Conclusiones del Abogado General Sr. M. Campos Sánchez-Bordona, presentadas el 22 de abril de 2021.

JurisdictionEuropean Union
Date22 April 2021
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MANUEL CAMPOS SÁNCHEZ-BORDONA

vom 22. April 2021(1)

Verbundene Rechtssachen C152/20 und C218/20

DG,

EH

gegen

SC Gruber Logistics SRL (C152/20)

und

Sindicatul Lucrătorilor din Transporturi, TD

gegen

SC Samidani Trans SRL (C218/20)

(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunalul Mureş [Landgericht Mureș, Rumänien])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendendes Recht – Verordnung (EG) Nr. 593/2008 – Rechtswahl durch die Parteien – Individualarbeitsverträge – Arbeitnehmer, der seine Arbeit in mehr als einem Mitgliedstaat verrichtet – Ort der gewöhnlichen Verrichtung der Arbeit – Bestimmungen, von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf – Begriff – Mindestlohn“






1. Mit diesen beiden Vorlagen ersucht ein rumänisches Gericht den Gerichtshof um die Auslegung der Art. 3 und 8 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008(2). Es hält diese Auslegung für erforderlich, um über die beiden Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden, in denen Lastwagenfahrer Gehaltsforderungen gegen das in Rumänien ansässige Unternehmen geltend machen, das sie beschäftigt und sie zum Transport von Waren in andere Mitgliedstaaten schickt.

2. Die Vorlagebeschlüsse lassen bei der Darstellung des Sachverhalts einige Details aus, die von Bedeutung sein könnten. Vor allem fehlen Angaben, die es ermöglichen würden, zwischen entsandten Arbeitnehmern und Arbeitnehmern, die, ohne entsandt worden zu sein, ihre Arbeit gewöhnlich in einem anderen Land als dem des Sitzes des Arbeitgebers und des Ortes des Vertragsschlusses verrichten, zu unterscheiden.

3. Da die dem Gerichtshof zur Verfügung gestellten Informationen ungenau sind, lässt sich nicht eindeutig feststellen, ob die Arbeitnehmer, die Kläger in diesen Rechtsstreitigkeiten sind, in die eine oder in die andere Kategorie fallen. Theoretisch ist nicht auszuschließen, dass eine grenzüberschreitende Entsendung von Arbeitnehmern im Sinne der Richtlinie 96/71/EG(3) vorliegt, aber das vorlegende Gericht sieht dies offenbar nicht so, da es seine Fragen ausschließlich im Zusammenhang mit der Rom‑I-Verordnung stellt.

I. Rechtlicher Rahmen

A. Bestimmungen des Unionsrechts – RomI-Verordnung

4. Die Rom‑I-Verordnung hat das Übereinkommen von Rom über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht(4) ersetzt. Sie führt dieses weitgehend fort, auch wenn sie keinen allgemeinen Hinweis darauf enthält. Was den vorliegenden Fall betrifft, entsprechen die Art. 3 und 8 der Rom‑I-Verordnung den Art. 3 und 6 des Übereinkommens von 1980, so dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu diesen Artikeln des Übereinkommens auch für die genannten Artikel der Verordnung heranzuziehen ist(5).

5. Im elften Erwägungsgrund dieser Verordnung heißt es:

„Die freie Rechtswahl der Parteien sollte einer der Ecksteine des Systems der Kollisionsnormen im Bereich der vertraglichen Schuldverhältnisse sein.“

6. Der 23. Erwägungsgrund lautet:

„Bei Verträgen, bei denen die eine Partei als schwächer angesehen wird, sollte die schwächere Partei durch Kollisionsnormen geschützt werden, die für sie günstiger sind als die allgemeinen Regeln.“

7. Im 35. Erwägungsgrund heißt es:

„Den Arbeitnehmern sollte nicht der Schutz entzogen werden, der ihnen durch Bestimmungen gewährt wird, von denen nicht oder nur zu ihrem Vorteil durch Vereinbarung abgewichen werden darf.“

8. Der 36. Erwägungsgrund lautet:

„Bezogen auf Individualarbeitsverträge sollte die Erbringung der Arbeitsleistung in einem anderen Staat als vorübergehend gelten, wenn von dem Arbeitnehmer erwartet wird, dass er nach seinem Arbeitseinsatz im Ausland seine Arbeit im Herkunftsstaat wieder aufnimmt …“.

