Urteile nº T-107/17 of Tribunal General de la Unión Europea, May 23, 2019

Resolution DateMay 23, 2019
Issuing OrganizationTribunal General de la Unión Europea
Decision NumberT-107/17

„Auf‌lervertragliche Haftung - Wirtschafts- und Währungspolitik - EZB - Nationale Zentralbanken - Umstrukturierung der griechischen Staatsschuld - Beteiligung des Privatsektors - Umschuldungsklauseln - Obligatorischer Umtausch griechischer Schuldtitel - Private Gläubiger - Stellungnahme der EZB - Hinreichend qualifizierter Verstof‌l gegen eine Rechtsnorm, die dem Einzelnen Rechte verleiht - Grundsatz pacta sunt servanda - Art. 17 Abs. 1 und 2 der Charta der Grundrechte - Art. 63 Abs. 1 AEUV - Art. 124 AEUV“

In der Rechtssache T-107/17

Frank Steinhoff, wohnhaft in Hamburg (Deutschland),

Ewald Filbry, wohnhaft in Dortmund (Deutschland),

Vereinigte Raiffeisenbanken Gräfenberg-Forchheim-Eschenau-Heroldsberg eG mit Sitz in Gräfenberg (Deutschland),

Werner Bäcker, wohnhaft in Rodgau (Deutschland),

EMB Consulting SE mit Sitz in Mühltal (Deutschland),

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte O. Hoepner und D. Unrau,

Kläger,

gegen

Europäische Zentralbank (EZB), vertreten durch O. Heinz und G. Várhelyi als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt H.-G. Kamann,

Beklagte,

betreffend eine Klage nach Art. 268 AEUV auf Ersatz des Schadens, der den Klägern dadurch entstanden sein soll, dass es die EZB in ihrer Stellungnahme vom 17. Februar 2012 (CON/2012/12) versäumt habe, die Hellenische Republik auf die Rechtswidrigkeit der beabsichtigen Umstrukturierung der griechischen Staatsschuld durch den Tausch von Schuldtiteln aufmerksam zu machen,

erlässt

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten S. Frimodt Nielsen, des Richters V. Kreuschitz (Berichterstatter) und der Richterin N. Półtorak,

Kanzler: S. Bukšek Tomac, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 29. Mai 2018,

folgendes

Urteil

Sachverhalt

1 Im Oktober 2009 brach die griechische Staatsschuldenkrise aus, als die griechische Regierung bekannt gab, dass das öffentliche Defizit 12,5 % des Bruttoinlandsprodukts (im Folgenden: BIP) und nicht, wie zuvor veröffentlicht worden war, 3,7 % betragen habe. Dies führte zu einem starken Anstieg der Unsicherheit über die ökonomischen Grundlagen der Hellenischen Republik sowie zu mehreren aufeinanderfolgenden Herabstufungen der Bonität der Hellenischen Republik und einem stetigen Anstieg der Zinsen, die die Finanzmärkte für eine Finanzierung der griechischen Staatsschuld verlangten.

2 Ende April 2010 stufte eine Ratingagentur die Bewertung der griechischen Schuldtitel von BBB- auf BB+ herab, eine Kategorie, bei der die Märkte ein hohes Ausfallrisiko annehmen. So warnte am 27. April 2010 die Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) die Inhaber griechischer Schuldtitel, dass sie im Fall einer Umstrukturierung der griechischen Staatsschuld oder eines Zahlungsausfalls des griechischen Staates eine Chance von durchschnittlich lediglich zwischen 30 % und 50 % hätten, ihr Geld zurückzuerhalten.

3 Da sich die griechische Schuldenkrise auf andere Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets auszuwirken drohte und die Stabilität des gesamten Euro-Währungsgebiets gefährdete, kamen die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets auf der Tagung des Europäischen Rates vom 25. März 2010 überein, einen zwischenstaatlichen Mechanismus zur Unterstützung der Hellenischen Republik in Gestalt koordinierter bilateraler Darlehen zu nicht konzessionären Zinssätzen, d. h. zu Zinssätzen ohne Subventionselement, zu schaffen. Die Auszahlung der Darlehen war an strenge Bedingungen geknüpft und sollte auf Antrag der Hellenischen Republik erfolgen. Der Unterstützungsmechanismus schloss auch eine substanzielle Beteiligung des Internationalen Währungsfonds (im Folgenden: IWF) ein.

4 Am 2. Mai 2010 gaben die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets gemäf‌l dem vorgenannten Unterstützungsmechanismus ihr Einverständnis, der Hellenischen Republik 80 Mrd. Euro innerhalb eines gemeinsam mit dem IWF bewilligten Finanzrahmens von 110 Mrd. Euro zur Verfügung zu stellen.

5 Am 9. Mai 2010 wurde im Rahmen des ECOFIN-Rats ein umfassendes Maf‌lnahmenpaket beschlossen. Dieses beinhaltete zum einen den Erlass der Verordnung (EU) Nr. 407/2010 des Rates vom 11. Mai 2010 zur Einführung eines europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (ABl. 2010, L 118, S. 1) auf der Grundlage von Art. 122 Abs. 2 AEUV und zum anderen die Schaffung der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (im Folgenden: EFSF). Am 7. Juni 2010 wurde die EFSF gegründet, und die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets sowie die EFSF unterzeichneten den Rahmenvertrag, der die Bedingungen festlegte, unter denen die EFSF ihre Stabilitätsunterstützung leisten würde.

