Conclusiones del Abogado General Sr. J. Richard de la Tour, presentadas el 27 de enero de 2022.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2022:62
Celex Number62020CC0534
Date27 January 2022
CourtCourt of Justice (European Union)

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

JEAN RICHARD DE LA TOUR

vom 27. Januar 2022(1)

Rechtssache C534/20

Leistritz AG

gegen

LH

(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesarbeitsgerichts [Deutschland])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten – Verordnung (EU) 2016/679 – Art. 38 Abs. 3 Satz 2 – Datenschutzbeauftragter – Verbot der Abberufung wegen der Erfüllung seiner Aufgaben – Rechtsgrundlage – Art. 16 AEUV – Gültigkeit – Erfordernis funktioneller Unabhängigkeit – Umfang der Harmonisierung – Nationale Regelung, die es verbietet, einem Datenschutzbeauftragten zu kündigen, wenn kein wichtiger Grund vorliegt – Datenschutzbeauftragter, dessen Benennung nach dem nationalen Recht verpflichtend ist“






I. Einleitung

1. Das Vorabentscheidungsersuchen des Bundesarbeitsgerichts (Deutschland) betrifft die Auslegung und die Gültigkeit von Art. 38 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung)(2).

2. Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen LH und ihrem Arbeitgeber, der Leistritz AG, über die Beendigung ihres Arbeitsvertrags wegen einer Umstrukturierung der Abteilungen des Unternehmens, obwohl LH nach dem anwendbaren deutschen Recht aufgrund ihrer Benennung als Datenschutzbeauftragte nur aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden kann.

3. In den vorliegenden Schlussanträgen werde ich darlegen, weshalb ich der Ansicht bin, dass sich das in Art. 38 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung 2016/679 vorgesehene Verbot der Abberufung des Datenschutzbeauftragten nicht aus einer Harmonisierung der materiell-arbeitsrechtlichen Regelungen ergibt, was den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eröffnet, den Schutz des Datenschutzbeauftragten in ihren nationalen Rechtsvorschriften in verschiedenen Bereichen entsprechend dem mit dieser Verordnung verfolgten Ziel zu stärken.

II. Rechtlicher Rahmen

A. Verordnung 2016/679

4. In den Erwägungsgründen 10, 13 und 97 der Verordnung 2016/679 heißt es:

„(10) Um ein gleichmäßiges und hohes Datenschutzniveau für natürliche Personen zu gewährleisten und die Hemmnisse für den Verkehr personenbezogener Daten in der [Europäischen] Union zu beseitigen, sollte das Schutzniveau für die Rechte und Freiheiten von natürlichen Personen bei der Verarbeitung dieser Daten in allen Mitgliedstaaten gleichwertig sein. Die Vorschriften zum Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten von natürlichen Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten sollten unionsweit gleichmäßig und einheitlich angewandt werden. …

(13) Damit in der Union ein gleichmäßiges Datenschutzniveau für natürliche Personen gewährleistet ist und Unterschiede, die den freien Verkehr personenbezogener Daten im Binnenmarkt behindern könnten, beseitigt werden, ist eine Verordnung erforderlich, die für die Wirtschaftsteilnehmer einschließlich Kleinstunternehmen sowie kleiner und mittlerer Unternehmen Rechtssicherheit und Transparenz schafft, natürliche Personen in allen Mitgliedstaaten mit demselben Niveau an durchsetzbaren Rechten ausstattet, dieselben Pflichten und Zuständigkeiten für die Verantwortlichen und Auftragsverarbeiter vorsieht und eine gleichmäßige Kontrolle der Verarbeitung personenbezogener Daten und gleichwertige Sanktionen in allen Mitgliedstaaten sowie eine wirksame Zusammenarbeit zwischen den Aufsichtsbehörden der einzelnen Mitgliedstaaten gewährleistet. …

(97) … [Die] Datenschutzbeauftragte[n] sollten unabhängig davon, ob es sich bei ihnen um Beschäftigte des Verantwortlichen handelt oder nicht, ihre Pflichten und Aufgaben in vollständiger Unabhängigkeit ausüben können.“

5. Art. 1 („Gegenstand und Ziele“) dieser Verordnung bestimmt in Abs. 1:

„Diese Verordnung enthält Vorschriften zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Verkehr solcher Daten.“

