;

- Mehrwertdienste im Zusammenhang mit elektronischen Medien, die gänzlich von diesen Medien erbracht werden;

- Philatelie - Sondermarken;

- Finanzdienstleistungen.

4 Mit Schreiben vom 18. Oktober und 5. Dezember 2013 unterrichtete die Kommission die Republik Österreich von dem Antrag und bat die österreichischen Behörden um Übermittlung sachdienlicher Informationen. Die österreichischen Behörden antworteten mit Schreiben vom 17. Dezember 2013.

5 Am 20. November 2013 verlängerte die Kommission die Frist für die Entscheidung über den Antrag der Klägerin bis zum 2. April 2014 (Bekanntmachung eines Antrags gemäf‌l Artikel 30 der Richtlinie 2004/17/EG - Fristverlängerung, ABl. 2013, C 339, S. 8).

6 Nach Schriftwechseln und mehreren Besprechungen mit der Klägerin erlief‌l die Kommission am 2. April 2014 den an die Republik Österreich gerichteten Durchführungsbeschluss 2014/184/EU zur Ausnahme bestimmter Dienste des Postsektors in Österreich von der Anwendung der Richtlinie 2004/17 (ABl. L 101, S. 4, im Folgenden: angefochtener Beschluss). Darin gab sie dem Antrag der Klägerin teilweise statt.

7 Nach Art. 1 des angefochtenen Beschlusses gilt die Richtlinie 2004/17 nicht für Aufträge, die von Auftraggebern vergeben werden und die Ausführung folgender Dienste in Österreich ermöglichen sollen:

- Managementdienste für Poststellen;

- Mehrwertdienste im Zusammenhang mit elektronischen Medien, die gänzlich von diesen Medien erbracht werden;

- Philateliedienste;

- im eigenen Namen erbrachte Zahlungsdienste.

8 Bei den anderen Tätigkeiten, die Gegenstand des Antrags der Klägerin waren (siehe oben, Rn. 3), stellte die Kommission in Rn. 102 des angefochtenen Beschlusses fest, dass die in Art. 30 Abs. 1 der Richtlinie 2004/17 festgelegte Bedingung, dass eine Tätigkeit unmittelbar dem Wettbewerb ausgesetzt sei, im Hoheitsgebiet Österreichs nicht erfüllt sei, so dass sie weiterhin den Bestimmungen der Richtlinie 2004/17 unterlägen.

Verfahren und Anträge der Parteien

9 Mit Klageschrift, die am 24. Juni 2014 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage auf teilweise Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses erhoben.

10 Mit Schreiben, das am selben Tag in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen worden ist, hat sie die Geheimhaltung für sämtliche an das Gericht übermittelten Unterlagen beantragt, die Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse enthalten.

11 Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Fünfte Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen.

12 Im Rahmen prozessleitender Maf‌lnahmen gemäf‌l Art. 89 seiner Verfahrensordnung hat das Gericht die Klägerin zur Bezeichnung der Daten, die Geschäftsgeheimnisse darstellen sollen, und die Kommission zur Vorlage eines Dokuments aufgefordert. Die Parteien sind diesen Aufforderungen fristgerecht nachgekommen.

13 In der Sitzung vom 29. Oktober 2015 haben die Parteien mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

14 Die Klägerin beantragt,

- den angefochtenen Beschluss insoweit teilweise für nichtig zu erklären, als die Richtlinie 2004/17 entgegen ihrem Antrag weiterhin für die Vergabe von Aufträgen für folgende, in Art. 1 des Beschlusses nicht genannte Postdienste zur Anwendung kommen soll:

- Postdienste für adressierte B2B- und B2C-Briefe auf nationaler Ebene („inländische“ und „eingehende“ Briefe);

- Postdienste für adressierte C2C- und C2B-Briefe auf nationaler Ebene („inländische“ und „eingehende“ Briefe);

- Postdienste für adressierte internationale („abgehende“) B2X- sowie C2X-Briefe;

- Postdienste für adressierte Werbesendungen auf nationaler und internationaler Ebene;

- Postdienste für unadressierte Werbesendungen auf nationaler und internationaler Ebene;

- Postdienste für adressierte und unadressierte Zeitungen;

- in eventu, soweit eine Teilanfechtung des angefochtenen Beschlusses nach Ansicht des Gerichts nicht zulässig oder möglich sein sollte, den angefochtenen Beschluss insgesamt für nichtig zu erklären;

- der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

15 Die Kommission beantragt,

- die Klage abzuweisen;

- der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Rechtliche Würdigung

16 Die Klägerin macht sieben Klagegründe geltend. Ihres Erachtens hat die Kommission die Richtlinie 2004/17 nicht richtig angewandt, denn sie hätte feststellen müssen, dass die in Art. 30 Abs. 1 der Richtlinie genannten Bedingungen erfüllt seien. Die betreffenden Postdienste seien auf Märkten mit freiem Zugang unmittelbar dem Wettbewerb ausgesetzt. Die Kommission habe deshalb zu Unrecht angenommen, dass Aufträge, die die Erbringung dieser Dienste ermöglichen sollten, weiterhin der Richtlinie 2004/17 unterlägen.

17 Mit dem ersten Klagegrund wird eine fehlerhafte Anwendung der Marktabgrenzungskriterien und -methoden der Richtlinie 2004/17 und eine mangelnde Begründung für die von der Kommission gewählte Methode gerügt, mit den Klagegründen 2 bis 6 eine fehlerhafte Anwendung der Richtlinie 2004/17 und eine fehlerhafte Begründung - in Bezug darauf, ob die Klägerin auf dem Markt der Postdienste für adressierte B2X-Briefe auf nationaler Ebene (zweiter Klagegrund), auf dem Markt der Postdienste für adressierte C2X-Briefe auf nationaler Ebene (dritter Klagegrund), auf dem Markt der Postdienste für adressierte B2X- und C2X-Briefe auf internationaler Ebene (vierter Klagegrund), auf dem Markt der Postdienste für adressierte Werbesendungen auf nationaler und internationaler Ebene (fünfter Klagegrund) und auf dem Markt der Postdienste für unadressierte Werbesendungen auf nationaler und internationaler Ebene (sechster Klagegrund) unmittelbar dem Wettbewerb ausgesetzt war - und mit dem siebten Klagegrund eine fehlerhafte Begründung und eine Verletzung der Begründungspflicht hinsichtlich des Marktes der Postdienste für Standardzustellungen adressierter und unadressierter Zeitungen.

Zum ersten Klagegrund: fehlerhafte Anwendung der Marktabgrenzungskriterien und -methoden der Richtlinie 2004/17 und mangelnde Begründung hinsichtlich der von der Kommission gewählten Methode

18 Die Klägerin macht geltend, die Kommission habe hinsichtlich der gewählten Methode ihre...

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