Christian Louboutin contre Amazon Europe Core Sàrl e.a.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2022:1016
Date22 December 2022
Docket NumberC-148/21
Celex Number62021CJ0148
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

22. Dezember 2022(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Unionsmarke – Verordnung (EU) 2017/1001 – Art. 9 Abs. 2 Buchst. a – Rechte aus der Unionsmarke – Begriff ‚Benutzung‘ – Betreiber einer Online-Verkaufsplattform mit integriertem Online-Marktplatz – Anzeigen, die auf diesem Marktplatz von Drittanbietern veröffentlicht werden, die in diesen Anzeigen ein mit einer fremden Marke identisches Zeichen für Waren benutzen, die mit denjenigen identisch sind, für die diese Marke eingetragen ist – Wahrnehmung dieses Zeichens als fester Bestandteil der kommerziellen Kommunikation dieses Betreibers – Präsentationsweise der Anzeigen, die es nicht ermöglicht, die Angebote des Betreibers klar von denen der Drittanbieter zu unterscheiden“

In den verbundenen Rechtssachen C‑148/21 und C‑184/21

betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal d’arrondissement de Luxembourg (Bezirksgericht Luxemburg, Luxemburg) und vom Tribunal de l’entreprise francophone de Bruxelles (französischsprachiges Unternehmensgericht von Brüssel, Belgien) mit Entscheidungen vom 5. März 2021 und vom 22. März 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 8. März 2021 bzw. am 24. März 2021, in den Verfahren

Christian Louboutin

gegen

Amazon Europe Core Sàrl (C‑148/21),

Amazon EU Sàrl (C‑148/21),

Amazon Services Europe Sàrl (C‑148/21),

Amazon.com Inc. (C‑184/21),

Amazon Services LLC (C‑184/21)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten L. Bay Larsen, der Kammerpräsidentinnen A. Prechal und K. Jürimäe, der Kammerpräsidenten C. Lycourgos, M. Safjan, P. G. Xuereb und D. Gratsias, der Kammerpräsidentin M. L. Arastey Sahún, der Richter M. Ilešič (Berichterstatter) und F. Biltgen, der Richterin I. Ziemele sowie des Richters J. Passer,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: V. Giacobbo, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 22. Februar 2022,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– von Christian Louboutin, vertreten durch M. Decker, N. Decker und T. van Innis, Avocats,

– der Amazon Europe Core Sàrl, der Amazon EU Sàrl und der Amazon Services Europe Sàrl, vertreten durch Rechtsanwältin S. Ampatziadis, Rechtsanwälte H. Bälz, A. Conrad und F. Seip sowie E. Taelman, Advocaat,

– der Amazon.com Inc. und der Amazon Services LLC, vertreten durch L. Depypere, Advocaat, R. Dupont, Avocat, und T. Heremans, Advocaat,

– der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller, U. Bartl und M. Hellmann als Bevollmächtigte,

– der Europäischen Kommission, vertreten durch É. Gippini Fournier, S. L. Kalėda und J. Samnadda als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 2. Juni 2022

folgendes

Urteil

1 Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 9 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke (ABl. 2017, L 154, S. 1).

2 Sie ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten, in denen Herr Christian Louboutin zum einen (Rechtssache C‑148/21) der Amazon Europe Core Sàrl, der Amazon EU Sàrl und der Amazon Services Europe Sàrl sowie zum anderen (Rechtssache C‑184/21) der Amazon.com Inc. und der Amazon Services LLC (im Folgenden zusammen und unterschiedslos in beiden Rechtssachen: Amazon) gegenübersteht. Gegenstand dieser Rechtsstreitigkeiten ist, dass Amazon Zeichen, die mit der Unionsmarke, deren Inhaber Herr Louboutin ist, identisch sind, ohne die Zustimmung von Herrn Louboutin für Waren benutzt haben soll, die mit denjenigen identisch sind, für die diese Marke eingetragen ist.

Rechtlicher Rahmen

Verordnung 2017/1001

3 Art. 9 („Rechte aus der Unionsmarke“) in Kapitel II Abschnitt 2 („Wirkungen der Unionsmarke“) der Verordnung 2017/1001 sieht in den Abs. 1 bis 3 vor:

„(1) Mit der Eintragung einer Unionsmarke erwirbt ihr Inhaber ein ausschließliches Recht an ihr.

(2) Der Inhaber dieser Unionsmarke hat unbeschadet der von Inhabern vor dem Zeitpunkt der Anmeldung oder dem Prioritätstag der Unionsmarke erworbenen Rechte das Recht, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr ein Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, wenn

a) das Zeichen mit der Unionsmarke identisch ist und für Waren oder Dienstleistungen benutzt wird, die mit denjenigen identisch sind, für die die Unionsmarke eingetragen ist;

(3) Sind die Voraussetzungen des Absatzes 2 erfüllt, so kann insbesondere verboten werden,

b) unter dem Zeichen Waren anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken zu besitzen oder unter dem Zeichen Dienstleistungen anzubieten oder zu erbringen;

e) das Zeichen in den Geschäftspapieren und in der Werbung zu benutzen;

f) das Zeichen in der vergleichenden Werbung in einer der Richtlinie 2006/114/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über irreführende und vergleichende Werbung (ABl. 2006, L 376, S. 21)] zuwiderlaufenden Weise zu benutzen.“

