Urteile nº T-560/18 of Tribunal General de la Unión Europea, October 24, 2019

Resolution DateOctober 24, 2019
Issuing OrganizationTribunal General de la Unión Europea
Decision NumberT-560/18

„Gemeinschaftsgeschmacksmuster - Nichtigkeitsverfahren - Eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster, das ein medizinisches Pflaster darstellt - Offenbarung älterer Geschmacksmuster - Nichtigkeitsgrund - Eigenart - Informierter Benutzer - Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers - Unterschiedlicher Gesamteindruck - Art. 6 und Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 6/2002

In der Rechtssache T-560/18

Atos Medical GmbH mit Sitz in Troisdorf (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwältin K. Middelhoff sowie Rechtsanwälte G. Schoenen und S. Biermann,

Klägerin,

gegen

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch D. Walicka als Bevollmächtigte,

Beklagter,

andere Beteiligte im Verfahren vor der Beschwerdekammer des EUIPO und Streithelferin vor dem Gericht:

Andreas Fahl Medizintechnik-Vertrieb GmbH mit Sitz in Köln (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwältin F. Kramer,

betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Dritten Beschwerdekammer des EUIPO vom 29. Juni 2018 (Sache R 2216/2016-3) zu einem Nichtigkeitsverfahren zwischen Atos Medical und Andreas Fahl Medizintechnik-Vertrieb

erlässt

DAS GERICHT (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten S. Gervasoni (Berichterstatter) sowie der Richter L. Madise und R. da Silva Passos,

Kanzler: R. Ūkelytė, Verwaltungsrätin,

aufgrund der am 13. September 2018 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 7. Dezember 2018 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung des EUIPO,

aufgrund der am 29. November 2018 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung der Streithelferin,

aufgrund der Entscheidung vom 6. Juni 2019, die Rechtssachen T-559/18 und T-560/18 zu gemeinsamem mündlichen Verfahren zu verbinden,

auf die mündliche Verhandlung vom 11. Juli 2019

folgendes

Urteil

Vorgeschichte des Rechtsstreits

1 Am 13. August 2012 meldete die Streithelferin, die Andreas Fahl Medizintechnik-Vertrieb GmbH, nach der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (ABl. 2002, L 3, S. 1) beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster an.

2 Das angemeldete Geschmacksmuster (im Folgenden: angegriffenes Geschmacksmuster) wird nachstehend wiedergegeben:

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3 Das angegriffene Geschmacksmuster wurde unter der Nr. 1339246-0004 eingetragen. Seine Eintragung wurde im Blatt für Gemeinschaftsgeschmacksmuster Nr. 2012/173 vom 10. September 2012 veröffentlicht. Diese Eintragung wurde am 31. Juli 2017 verlängert.

4 Das angegriffene Geschmacksmuster soll für medizinische Pflaster in Klasse 24-04 des Abkommens von Locarno zur Errichtung einer Internationalen Klassifikation für gewerbliche Muster und Modelle vom 8. Oktober 1968 in geänderter Fassung verwendet werden.

5 Am 11. April 2016 stellte die Klägerin, die Atos Medical GmbH, beim EUIPO einen Antrag auf Nichtigerklärung des angegriffenen Geschmacksmusters nach Art. 52 der Verordnung Nr. 6/2002, den sie auf Art. 25 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung stützte.

6 In ihrem Nichtigkeitsantrag machte die Klägerin geltend, das angegriffene Geschmacksmuster erfülle die Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 nicht, da es ihm an Neuheit und Eigenart im Sinne der Art. 5 und 6 dieser Verordnung fehle.

7 Für ihren Nichtigkeitsantrag legte die Klägerin folgende Unterlagen vor:

- die nachstehend abgebildete technische Zeichnung für „Adesive Disc, Flexiderm, Oval“ mit der Angabe „approved by - date 950407“ (genehmigt durch - Datum 950407) (im Folgenden: Zeichnung AS1):

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- die nachstehend abgebildete technische Zeichnung für „Adhesive Disc, Flexiderm, Oval“ mit der Angabe „approved by - date 980414“ (genehmigt durch - Datum 980414) (im Folgenden: Zeichnung AS2):

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- die nachstehend abgebildete technische Zeichnung für „Adhesive Disc, Flexiderm, Oval“ mit der Angabe „approved by - date 000510“ (genehmigt durch - Datum 000510) (im Folgenden: Zeichnung AS4):

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- die nachstehend abgebildete technische Zeichnung für „Adhesive Disc, Flexiderm, Oval“ mit der Angabe „released by - date 2008-06-23“ (offenbart durch - Datum 2008-06-23) (im Folgenden: Zeichnung AS5):

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- die nachstehend abgebildete technische Zeichnung für „Adhesive Disc, OptiDerm, Oval“ mit der Angabe „released by - date 2008-06-23“ (offenbart durch - Datum 2008-06-23) (im Folgenden: Zeichnung AS6):

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- eine eidesstattliche Versicherung des „Vice President Development & Operations“ (Stellvertretender Leiter Entwicklung & Betrieb) der Gesellschaft Atos Medical AB mit Sitz in Schweden (im Folgenden: eidesstattliche Versicherung), wonach diese seit dem Jahr 2000 insbesondere das nachstehend abgebildete Tracheostomapflaster hergestellt und in den Verkehr gebracht habe:

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- die deutsche Patentoffenlegungsschrift Nr. DE 10 2010 048 316 A1 vom 19. April 2012 mit u. a. folgenden Abbildungen (im Folgenden: Zeichnung AS7):

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8 Mit Entscheidung vom 14. November 2016 erklärte die Nichtigkeitsabteilung das angegriffene Geschmacksmuster für nichtig, da es zwar die Voraussetzung der Neuheit erfülle, ihm aber in Ansehung der Zeichnung AS7 die Eigenart fehle.

