Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato v Comune di Ginosa.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2023:301
Date20 April 2023
Docket NumberC-348/22
Celex Number62022CJ0348
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

20. April 2023(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Dienstleistungen im Binnenmarkt – Richtlinie 2006/123/EG – Gültigkeitsprüfung – Rechtsgrundlage – Art. 47, 55 und 94 EG – Auslegung – Art. 12 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie – Unmittelbare Wirkung – Unbedingter und hinreichend genauer Charakter der Pflicht der Mitgliedstaaten, ein neutrales und transparentes Verfahren zur Auswahl der Bewerber durchzuführen, sowie des Verbots, eine für eine bestimmte Tätigkeit erteilte Genehmigung automatisch zu verlängern – Nationale Regelung, die die automatische Verlängerung von Konzessionen für die Nutzung im öffentlichen Eigentum stehender Liegenschaften am Meer vorsieht“

In der Rechtssache C‑348/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale amministrativo regionale per la Puglia (Regionales Verwaltungsgericht Apulien, Italien) mit Entscheidung vom 11. Mai 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 30. Mai 2022, in dem Verfahren

Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato

gegen

Comune di Ginosa,

Beteiligte:

L’Angolino Soc. coop.,

Lido Orsa Minore di AB,

La Capannina Srl,

Sud Platinum Srl,

Lido Zanzibar Srl,

Poseidone Srl,

Lg Srls,

Lido Franco di GH & C. Snc,

Lido Centrale Piccola Soc. Coop. arl,

Bagno Cesena Srls,

E.T. Edilizia e Turismo Srl,

Bluserena SpA,

Associazione Pro Loco « Luigi Strada »,

M2g Raw Materials SpA,

JF

D.M.D. Snc di CD & C. Snc,

Ro.Mat., di MN & Co Snc,

Perla dello Jonio Srl,

Ditta Individuale EF,

Associazione Dopolavoro Ferroviario Sez. Marina di Ginosa,

Al Capricio Bis di RS,

LB,

Sib Sindacato Italiano Balneari,

Federazione Imprese Demaniali,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe sowie der Richter M. Safjan, N. Piçarra, N. Jääskinen und M. Gavalec (Berichterstatter),

Generalanwältin: T. Ćapeta,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– der Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato und der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. Palmieri, Avvocato dello Stato,

– der Comune di Ginosa, vertreten durch G. Misserini, Avvocato,

– der Sud Platinum Srl, der Lido Zanzibar Srl, der Poseidone Srl, der Lg Srls und der E.T. Edilizia e Turismo Srl, vertreten durch I. Loiodice, N. Maellaro und F. Mazzella, Avvocati,

– der Sib Sindacato Italiano Balneari, vertreten durch A. Capacchione, S. Frandi und B. Ravenna, Avvocati,

– der niederländischen Regierung, vertreten durch K. Bulterman und A. Hanje als Bevollmächtigte,

– der finnischen Regierung, vertreten durch A. Laine und H. Leppo als Bevollmächtigte,

– des Europäischen Parlaments, vertreten durch M. Menegatti und L. Stefani als Bevollmächtigte,

– des Rates der Europäischen Union, vertreten durch A.‑L. Meyer und S. Scarpa Ferraglio als Bevollmächtigte,

– der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Armati, V. Di Bucci, L. Malferrari und M. Mataija als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Gültigkeit der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABl. 2006, L 376, S. 36) sowie die Auslegung von Art. 12 dieser Richtlinie und der Art. 49 und 115 AEUV.

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato (Wettbewerbs- und Marktaufsichtsbehörde, Italien) (im Folgenden: AGCM) und der Comune di Ginosa (Gemeinde Ginosa, Italien) über deren Entscheidung, auf ihrem Gemeindegebiet die Konzessionen für die Nutzung im öffentlichen Eigentum stehender Liegenschaften am Meer bis zum 31. Dezember 2033 zu verlängern.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Primärrecht

3 Art. 47 EG befand sich in Titel III Kapitel 2 („Das Niederlassungsrecht“) des EG-Vertrags und bestimmte in seinem Abs. 2:

„[Um die Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten zu erleichtern,] erlässt der Rat [der Europäischen Union] gemäß dem Verfahren des Artikels 251 Richtlinien zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten. Der Rat beschließt im Rahmen des Verfahrens des Artikels 251 einstimmig über Richtlinien, deren Durchführung in mindestens einem Mitgliedstaat eine Änderung bestehender gesetzlicher Grundsätze der Berufsordnung hinsichtlich der Ausbildung und der Bedingungen für den Zugang natürlicher Personen zum Beruf umfasst. Im Übrigen beschließt der Rat mit qualifizierter Mehrheit.“

4 Art. 55 EG befand sich in Titel III Kapitel 3 („Dienstleistungen“) des EG-Vertrags und lautete wie folgt:

„Die Bestimmungen der Artikel 45 bis 48 finden auf das in diesem Kapitel geregelte Sachgebiet Anwendung.“

