Urteile nº T-454/17 of Tribunal General de la Unión Europea, November 08, 2018

Resolution DateNovember 08, 2018
Issuing OrganizationTribunal General de la Unión Europea
Decision NumberT-454/17

„Öffentliche Aufträge - Ausschreibungsverfahren - Ermittlungen eines privaten Prüfers - Ermittlungen des OLAF - Aufdeckung von Unregelmäf‌ligkeiten - Beschluss der Kommission, mit dem eine Verwaltungssanktion gegen den Kläger verhängt wird - Ausschluss von der Teilnahme an Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge und zur Gewährung von Finanzbeihilfen aus dem Gesamthaushaltsplan der Europäischen Union für die Dauer von sechs Monaten - Aufnahme in die Datenbank des Früherkennungs- und Ausschlusssystems - Neues Vorbringen - Verteidigungsrechte“

In der Rechtssache T-454/17

Pro NGO!“ (Non-Governmental-Organisations/Nicht-Regierungs-Organisationen) e. V. mit Sitz in Köln (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt M. Scheid,

Kläger,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch F. Dintilhac und B.-R. Killmann als Bevollmächtigte,

Beklagte,

betreffend eine Klage nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung des Beschlusses der Kommission vom 16. Mai 2017, mit dem gegen den Kläger eine Verwaltungssanktion in Form des Ausschlusses, für die Dauer von sechs Monaten, von der Teilnahme an Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge und zur Gewährung von Finanzbeihilfen aus dem Gesamthaushaltsplan der Europäischen Union nach der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union und zur Aufhebung der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates (ABl. 2012, L 298, S. 1) sowie von der Gewährung von Finanzmitteln nach der Verordnung (EU) 2015/323 des Rates vom 2. März 2015 über die Finanzregelung für den 11. Europäischen Entwicklungsfonds (ABl. 2015, L 58, S. 17) verhängt wurde,

erlässt

DAS GERICHT (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten S. Gervasoni sowie der Richter L. Madise und R. da Silva Passos (Berichterstatter),

Kanzler: E. Coulon,

folgendes

Urteil

Vorgeschichte des Rechtsstreits

1 Der Kläger, der „Pro NGO!“ (Non-Governmental-Organisations/Nicht-Regierungs-Organisationen) e. V., ist ein in Deutschland eingetragener Verein, der Nichtregierungsorganisationen bei der Beantragung von Finanzhilfen für ihre Projekte und bei deren Durchführung berät und unterstützt.

2 Am 15. Juli 2011 unterzeichnete der Kläger eine „Partnerschaftserklärung“ in Bezug auf ein von der Europäischen Kommission finanziell unterstütztes Projekt, mit der er den Hauptantragsteller ermächtigte, einen „Zuschussvertrag mit der Kommission“ zu unterzeichnen und ihn gegenüber der Kommission in allen mit der Umsetzung dieses Projekts zusammenhängenden Angelegenheiten zu vertreten.

3 Am 29. Dezember 2011 schloss die Europäische Union, vertreten durch ihre Delegation in der Republik Moldawien, mit der Organisation „International Society for Human Rights - Moldavian Section“ (im Folgenden: ISHR-MS) einen Zuschussvertrag (im Folgenden: Zuschussvertrag) für das Projekt „Stärkung der moldawischen zivilgesellschaftlichen Organisationen bei der Vorbeugung von HIV/AIDS und der Betreuung weiblicher und jugendlicher Häftlinge“ (im Folgenden: Projekt). Die förderfähigen Gesamtkosten des Projekts wurden mit 517 531 Euro veranschlagt. Für die finanzielle Förderung durch die Union wurde ein Höchstbetrag von 414 025 Euro festgelegt.

4 Nach Art. 5.3 des Anhangs IV des Zuschussvertrags mussten Lieferverträge mit einem Wert von mehr als 10 000 Euro und weniger als 60 000 Euro im Anschluss an ein Verhandlungsverfahren ohne Veröffentlichung einer Bekanntmachung geschlossen werden, wobei die ISHR-MS verpflichtet war, mindestens drei Lieferanten zu konsultieren und mit einem oder mehreren von ihnen über die Vertragsbedingungen zu verhandeln.

5 Am 17. Januar 2012 schlossen die ISHR-MS und der Kläger eine Vereinbarung über die Zusammenarbeit bei der Durchführung des Projekts (im Folgenden: Kooperationsvereinbarung).

6 Eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (im Folgenden: Prüfer) führte im Auftrag der Kommission eine Prüfung des Projekts (im Folgenden: Prüfung) durch. Sie fand in zwei Phasen statt: Die erste Phase, die sich vom 8. bis zum 12. April 2013 erstreckte, betraf den Zeitraum vom 30. Dezember 2011 bis zum 31. Dezember 2012, und die zweite Phase, die sich vom 21. bis zum 23. Juli 2014 erstreckte, betraf den Folgezeitraum bis zum 26. April 2013.

7 Im Anschluss an die erste Prüfungsphase teilte der Prüfer der Kommission mit Schreiben vom 3. Mai 2013 mit, dass er bei einer Besprechung am 9. April 2013 zusätzliche Informationen über das Vergabeverfahren verlangt habe, anhand dessen das mit Verlagsarbeiten für das Projekt betraute Unternehmen ausgewählt worden sei. In diesem Schreiben führt der Prüfer aus, ihm sei vom Kläger und von der ISHR-MS zunächst mitgeteilt worden, dass kein spezielles Verfahren durchgeführt worden sei, weil die fraglichen Beträge in Höhe von insgesamt 42 424,44 Euro unterschiedlichen Haushaltslinien zugeordnet worden seien. Auf‌lerdem habe ihm ein Vertreter des Klägers am Folgetag bei einer Besprechung drei Angebote verschiedener Verlagsgesellschaften vorgelegt und erklärt, dass er die gestellte Frage falsch verstanden habe und dass diese drei Angebote vor der Auswahl des Lieferanten berücksichtigt worden seien.