9. Im 37. Erwägungsgrund heißt es:

„Gründe des öffentlichen Interesses rechtfertigen es, dass die Gerichte der Mitgliedstaaten unter außergewöhnlichen Umständen die Vorbehaltsklausel (‚ordre public‘) und Eingriffsnormen anwenden können. Der Begriff ‚Eingriffsnormen‘ sollte von dem Begriff ‚Bestimmungen, von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden kann‘, unterschieden und enger ausgelegt werden.“

10. Art. 3 („Freie Rechtswahl“) bestimmt:

„(1) Der Vertrag unterliegt dem von den Parteien gewählten Recht. Die Rechtswahl muss ausdrücklich erfolgen oder sich eindeutig aus den Bestimmungen des Vertrags oder aus den Umständen des Falles ergeben. Die Parteien können die Rechtswahl für ihren ganzen Vertrag oder nur für einen Teil desselben treffen.

…“.

11. Art. 8 („Individualarbeitsverträge“) sieht vor:

„(1) Individualarbeitsverträge unterliegen dem von den Parteien nach Artikel 3 gewählten Recht. Die Rechtswahl der Parteien darf jedoch nicht dazu führen, dass dem Arbeitnehmer der Schutz entzogen wird, der ihm durch Bestimmungen gewährt wird, von denen nach dem Recht, das nach den Absätzen 2, 3 und 4 des vorliegenden Artikels mangels einer Rechtswahl anzuwenden wäre, nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf.

(2) Soweit das auf den Arbeitsvertrag anzuwendende Recht nicht durch Rechtswahl bestimmt ist, unterliegt der Arbeitsvertrag dem Recht des Staates, in dem oder andernfalls von dem aus der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrags gewöhnlich seine Arbeit verrichtet. Der Staat, in dem die Arbeit gewöhnlich verrichtet wird, wechselt nicht, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit vorübergehend in einem anderen Staat verrichtet.

(3) Kann das anzuwendende Recht nicht nach Absatz 2 bestimmt werden, so unterliegt der Vertrag dem Recht des Staates, in dem sich die Niederlassung befindet, die den Arbeitnehmer eingestellt hat.

(4) Ergibt sich aus der Gesamtheit der Umstände, dass der Vertrag eine engere Verbindung zu einem anderen als dem in Absatz 2 oder 3 bezeichneten Staat aufweist, ist das Recht dieses anderen Staates anzuwenden.“

B. Nationales Recht – Rumänisches Recht

12. Der Ordinul ministrului muncii și protecției sociale nr. 64/2003 pentru aprobarea modelului-cadru al contractului individual de muncă(6) sieht in Anhang 1 Buchst. N vor, dass in Rumänien geschlossene Individualarbeitsverträge zwingend folgende Klausel enthalten müssen: „Die Bestimmungen des vorliegenden Individualarbeitsvertrags werden durch die Vorschriften des Gesetzes Nr. 53/2003 über das Arbeitsgesetzbuch(7) ergänzt“.

II. Sachverhalt, Rechtsstreitigkeiten und Vorlagefragen

A. Rechtssache C152/20

13. DG und EH, Lastwagenfahrer mit Wohnsitz in Rumänien, schlossen Individualarbeitsverträge mit dem ebenfalls in Rumänien ansässigen Unternehmen SC Gruber Logistics SRL.

14. Die sowohl in rumänischer als auch in italienischer Sprache abgefassten Verträge sahen vor, dass ihre Klauseln durch die Bestimmungen des rumänischen Arbeitsgesetzbuchs ergänzt werden.