5 Art. 94 EG, dem Art. 115 AEUV im Wesentlichen entspricht, bestimmte:

„Der Rat erlässt einstimmig auf Vorschlag der [Europäischen] Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments und des Wirtschafts- und Sozialausschusses Richtlinien für die Angleichung derjenigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken.“

Richtlinie 2006/123

6 In den Erwägungsgründen 1, 5, 12, 64 und 116 der Richtlinie 2006/123 heißt es:

„(1) … Die Beseitigung der Beschränkungen für die Entwicklung von Dienstleistungstätigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten ist ein wichtiges Mittel für ein stärkeres Zusammenwachsen der Völker Europas und für die Förderung eines ausgewogenen und nachhaltigen wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts. …

(5) Es ist deshalb erforderlich, die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit von Dienstleistungserbringern in den Mitgliedstaaten und des freien Dienstleistungsverkehrs zwischen Mitgliedstaaten zu beseitigen und den Dienstleistungsempfängern und ‑erbringern die Rechtssicherheit zu garantieren, die sie für die wirksame Wahrnehmung dieser beiden Grundfreiheiten des [EG‑]Vertrags benötigen. …

(12) Ziel dieser Richtlinie ist die Schaffung eines Rechtsrahmens, der die Niederlassungsfreiheit und den freien Dienstleistungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten garantiert, …

(64) Wenn ein wirklicher Binnenmarkt für Dienstleistungen geschaffen werden soll, müssen die in den Rechtsvorschriften bestimmter Mitgliedstaaten noch enthaltenen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs, die mit Artikel 43 bzw. 49 [EG] unvereinbar sind, beseitigt werden. …

(116) Da die Ziele dieser Richtlinie, nämlich die Beseitigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit von Dienstleistungserbringern in den Mitgliedstaaten und für den freien Dienstleistungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden können und daher wegen des Umfangs der Maßnahme besser auf Gemeinschaftsebene zu verwirklichen sind, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem in Artikel 5 [EG] niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. …“

7 Art. 1 Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:

„Diese Richtlinie enthält allgemeine Bestimmungen, die bei gleichzeitiger Gewährleistung einer hohen Qualität der Dienstleistungen die Wahrnehmung der Niederlassungsfreiheit durch Dienstleistungserbringer sowie den freien Dienstleistungsverkehr erleichtern sollen.“

8 Art. 12 („Auswahl zwischen mehreren Bewerbern“) dieser Richtlinie lautet:

(1) Ist die Zahl der für eine bestimmte Dienstleistungstätigkeit verfügbaren Genehmigungen aufgrund der Knappheit der natürlichen Ressourcen oder der verfügbaren technischen Kapazitäten begrenzt, so wenden die Mitgliedstaaten ein neutrales und transparentes Verfahren zur Auswahl der Bewerber an und machen insbesondere die Eröffnung, den Ablauf und den Ausgang des Verfahrens angemessen bekannt.

(2) In den in Absatz 1 genannten Fällen wird die Genehmigung für einen angemessen befristeten Zeitraum gewährt und darf weder automatisch verlängert werden noch dem Dienstleistungserbringer, dessen Genehmigung gerade abgelaufen ist, oder Personen, die in besonderer Beziehung zu diesem Dienstleistungserbringer stehen, irgendeine andere Begünstigung gewähren.

(3) Vorbehaltlich des Absatzes 1 und der Artikel 9 und 10 können die Mitgliedstaaten bei der Festlegung der Regeln für das Auswahlverfahren unter Beachtung des Gemeinschaftsrechts Überlegungen im Hinblick auf die öffentliche Gesundheit, sozialpolitische Ziele, die Gesundheit und Sicherheit von Arbeitnehmern oder Selbstständigen, den Schutz der Umwelt, die Erhaltung des kulturellen Erbes sowie jeden anderen zwingenden Grund des Allgemeininteresses berücksichtigen.“

9 Art. 44 („Umsetzung“) der Richtlinie 2006/123 sieht in Abs. 1 Unterabs. 1 vor:

„Die Mitgliedstaaten setzen die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie bis spätestens ab dem 28. Dezember 2009 nachzukommen.“

Italienisches Recht

Seeverkehrsgesetz

10 Art. 37 des mit dem Regio decreto n. 327 (Königliches Dekret Nr. 327) vom 30. März 1942 (GURI Nr. 93 vom 18. April 1942) genehmigten Codice della Navigazione (Seeverkehrsgesetz) sah ein Verfahren zur vergleichenden Bewertung der Bewerber nur dann vor, wenn mehrere Anträge auf Gewährung einer Konzession für ein und dieselbe im öffentlichen Eigentum stehende Sache gestellt wurden. Allerdings ging aus Art. 37 Abs. 2 Satz 2 des Seeverkehrsgesetzes hervor, dass dem Inhaber der Konzession der Vorzug zu geben ist, er also einen Anspruch auf „Fortdauer“ oder „Verlängerung“ hatte.

Gesetzesdekret Nr. 194/2009

11 Art. 1 Abs. 18 des Decreto-legge n. 194 – Proroga di termini previsti da disposizioni legislative (Gesetzesdekret Nr. 194 über die Verlängerung gesetzlich vorgesehener Fristen) vom 30...

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