Richtlinie 2004/48/EG

4 Art. 11 („Gerichtliche Anordnungen“) der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (ABl. 2004, L 157, S. 45, berichtigt in ABl. 2004, L 195, S. 16) sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Gerichte bei Feststellung einer Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums eine Anordnung gegen den Verletzer erlassen können, die ihm die weitere Verletzung des betreffenden Rechts untersagt. Sofern dies nach dem Recht eines Mitgliedstaats vorgesehen ist, werden im Falle einer Missachtung dieser Anordnung in geeigneten Fällen Zwangsgelder verhängt, um die Einhaltung der Anordnung zu gewährleisten. Unbeschadet des Artikels 8 Absatz 3 der Richtlinie 2001/29/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. 2001, L 167, S. 10)] stellen die Mitgliedstaaten ferner sicher, dass die Rechtsinhaber eine Anordnung gegen Mittelspersonen beantragen können, deren Dienste von einem Dritten zwecks Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums in Anspruch genommen werden.“

Richtlinie 2000/31/EG

5 Art. 14 („Hosting“) der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) (ABl. 2000, L 178, S. 1) bestimmt in Abs. 1:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass im Fall eines Dienstes der Informationsgesellschaft, der in der Speicherung von durch einen Nutzer eingegebenen Informationen besteht, der Diensteanbieter nicht für die im Auftrag eines Nutzers gespeicherten Informationen verantwortlich ist, sofern folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

a) Der Anbieter hat keine tatsächliche Kenntnis von der rechtswidrigen Tätigkeit oder Information, und, in Bezug auf Schadenersatzansprüche, ist er sich auch keiner Tatsachen oder Umstände bewusst, aus denen die rechtswidrige Tätigkeit oder Information offensichtlich wird, oder

b) der Anbieter wird, sobald er diese Kenntnis oder dieses Bewusstsein erlangt, unverzüglich tätig, um die Information zu entfernen oder den Zugang zu ihr zu sperren.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

6 Herr Louboutin ist ein französischer Designer von Luxusschuhen und ‑handtaschen, dessen bekannteste Waren hochhackige Damenschuhe sind. Seit Mitte der 1990er Jahre bringt er an seinen hochhackigen Schuhen eine Außensohle an, deren rote Farbe im Pantone-Farbsystem dem Code 18‑1663TP entspricht.

7 Diese auf der Sohle eines hochhackigen Schuhs aufgebrachte Farbe ist gemäß dem Benelux-Übereinkommen über geistiges Eigentum (Marken und Muster oder Modelle) vom 25. Februar 2005, unterzeichnet in Den Haag vom Königreich Belgien, dem Großherzogtum Luxemburg und dem Königreich der Niederlande, als Benelux-Marke eingetragen. Dieselbe Marke ist seit dem 10. Mai 2016 als Unionsmarke (im Folgenden: fragliche Marke) eingetragen.

8 Amazon betreibt Websites für den Online-Verkauf unterschiedlicher Waren, die sie sowohl direkt im eigenen Namen und für eigene Rechnung als auch indirekt durch Bereitstellung eines Online-Marktplatzes für andere Händler anbietet. Der Versand der von diesen anderen Händlern auf diesem Online-Marktplatz zum Verkauf angebotenen Waren kann entweder von diesen Händlern selbst oder von Amazon übernommen werden. Im letzteren Fall lagert Amazon die betreffenden Waren in ihren Vertriebszentren und versendet sie aus ihren eigenen Lagern an die Käufer.

9 Auf den Websites von Amazon erscheinen regelmäßig Verkaufsanzeigen für rotbesohlte Schuhe, die laut Herrn Louboutin ohne seine Zustimmung in Verkehr gebracht worden sind.

Rechtssache C148/21

10 Am 19. September 2019 erhob Herr Louboutin beim Tribunal d’arrondissement de Luxembourg (Bezirksgericht Luxemburg, Luxemburg), dem vorlegenden Gericht in der Rechtssache C‑148/21, eine Klage gegen Amazon, mit der er eine Verletzung seiner ausschließlichen Rechte aus der fraglichen Marke geltend macht. Herr Louboutin beantragt, die Verantwortlichkeit von Amazon für die Verletzung der fraglichen Marke festzustellen, ihr unter Androhung eines Zwangsgelds aufzugeben, die Benutzung von mit dieser Marke identischen Zeichen im geschäftlichen Verkehr im gesamten Gebiet der Europäischen Union mit Ausnahme des Benelux-Gebiets zu unterlassen, sowie sie zum Ersatz des durch die fraglichen Benutzungshandlungen entstandenen Schadens zu verurteilen.

11 Die Klage beruht auf Art. 9 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung 2017/1001. Herr Louboutin macht geltend, Amazon habe ohne seine Zustimmung ein mit der fraglichen Marke identisches Zeichen für Waren benutzt, die mit denjenigen identisch seien, für die diese...

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