8 Sodann legte die ISHR-MS dem Prüfer ihre Stellungnahme zu einem Berichtsentwurf vom 17. Oktober 2013 über die erste Prüfungsphase vor. Sie machte dabei u. a. Folgendes geltend: „Der Prüfer fragte uns [bei der Besprechung am 9. April 2013], ob ein Vergabeverfahren [zur Auswahl des Erbringers der Verlagsarbeiten] durchgeführt worden sei. Unsere Antwort war, dass kein Vergabeverfahren stattgefunden hatte, weil die Durchführung eines solchen Verfahrens nach unserem Vertrag nicht erforderlich war. Es gab ein Verhandlungsverfahren ohne Veröffentlichung einer Bekanntmachung. … Gleich am nächsten Morgen legten wir dem Prüfer drei Angebote von drei verschiedenen Verlagen sowie einen Vertrag mit dem ausgewählten Anbieter vor und erläuterten das von uns durchgeführte Verhandlungsverfahren. Es wurde kein weiterer Nachweis verlangt.“

9 Am 23. Januar 2015 verfasste das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) einen Bericht über eine Untersuchung möglicher Unregelmäf‌ligkeiten im Rahmen des Projekts (im Folgenden: OLAF-Bericht).

10 Am 8. September 2015 erstellte der Prüfer seinen endgültigen Prüfbericht (im Folgenden: endgültiger Prüfbericht).

11 Mit Schreiben vom 16. Januar 2017 teilte das gemäf‌l Art. 108 Abs. 5 bis 10 der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union und zur Aufhebung der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates (ABl. 2012, L 298, S. 1) zur Erkennung von Risiken für die finanziellen Interessen der Union und zur Verhängung von Verwaltungssanktionen eingerichtete Gremium (im Folgenden: Gremium) dem Kläger mit, dass es von der Kommission ersucht worden sei, eine Empfehlung abzugeben, bevor eine Entscheidung über den Ausschluss des Klägers von der Teilnahme an Vergabe- und Finanzhilfeverfahren getroffen werde. In Ziff. 3.2 dieses Schreibens heif‌lt es, bei der Prüfung sei festgestellt worden, dass die ISHR-MS kein Vergabeverfahren gemäf‌l Anhang IV des Zuschussvertrags durchgeführt habe. Auf‌lerdem wird dort ausgeführt, dass der Kläger dem Prüfer gefälschte Dokumente vorgelegt habe, um den Eindruck zu erwecken, dass die Vergabeverfahren durchgeführt worden seien.

12 Der Kläger nahm hierzu mit Schreiben vom 30. Januar 2017 Stellung.

13 Mit Schreiben vom 9. Februar und vom 6. März 2017 übermittelte das Gremium dem Kläger weitere Dokumente. Dieser nahm zu ihnen mit Schreiben vom 15. Februar und vom 8. März 2017 Stellung.

14 Am 24. März 2017 gab das Gremium eine Empfehlung ab, in der es der Kommission vorschlug, den Kläger wegen einer schweren Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit für die Dauer von sechs Monaten von der Teilnahme an Vergabe- und Finanzhilfeverfahren auszuschlief‌len.

15 Mit Beschluss vom 24. März 2017 schloss die Kommission die ISHR-MS für die Dauer von zwei Jahren von der Teilnahme an Vergabe- und Finanzhilfeverfahren aus.

16 Der oben in Rn. 14 erwähnten Empfehlung folgend erlief‌l die Kommission den Beschluss vom 16. Mai 2017 über die Verhängung einer Verwaltungssanktion gegen den Kläger, mit der dieser wegen einer schweren Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit für die Dauer von sechs Monaten von der Teilnahme an Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge und zur Gewährung von Finanzbeihilfen aus dem Gesamthaushaltsplan der Europäischen Union nach der Verordnung Nr. 966/2012 sowie von der Gewährung von Finanzmitteln nach der Verordnung (EU) 2015/323 des Rates vom 2. März 2015 über die Finanzregelung für den 11. Europäischen Entwicklungsfonds (ABl. 2015, L 58, S. 17) ausgeschlossen wurde (im Folgenden: angefochtener Beschluss).

17 Im 39. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses führte die Kommission aus, die Tatsache, dass die fraglichen Dokumente auf Betreiben der ISHR-MS angefertigt worden seien, stehe nicht im Widerspruch dazu, dass der Kläger sie dem Prüfer vorgelegt habe, um ihn von der ordnungsgemäf‌len Durchführung der Vergabeverfahren zu überzeugen. Weiter heif‌lt es dort, bereits die Tatsache, dass der Kläger diese Dokumente vorgelegt habe, nachdem er während der Prüfung eingeräumt habe, dass kein Vergabeverfahren durchgeführt worden sei, stelle seine berufliche Integrität in hohem Maf‌l in Frage, auch wenn er die Dokumente nicht selbst erstellt habe.

18 Im 45. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses fügte die Kommission hinzu, dass das Gremium „bei der Eröffnung des kontradiktorischen Verfahrens gegenüber [dem Kläger] auf einen möglichen Ausschluss für ein Jahr hingewiesen [hat], unter Berücksichtigung … des vorsätzlichen Verhaltens [des Klägers], da der erwiesenen Vorlage von Dokumenten über Vergabeverfahren an den privaten Prüfer offensichtlich die Absicht zugrunde gelegen habe, ihn zu täuschen“.

Verfahren und...

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