European Commission v Slovak Republic.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2022:22
Docket NumberC-683/20
Date13 January 2022
Celex Number62020CJ0683
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)

13. Januar 2022(*)

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Umwelt – Richtlinie 2002/49/EG – Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm – Hauptverkehrsstraßen und Haupteisenbahnstrecken – Art. 8 Abs. 2 – Aktionspläne – Art. 10 Abs. 2 – Anhang VI – Zusammenfassungen von Aktionsplänen – Keine fristgerechte Übermittlung an die Kommission“

In der Rechtssache C‑683/20

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 17. Dezember 2020,

Europäische Kommission, vertreten durch R. Lindenthal und M. Noll-Ehlers als Bevollmächtigte,

Klägerin,

gegen

Slowakische Republik, vertreten durch B. Ricziová als Bevollmächtigte,

Beklagte,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten der Siebten Kammer J. Passer (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Achten Kammer sowie der Richter F. Biltgen und N. Wahl,

Generalanwalt: P. Pikamäe,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1 Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass die Slowakische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 8 Abs. 2 und Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2002/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Juni 2002 über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm (ABl. 2002, L 189, S. 12) in Verbindung mit Anhang VI dieser Richtlinie verstoßen hat, dass sie für die im Anhang des vorliegenden Urteils genannten Hauptverkehrsstraßen und Haupteisenbahnstrecken keine Aktionspläne ausgearbeitet und der Kommission keine Zusammenfassungen dieser Aktionspläne übermittelt hat.

Rechtlicher Rahmen

2 In Art. 3 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 2002/49 heißt es:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

n) ‚Hauptverkehrsstraße‘ eine vom Mitgliedstaat angegebene regionale, nationale oder grenzüberschreitende Straße mit einem Verkehrsaufkommen von über drei Millionen Kraftfahrzeugen pro Jahr;

o) ‚Haupteisenbahnstrecke‘ eine vom Mitgliedstaat angegebene Eisenbahnstrecke mit einem Verkehrsaufkommen von über 30 000 Zügen pro Jahr;

t) ‚Aktionsplan‘ einen Plan zur Regelung von Lärmproblemen und von Lärmauswirkungen, erforderlichenfalls einschließlich der Lärmminderung;

…“

3 Art. 8 („Aktionspläne“) dieser Richtlinie sieht vor:

„…

(2) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die zuständigen Behörden bis zum 18. Juli 2013 Aktionspläne, insbesondere zur Durchführung der vorrangigen Maßnahmen, die gegebenenfalls wegen des Überschreitens relevanter Grenzwerte oder aufgrund anderer von den Mitgliedstaaten festgelegter Kriterien ermittelt wurden, für die Ballungsräume sowie für die Hauptverkehrsstraßen und Haupteisenbahnstrecken in ihrem Hoheitsgebiet ausgearbeitet haben.

(5) Die Aktionspläne werden im Fall einer bedeutsamen Entwicklung, die sich auf die bestehende Lärmsituation auswirkt, und mindestens alle fünf Jahre nach dem Zeitpunkt ihrer Genehmigung überprüft und erforderlichenfalls überarbeitet.

(7) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die Öffentlichkeit zu Vorschlägen für Aktionspläne gehört wird, dass sie rechtzeitig und effektiv die Möglichkeit erhält, an der Ausarbeitung und der Überprüfung der Aktionspläne mitzuwirken, dass die Ergebnisse dieser Mitwirkung berücksichtigt werden und dass die Öffentlichkeit über die getroffenen Entscheidungen unterrichtet wird. Es sind angemessene Fristen mit einer ausreichenden Zeitspanne für jede Phase der Mitwirkung der Öffentlichkeit vorzusehen.

Ergibt sich die Verpflichtung, ein Verfahren zur Mitwirkung der Öffentlichkeit durchzuführen, gleichzeitig aus dieser Richtlinie und aus anderen [Vorschriften des Unionsrechts], so können die Mitgliedstaaten zur Vermeidung von Überschneidungen gemeinsame Verfahren vorsehen.“

4 Art. 10 („Sammlung und Veröffentlichung von Daten durch die Mitgliedstaaten und die Kommission“) Abs. 2 der Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die in Anhang VI genannten Informationen aus den strategischen Lärmkarten und die dort genannten Zusammenfassungen der Aktionspläne binnen sechs Monaten nach den in Artikel 7 bzw. Artikel 8 genannten Zeitpunkten der Kommission übermittelt werden.“

5 In Anhang V der Richtlinie sind Mindestanforderungen für Aktionspläne vorgesehen.

6 In Anhang VI der Richtlinie sind die der Kommission zu übermittelnden Angaben festgelegt, darunter u. a. zu Hauptverkehrsstraßen, Haupteisenbahnstrecken und Großflughäfen „[e]ine Zusammenfassung des Aktionsplans von nicht mehr als 10 Seiten mit den in Anhang V genannten relevanten Angaben“.

Vorverfahren

7 Am 25. Juni 2010 übermittelten die slowakischen Behörden der Kommission über das elektronische Portal Reportnet des Europäischen Umweltinformations- und Umweltbeobachtungsnetzes (Eionet) eine Liste der in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2002/49 fallenden Ballungsräume, Hauptverkehrsstraßen, Haupteisenbahnstrecken und Großflughäfen. Am 16. Januar 2014 aktualisierten sie diese Liste in Bezug auf die Haupteisenbahnstrecken.