15. Zum Arbeitsort sahen die Verträge vor, dass die Tätigkeit am Betriebsstandort Oradea (Rumänien) oder an einem anderen Ort im In- oder Ausland verrichtet wird, an dem ihre Dienste benötigt würden.

16. DG und EH tragen vor, dass sie, obwohl ihre Verträge in Rumänien geschlossen worden seien, gewöhnlich ihre Aufgaben in Italien ausgeübt hätten, von wo aus sie ihre Aufträge durchgeführt hätten. Anschließend seien sie dorthin zurückgekehrt, und in diesem Land hätten sie ihre Anweisungen erhalten und die meisten ihrer Transportaufgaben erfüllt.

17. Daher sind sie der Ansicht, dass gemäß Art. 8 der Rom‑I‑Verordnung die italienischen Vorschriften über Mindestlöhne auf sie anzuwenden seien.

18. Das Arbeitgeberunternehmen tritt diesen Forderungen entgegen und macht geltend, die beiden Fahrer hätten in ihrem Dienst in Rumänien zugelassene Lastkraftwagen gefahren und auf der Grundlage von nach rumänischem Recht erteilten Transportgenehmigungen gearbeitet. Das Unternehmen selbst habe alle Anweisungen erteilt, und die Tätigkeit der Kläger sei in Rumänien organisiert worden. Die in Rede stehenden Arbeitsverträge unterlägen daher dem rumänischen Recht.

19. Vor diesem Hintergrund hat das Tribunalul Mureș (Landgericht Mureș, Rumänien) dem Gerichtshof folgende Fragen vorgelegt:

1. Ist Art. 8 der Rom‑I-Verordnung dahin auszulegen, dass die Wahl des auf einen Individualarbeitsvertrag anwendbaren Rechts die Anwendung des Rechts des Staates ausschließt, in dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Tätigkeit verrichtet hat, oder dahin, dass das Vorliegen einer Rechtswahl die Anwendung von Art. 8 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung ausschließt?

2. Ist Art. 8 der Rom‑I-Verordnung dahin auszulegen, dass der Mindestlohn, der in dem Staat gilt, in dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Tätigkeit ausgeübt hat, ein Recht darstellt, das im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung in den Anwendungsbereich der „Bestimmungen …, von denen nach dem Recht, das … mangels einer Rechtswahl anzuwenden wäre, nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf“, fällt?

3. Ist Art. 3 der Rom‑I-Verordnung dahin auszulegen, dass er es nicht zulässt, dass die Nennung der Vorschriften des rumänischen Arbeitsgesetzbuchs im Individualarbeitsvertrag der Wahl des rumänischen Rechts gleichkommt, wobei in Rumänien bekannt ist, dass die gesetzliche Verpflichtung besteht, diese Rechtswahlklausel in den Individualarbeitsvertrag aufzunehmen? Mit anderen Worten, ist Art. 3 der Rom‑I-Verordnung dahin auszulegen, dass er innerstaatlichen nationalen Vorschriften und Praktiken entgegensteht, nach denen obligatorisch in Individualarbeitsverträgen die Klausel über die Wahl des rumänischen Rechts aufzunehmen ist?

B. Rechtssache Sindicatul Lucrătorilor din Transporturi,
C218/20

20. TD, Mitglied der Gewerkschaft Sindicatul Lucrătorilor din Transporturi, wurde von der Gesellschaft SC Samidani Trans SRL als Lastwagenfahrer eingestellt, um seine Tätigkeit im Gebiet der Europäischen Union auszuüben.

21. In dem in Rumänien geschlossenen Individualarbeitsvertrag war der Ort, an dem der Arbeitnehmer seine Tätigkeit ausüben sollte, nicht ausdrücklich genannt.

22. In den Klauseln dieses Vertrags war vorgesehen: „Die Bestimmungen des vorliegenden...

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