9 Am 30. November 2016 legte die Streithelferin beim EUIPO nach den Art. 55 bis 60 der Verordnung Nr. 6/2002 Beschwerde gegen die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung ein.

10 Vor der Beschwerdekammer legte die Klägerin unter der Angabe „Beschwerdesache R 2215/2016-3“ und „Angefochtenes Muster: 001339246-0004“ Kopien zweier Produktkataloge aus den Jahren 2002/2003 und 2005 vor, die unter den Bezeichnungen „OptiDerm“ und „FlexiDerm“ u. a. folgende Abbildungen enthalten:

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11 Mit Entscheidung vom 29. Juni 2018 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) hob die Dritte Beschwerdekammer des EUIPO die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung auf und wies den Nichtigkeitsantrag zurück.

12 Sie befand in der angefochtenen Entscheidung, dass nur die Zeichnungen AS4 und AS7 als offenbart anzusehen seien und infolgedessen für die Prüfung der Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters herangezogen werden dürften (Rn. 33 der angefochtenen Entscheidung). Die Gestaltungsfreiheit des Entwerfers sei bei den betreffenden Waren, nämlich Tracheostomapflastern, eingeschränkt (Rn. 36 der angefochtenen Entscheidung). Angesichts der Unterschiede zwischen dem angegriffenen Geschmacksmuster und allen offenbarten älteren Geschmacksmustern riefen die einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster für einen informierten Benutzer jeweils einen anderen Gesamteindruck hervor (Rn. 44 bis 49 der angefochtenen Entscheidung). Entgegen der Ansicht der Nichtigkeitsabteilung stünden die älteren Muster der Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters daher nicht entgegen (Rn. 50 der angefochtenen Entscheidung).

Anträge der Parteien

13 Die Klägerin beantragt,

- die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

- das angegriffene Geschmacksmuster für nichtig zu erklären;

- zum einen dem EUIPO seine eigenen Kosten sowie die Kosten der Klägerin und zum anderen der Streithelferin ihre eigenen Kosten aufzuerlegen.

14 Das EUIPO und die Streithelferin beantragen,

- die Klage abzuweisen;

- der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Rechtliche Würdigung

15 Die Klägerin macht als einzigen Klagegrund geltend, dass dem angegriffenen Geschmacksmuster die Neuheit und die Eigenart im Sinne der Art. 5 und 6 der Verordnung Nr. 6/2002 fehle. Sie bringt dafür eine einheitliche Argumentation vor, die sich zum einen auf die Offenbarung der älteren Geschmacksmuster und zum anderen auf den Vergleich des durch die einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster jeweils hervorgerufenen Gesamteindrucks bezieht.

Zur Zulässigkeit der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Beweise

16 Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung Beweise vorgelegt. Dabei handelt es sich erstens um ein farbiges Dokument mit dem Titel „Bilder aus eidesstattlicher Versicherung …“, das eine Umrisszeichnung sowie ein Foto enthält, und zweitens um ein farbiges Dokument mit dem Titel „Patentoffenlegungsschrift DE … mit eingezeichneten Hilfslinien“.

17 Das EUIPO und die Streithelferin stellen die Zulässigkeit dieser Beweise in Abrede.

18 Die Klage vor dem Gericht ist auf die Kontrolle der Rechtmäfligkeit der von den Beschwerdekammern des EUIPO getroffenen Entscheidungen im Sinne von Art. 61 der Verordnung Nr. 6/2002 gerichtet, so dass es nicht Aufgabe des Gerichts ist, die tatsächlichen Umstände anhand erstmals bei ihm eingereichter Unterlagen zu überprüfen (Urteile vom 13. November 2012, Antrax It/HABM - THC [Heizkörper], T-83/11 und T-84/11, EU:T:2012:592, Rn. 28, und vom 27. Februar 2018, Gramberg/EUIPO - Mahdavi Sabet [Hülle für Mobiltelefon], T-166/15, EU:T:2018:100, Rn. 17).

19 Auflerdem sind gemäfl Art. 85 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts Beweise und Beweisangebote im Rahmen des ersten Schriftsatzwechsels vorzulegen. Nach Art. 85 Abs. 3 der Verfahrensordnung „[können, s]ofern die Verspätung der Vorlage gerechtfertigt ist, … die Hauptparteien ausnahmsweise noch vor Abschluss des mündlichen Verfahrens … Beweise oder Beweisangebote vorlegen“.

20 Die Beschwerdekammer verfügte bei Erlass der angefochtenen Entscheidung nicht über die oben in Rn. 16 genannten Beweise. Insbesondere entsprechen die in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Dokumente in Anbetracht insbesondere ihrer Leserlichkeit und der verwendeten Farben nicht der eidesstattlichen Versicherung und der Zeichnung AS7, die sich in der Akte des EUIPO finden. Die fraglichen Beweise haben sich auflerdem nicht in der Klageschrift oder ihren Anlagen befunden, sondern sind erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht vorgelegt worden, ohne dass die Klägerin etwas vorbringt, um die Verspätung der Vorlage zu rechtfertigen.

21 Daher sind die in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Beweise angesichts sowohl der oben in Rn. 18 angeführten Rechtsprechung als auch der Regelung des Art. 85 der Verfahrensordnung als unzulässig...

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