8 Nach einem ersten Schriftwechsel richteten die Kommissionsdienststellen am 27. März 2015 im Rahmen des EU-Pilotverfahrens 7453/15/ENVI eine Anfrage bezüglich der Umsetzung der Richtlinie 2002/49 an die slowakischen Behörden.

9 Am 26. Mai 2015 antworteten die slowakischen Behörden auf diese Anfrage und aktualisierten am 24. Juli 2015 die Angaben in Bezug auf die Ballungsräume und Hauptverkehrsstraßen.

10 Am 29. April 2016 richtete die Kommission ein Aufforderungsschreiben an die Slowakische Republik, in dem sie mehrere Verstöße gegen die Verpflichtungen dieses Mitgliedstaates aus der Richtlinie 2002/49 feststellte, insbesondere gegen die in Art. 8 Abs. 2 vorgesehene Verpflichtung zur Ausarbeitung von Aktionsplänen sowie die in Art. 10 Abs. 2 in Verbindung mit den Anhängen V und VI dieser Richtlinie vorgesehene Verpflichtung, der Kommission die Zusammenfassungen dieser Aktionspläne zu übermitteln.

11 Die Slowakische Republik antwortete auf dieses Aufforderungsschreiben mit Schreiben vom 17. Juni 2016.

12 Nach Prüfung dieser Antwort und der in der Folge übermittelten Informationen richtete die Kommission am 15. Juni 2017 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Slowakische Republik. In dieser Stellungnahme stellte sie u. a. fest, dass dieser Mitgliedstaat, unter Verstoß gegen Art. 8 Abs. 2 und 4 in Verbindung mit Anhang V der Richtlinie 2002/49, für 462 Hauptverkehrsstraßen und 16 Haupteisenbahnstrecken keine Aktionspläne ausgearbeitet und, unter Verstoß gegen Art. 10 Abs. 2 in Verbindung mit den Anhängen V und VI dieser Richtlinie, keine Zusammenfassungen der Aktionspläne für diese Hauptverkehrsstraßen und Haupteisenbahnstrecken übermittelt habe. Die Kommission setzte der Slowakischen Republik eine Frist von zwei Monaten nach Erhalt dieser Stellungnahme, um die zur Beendigung dieser Verstöße erforderlichen Maßnahmen zu treffen.

13 Mit Schreiben vom 24. Juli 2017 teilte die Slowakische Republik mit, sie sei nicht in der Lage gewesen, den Verpflichtungen aus der Richtlinie 2002/49 in vollem Umfang und rechtzeitig nachzukommen, da die Straßeninfrastruktur- und Eisenbahnbetreiber ihre gesetzlichen Verpflichtungen nicht fristgemäß erfüllt hätten. Sie teilte der Kommission zudem mit, dass 17 Aktionspläne für Hauptverkehrsstraßen in Ausarbeitung seien.

14 Am 21. August und 10. September 2020 übermittelten die slowakischen Behörden dem Netz Eionet neue Informationen zu den Hauptverkehrsstraßen und Haupteisenbahnstrecken.

15 Da die Slowakische Republik nach Ansicht der Kommission ihren Verpflichtungen aus Art. 8 Abs. 2 und Art. 10 Abs. 2 in Verbindung mit Anhang VI der Richtlinie 2002/49 nicht nachgekommen war, hat die Kommission die vorliegende Klage erhoben.

Zur Klage

Vorbringen der Parteien

16 Zwar erkennt die Kommission an, dass die Slowakische Republik seit Einleitung des Verfahrens einige Fortschritte bei der Umsetzung der Richtlinie 2002/49 erzielt habe, doch habe dieser Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtung gemäß Art. 10 Abs. 2 in Verbindung mit Anhang VI der Richtlinie 2002/49 verstoßen, der Kommission Zusammenfassungen der Aktionspläne für 445 Hauptverkehrsstraßen außerhalb von Ballungsräumen und 16 Haupteisenbahnstrecken außerhalb von Ballungsräumen zu übermitteln. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte schließt die Kommission daraus, dass die Slowakische Republik keine Aktionspläne für diese Straßen und Strecken ausgearbeitet und somit gegen ihre Verpflichtung aus Art. 8 Abs. 2 dieser Richtlinie verstoßen habe.

17 Die Slowakische Republik räumt ein, den Verpflichtungen aus Art. 8 Abs. 2 und Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2002/49 verspätet nachgekommen zu sein. Sie ist gleichwohl der Auffassung, die vorliegende Klage habe sich erledigt.

18 Nachdem sie der Kommission nämlich am 10. September 2020 ein Dokument von Juli 2013 mit dem Titel „Aktionsplan für den Schutz vor Lärm, der von bestimmten Haupteisenbahnstrecken ausgeht, die von der nationalen slowakischen Eisenbahngesellschaft (ŽSR) betrieben werden und 2011 in Betrieb waren – Zusammenfassung“ übermittelt habe und am 31. Dezember 2020 ein Dokument von November 2020 mit dem Titel „Aktionsplan für den Schutz vor Lärm, der von bestimmten Hauptverkehrsstraßen ausgeht, die von der slowakischen Straßenverwaltung (SSC) betrieben werden (Stand 2011) – Zusammenfassung“, bestehe die angebliche Vertragsverletzung nicht mehr.

19 In der Erwiderung bestreitet die Kommission die Relevanz dieser Dokumente. Diese bezögen sich nämlich auf öffentliche Anhörungen, die im Jahr 2020...

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