Urteile nº T-611/15 of Tribunal General de la Unión Europea, February 05, 2018

Resolution DateFebruary 05, 2018
Issuing OrganizationTribunal General de la Unión Europea
Decision NumberT-611/15

„Zugang zu Dokumenten - Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 - Inhaltsverzeichnis der Akte der Kommission zu einem Verfahren nach Art. 101 AEUV - Verweigerung des Zugangs - Begründungspflicht - Pflicht zur Unterrichtung über Rechtsbehelfe - Ausnahmeregelung betreffend den Schutz des Zwecks von Untersuchungstätigkeiten - Allgemeine Vermutung der Vertraulichkeit“

In der Rechtssache T-611/15

Edeka-Handelsgesellschaft Hessenring mbH mit Sitz in Melsungen (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte E. Wagner und H. Hoffmeyer,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, zunächst vertreten durch F. Clotuche-Duvieusart, L. Wildpanner und A. Buchet, dann durch F. Clotuche-Duvieusart, A. Buchet und F. Erlbacher, und zuletzt durch F. Clotuche-Duvieusart und A. Buchet als Bevollmächtigte,

Beklagte,

wegen eines auf Art. 263 AEUV gestützten Antrags auf Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission vom 3. September 2015, mit der der Klägerin der Zugang zur nicht vertraulichen Fassung des Beschlusses der Kommission vom 4. Dezember 2013 in einem Verfahren nach Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens (Sache AT.39914 - Euro Interest Rate Derivatives [EIRD] - Vergleichsverfahren) und zum Inhaltsverzeichnis der Verwaltungsakte zu diesem Verfahren verweigert wurde, und eines auf Art. 265 AEUV gestützten Antrags auf Feststellung, dass die Kommission es rechtswidrig unterlassen habe, eine nicht vertrauliche Fassung des Beschlusses C(2013) 8512 final und des Inhaltsverzeichnisses zu diesem Verfahren zu erstellen,

erlässt

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten M. Prek sowie des Richters F. Schalin und der Richterin M. J. Costeira (Berichterstatterin),

Kanzler: E. Coulon,

folgendes

Urteil

Sachverhalt

1 Die Klägerin, die Edeka-Handelsgesellschaft Hessenring mbH, ist ein Unternehmen, das im Wesentlichen im Land Hessen (Deutschland) vornehmlich im Lebensmittelgrof‌l- und -einzelhandel tätig ist.

2 Im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 101 AEUV und Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), das insbesondere die Untersuchung von Kartellen von Banken betreffend Euro-Zinsderivate (Euro Interest Rate Derivatives, EIRD) zum Gegenstand hatte (im Folgenden: EIRD-Verfahren), erlief‌l die Europäische Kommission am 4. Dezember 2013 einen Beschluss, mit dem sie gegen vier Banken, die mit ihr im Rahmen eines Vergleichsverfahrens zusammengearbeitet hatten und deren Geldbuf‌le deshalb herabgesetzt wurde, eine Geldbuf‌le verhängte (im Folgenden: EIRD-Beschluss). Die Untersuchung der Kommission im Rahmen dieses Verfahrens war zum Zeitpunkt der Erhebung der vorliegenden Klage noch nicht abgeschlossen.

3 Mit Schreiben vom 3. Dezember 2014 beantragte der Edeka Verband kaufmännischer Genossenschaften e. V. (im Folgenden: Edeka-Verband) für die Klägerin nach der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. 2001, L 145, S. 43) Zugang zur Akte der Kommission im EIRD-Verfahren. Dieser Antrag wurde von der Kommission unter dem Aktenzeichen GESTDEM 2015/429 registriert (im Folgenden: erstes Verfahren).

4 Mit Schreiben vom 12. März 2015 bestätigte der Edeka-Verband seinen Antrag auf Zugang zu sämtlichen ab 2006 erstellten Dokumenten mit Informationen darüber, wie die Kartellmitglieder den Euribor-Satz manipuliert hätten.

5 Mit Schreiben vom 31. März 2015 lehnte die Generaldirektion (GD) „Wettbewerb“ der Kommission den Antrag des Edeka-Verbands auf Zugang zu Dokumenten ab (im Folgenden: Erstbescheid im ersten Verfahren), und zwar aufgrund von Art. 4 Abs. 2 erster und dritter Gedankenstrich und Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 sowie einer allgemeinen Vermutung der Vertraulichkeit im Zusammenhang mit der Ausnahme nach Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung. Auch einen teilweisen Zugang zu den angeforderten Dokumenten verweigerte sie.

6 Mit Schreiben vom 8. April 2015 wandte sich der Edeka-Verband an das Generalsekretariat der Kommission und ersuchte um Überprüfung des Erstbescheids im ersten Verfahren. Er führte insbesondere an, dass die Verweigerung des teilweisen Zugangs unverhältnismäf‌lig sei und dass die GD „Wettbewerb“ zumindest Zugang zum Inhaltsverzeichnis der Akte der Kommission im EIRD-Verfahren (im Folgenden: Inhaltsverzeichnis) gewähren sollte.