6 Mitte des Jahres 2011 begannen die Hellenische Republik, die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets und verschiedene Gläubiger des griechischen Staates, die Einführung eines neuen Finanzhilfeprogramms zu diskutieren. Das allgemeine Ziel dieser Diskussion war es, die Hellenische Republik in die Lage zu versetzen, zu einer tragfähigen finanziellen Situation zurückzukehren. Eines der in Betracht gezogenen Elemente war eine Umstrukturierung der griechischen Staatsschuld, in deren Rahmen die privaten Gläubiger der Hellenischen Republik einen Beitrag zur Senkung dieser Schuldenlast leisten würden, um auf diese Weise die Situation eines Zahlungsausfalls zu verhindern.

7 Im Juni und Juli 2011 stellten die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets und mehrere private Gläubiger des griechischen Staates Vorschläge für eine Umstrukturierung der griechischen Staatsschuld vor.

8 In einer Pressemitteilung des Institute for International Finance (IIF) vom 1. Juli 2011 heif‌lt es u. a.:

„Das Direktorium des Institute for International Finance bemüht sich, gemeinsam mit seinen Mitgliedern und den anderen Finanzinstituten, sowie dem öffentlichen Sektor und den hellenischen Behörden, der [Hellenischen Republik] nicht nur einen substanziellen Beitrag zum Cashflow anzubieten, sondern auch die Bedingungen für eine Verbesserung der Schuldnerposition zu schaffen.

Die private Finanzwirtschaft ist angesichts der einmaligen und auf‌lergewöhnlichen Umstände bereit, gemeinsam durch freiwillige, transparente und breit angelegte Anstrengungen die [Hellenische Republik] zu unterstützen …

Der Beitrag der privaten Investoren ergänzt die finanzielle Hilfe und die Unterstützung durch die öffentliche Hand und beruht auf einer begrenzten Anzahl von Optionen …“

9 Am 21. Juli 2011 trafen sich die Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebiets und der Organe der Europäischen Union, um über Maf‌lnahmen zur Überwindung der Schwierigkeiten zu beraten, denen das Euro-Währungsgebiet ausgesetzt war.

10 In ihrer Gemeinsamen Erklärung vom 21. Juli 2011 heif‌lt es u. a.:

„1. Wir begrüf‌len die Maf‌lnahmen, die die griechische Regierung getroffen hat, um die öffentlichen Finanzen zu stabilisieren und die Wirtschaft zu reformieren, sowie das neue Maf‌lnahmenpaket, einschlief‌llich der Privatisierungen, das unlängst vom [hellenischen] Parlament verabschiedet wurde. Es sind dies beispiellose, aber notwendige Anstrengungen, um der griechischen Wirtschaft wieder zu einem nachhaltigen Wachstum zu verhelfen. Uns ist bewusst, welche Anstrengungen diese Anpassungsmaf‌lnahmen für die griechischen Bürgerinnen und Bürger bedeuten, und wir sind überzeugt, dass diese Opfer unumgänglich sind, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln, und zur künftigen Stabilität und zum Wohl des Landes beitragen werden.

2. Wir sind uns einig, ein neues Programm für die [Hellenische Republik] zu unterstützen und - zusammen mit dem IWF und dem freiwilligen Beitrag des Privatsektors - die Finanzierungslücke vollständig zu schlief‌len. Der Gesamtbetrag der öffentlichen Finanzierung wird etwa 109 Mrd. Euro betragen. Mit diesem Programm sollen, insbesondere über niedrigere Zinssätze und längere Zurückzahlungsfristen, die Verschuldung auf ein deutlich erträglicheres Niveau gesenkt werden und das Refinanzierungsprofil [der Hellenischen Republik] entscheidend verbessert werden. Wir rufen den IWF auf, weiterhin zur Finanzierung des neuen Programms für [die Hellenische Republik] beizutragen. Wir beabsichtigen, für die nächste Auszahlung die [EFSF] als Finanzierungsinstrument zu verwenden.

Wir werden die strikte Einhaltung des Programms auf der Grundlage der regelmäf‌ligen Beurteilungen der [Europäischen] Kommission in Verbindung mit der EZB und dem IWF sehr eng überwachen.

5. Der Finanzsektor hat seine Bereitschaft erklärt, [die Hellenische Republik] auf freiwilliger Basis durch eine Reihe von Optionen zu unterstützen, mit denen die langfristige Tragfähigkeit insgesamt weiter gestärkt wird. Der Beitrag des privaten Sektors wird sich netto auf etwa 37 Mrd. Euro belaufen …“

11 Bezüglich der Beteiligung des Privatsektors heif‌lt es in Nr. 6 der Gemeinsamen Erklärung vom 21. Juli 2011:

„Was unser allgemeines Konzept für die Beteiligung des Privatsektors im Euro-Währungsgebiet betrifft, so möchten wir deutlich machen, dass für [die Hellenische Republik] eine auf‌lergewöhnliche und einmalige Lösung erforderlich ist.“

12 Auf dem Gipfeltreffen vom 26. Oktober 2011 erklärten die Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebiets u. a. Folgendes:

„12. Der Beteiligung des Privatsektors kommt eine zentrale Rolle dabei zu, die Verschuldung [der Hellenischen Republik] auf ein erträgliches Maf‌l zu senken. Wir begrüf‌len daher die laufenden Beratungen zwischen [der Hellenischen Republik] und [ihren] privaten Investoren im Hinblick auf eine Lösung für eine weiter gehende Beteiligung des Privatsektors. Zusammen mit einem ehrgeizigen Reformprogramm der griechischen Wirtschaft sollte die Beteiligung des Privatsektors eine Senkung der griechischen BIP-Defizitquote mit dem Ziel bewirken, bis 2020 eine Quote von 120 % zu erreichen. Zu diesem Zweck ersuchen wir [die Hellenische Republik], die privaten Investoren und alle beteiligten Parteien, einen freiwilligen Umtausch von Anleihen mit einem nominellen Abschlag von 50 % des Nennwerts der von privaten...

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