7 Mit Entscheidung vom 27. April 2015 bestätigte der Generalsekretär der Kommission den Erstbescheid im ersten Verfahren (im Folgenden: bestätigende Entscheidung im ersten Verfahren). Die Verweigerung des Zugangs zu den Dokumenten des EIRD-Verfahrens einschlief‌llich des Inhaltsverzeichnisses war im Wesentlichen erstens gestützt auf die Ausnahmen gemäf‌l Art. 4 Abs. 2 erster und dritter Gedankenstrich und Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 im Hinblick auf den Schutz der geschäftlichen Interessen der beteiligten Unternehmen bzw. des Zwecks der Untersuchungstätigkeiten bzw. des Entscheidungsprozesses des Organs. Bei einer öffentlichen Verbreitung dieser Dokumente bestehe nämlich das Risiko, dass die laufenden Ermittlungen gefährdet und die Vertraulichkeitsregeln, die Verteidigungsrechte und die geschäftlichen Interessen der von der Untersuchung betroffenen Parteien beeinträchtigt würden. Zweitens erfolgte die Verweigerung des Zugangs zu den Dokumenten auf der Grundlage einer allgemeinen Vermutung der Vertraulichkeit gemäf‌l Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 und einer kohärenten Auslegung und Anwendung der verschiedenen Bestimmungen und Zwecke zum einen der Verordnung Nr. 1049/2001 und zum anderen der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101 und 102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) sowie der Verordnung (EG) Nr. 773/2004 der Kommission vom 7. April 2004 über die Durchführung von Verfahren auf der Grundlage der Artikel [101 und 102 AEUV] durch die Kommission (ABl. 2004, L 123, S. 18). Diese Vermutung verhindere den vollständigen oder teilweisen Zugang zu den angeforderten Dokumenten einschlief‌llich des Inhaltsverzeichnisses. Drittens wurde die Verweigerung des Zugangs zu den Dokumenten mit dem Fehlen eines überwiegenden öffentlichen Interesses an ihrer Verbreitung im Sinne der Verordnung Nr. 1049/2001 begründet, dem das Interesse der Klägerin an der Erhebung einer Schadensersatzklage nicht gleichgesetzt werden könne. Insbesondere sei das Inhaltsverzeichnis Teil der Akte der nicht abgeschlossenen Rechtssache, so dass es unter die allgemeine Vermutung der Vertraulichkeit falle, die den vollständigen oder teilweisen Zugang zu ihm verhindere.

8 Mit Schreiben vom 13. Juli 2015 beantragte der Rechtsbeistand der Klägerin namens und im Auftrag derselben, ihr Zugang zum EIRD-Beschluss und zum Inhaltsverzeichnis zu gewähren. Der Antrag wurde unter dem Aktenzeichen GESTDEM 2015/4023 registriert (im Folgenden: Zweitverfahren).

9 Mit Schreiben vom 29. Juli 2015 antwortete die GD „Wettbewerb“ der Kommission, dass für die Klägerin bereits zuvor vom Edeka-Verband ein Antrag auf Zugang gestellt worden sei und dass die beiden angeforderten Dokumente, nämlich der EIRD-Beschluss und das Inhaltsverzeichnis, bereits von diesem ersten Antrag und damit von der bestätigenden Entscheidung im ersten Verfahren umfasst gewesen seien (im Folgenden: Erstbescheid im zweiten Verfahren). In diesem Bescheid stellt die GD „Wettbewerb“ im Wesentlichen fest, dass die beiden angeforderten Dokumente zu dem Satz der Dokumente gehörten, zu denen der Zugang bereits im ersten Verfahren verweigert worden sei, so dass die Argumente für eine Ablehnung des vorherigen Antrags, wie sie im Erstbescheid und in der bestätigenden Entscheidung im ersten Verfahren dargelegt worden seien, mutatis mutandis auch für diesen zweiten Antrag gälten.

10 Mit Schreiben vom 10. August 2015 ersuchte die Klägerin das Generalsekretariat der Kommission um Überprüfung des Erstbescheids im zweiten Verfahren.

11 Mit Schreiben vom 3. September 2015 bestätigte der Generalsekretär der Kommission den Erstbescheid im zweiten Verfahren (im Folgenden: angefochtene Entscheidung). Zunächst wies er unter Nr. 1 der angefochtenen Entscheidung darauf hin, dass mit dem Erstbescheid und der bestätigenden Entscheidung im ersten Verfahren der Zugang zu allen Dokumenten des EIRD-Verfahrens unter Berufung auf die Ausnahmevorschriften von Art. 4 Abs. 2 erster und dritter Gedankenstrich und Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 verweigert worden sei, nämlich der Schutz der geschäftlichen Interessen einer natürlichen oder juristischen Person, des Zwecks von Inspektions-, Untersuchungs- und Audittätigkeiten und des Entscheidungsprozesses des Organs. In Nr. 2 der angefochtenen Entscheidung führte der Generalsekretär der Kommission weiter aus, dass im Erstbescheid im zweiten Verfahren klargestellt worden sei, dass die von der Klägerin angeforderten Dokumente, nämlich die nicht vertrauliche Fassung des EIRD-Beschlusses und das Inhaltsverzeichnis, zu dem Satz von Dokumenten des EIRD-Verfahrens gehörten, zu denen der Zugang im Rahmen des ersten Verfahrens, in dem der Edeka-Verband für die Klägerin gehandelt habe, verweigert worden sei. Zudem habe die Kommission die Vorbereitung einer nicht vertraulichen Version des EIRD-Beschlusses noch nicht abgeschlossen, und das EIRD-Verfahren werde gegen Parteien, die nicht zu einem Vergleich bereit gewesen seien, fortgesetzt. Schlief‌llich führte der Generalsekretär der Kommission in Nr. 3 der angefochtenen Entscheidung aus, dass erstens noch immer keine nicht vertrauliche Fassung des EIRD-Beschlusses existiere und es daher unmöglich sei, dem Antrag auf Zugang zu einem nicht existenten Dokument stattzugeben, dass zweitens der Antrag auf Zugang zum Inhaltsverzeichnis vom ersten Verfahren abgedeckt sei, in dessen Rahmen die Klägerin bereits eine ausführliche Erklärung der...

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