6. Art. 37 („Benennung eines Datenschutzbeauftragten“) dieser Verordnung bestimmt in den Abs. 1 und 4 bis 6:

„(1) Der Verantwortliche und der Auftragsverarbeiter benennen auf jeden Fall einen Datenschutzbeauftragten, wenn

a) die Verarbeitung von einer Behörde oder öffentlichen Stelle durchgeführt wird, mit Ausnahme von Gerichten, soweit sie im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit handeln,

b) die Kerntätigkeit des Verantwortlichen oder des Auftragsverarbeiters in der Durchführung von Verarbeitungsvorgängen besteht, welche aufgrund ihrer Art, ihres Umfangs und/oder ihrer Zwecke eine umfangreiche regelmäßige und systematische Überwachung von betroffenen Personen erforderlich machen, oder

c) die Kerntätigkeit des Verantwortlichen oder des Auftragsverarbeiters in der umfangreichen Verarbeitung besonderer Kategorien von Daten gemäß Artikel 9 oder von personenbezogenen Daten über strafrechtliche Verurteilungen und Straftaten gemäß Artikel 10 besteht.

(4) In anderen als den in Absatz 1 genannten Fällen können der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter oder Verbände und andere Vereinigungen, die Kategorien von Verantwortlichen oder Auftragsverarbeitern vertreten, einen Datenschutzbeauftragten benennen; falls dies nach dem Recht der Union oder der Mitgliedstaaten vorgeschrieben ist, müssen sie einen solchen benennen. Der Datenschutzbeauftragte kann für derartige Verbände und andere Vereinigungen, die Verantwortliche oder Auftragsverarbeiter vertreten, handeln.

(5) Der Datenschutzbeauftragte wird auf der Grundlage seiner beruflichen Qualifikation und insbesondere des Fachwissens benannt, das er auf dem Gebiet des Datenschutzrechts und der Datenschutzpraxis besitzt, sowie auf der Grundlage seiner Fähigkeit zur Erfüllung der in Artikel 39 genannten Aufgaben.

(6) Der Datenschutzbeauftragte kann Beschäftigter des Verantwortlichen oder des Auftragsverarbeiters sein oder seine Aufgaben auf der Grundlage eines Dienstleistungsvertrags erfüllen.“

7. Art. 38 („Stellung des Datenschutzbeauftragten“) dieser Verordnung sieht vor:

„(1) Der Verantwortliche und der Auftragsverarbeiter stellen sicher, dass der Datenschutzbeauftragte ordnungsgemäß und frühzeitig in alle mit dem Schutz personenbezogener Daten zusammenhängenden Fragen eingebunden wird.

(3) Der Verantwortliche und der Auftragsverarbeiter stellen sicher, dass der Datenschutzbeauftragte bei der Erfüllung seiner Aufgaben keine Anweisungen bezüglich der Ausübung dieser Aufgaben erhält. Der Datenschutzbeauftragte darf von dem Verantwortlichen oder dem Auftragsverarbeiter wegen der Erfüllung seiner Aufgaben nicht abberufen oder benachteiligt werden. Der Datenschutzbeauftragte berichtet unmittelbar der höchsten Managementebene des Verantwortlichen oder des Auftragsverarbeiters.

(4) Betroffene Personen können den Datenschutzbeauftragten zu allen mit der Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten und mit der Wahrnehmung ihrer Rechte gemäß dieser Verordnung im Zusammenhang stehenden Fragen zu Rate ziehen.

(5) Der Datenschutzbeauftragte ist nach dem Recht der Union oder der Mitgliedstaaten bei der Erfüllung seiner Aufgaben an die Wahrung der Geheimhaltung oder der Vertraulichkeit gebunden.

(6) Der Datenschutzbeauftragte kann andere Aufgaben und Pflichten wahrnehmen. Der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter stellt sicher, dass derartige Aufgaben und Pflichten nicht zu einem Interessenkonflikt führen.“

8. Art. 39 der Verordnung 2016/679 nennt die Hauptaufgaben des Datenschutzbeauftragten.

B. Deutsches Recht

9. § 6 („Stellung“) des Bundesdatenschutzgesetzes vom 20. Dezember 1990(3) in seiner vom 25. Mai 2018 bis 25. November 2019 geltenden Fassung(4) bestimmt in Abs. 4:

„Die Abberufung der oder des Datenschutzbeauftragten ist nur in entsprechender Anwendung des § 626 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zulässig. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses ist unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, welche die öffentliche Stelle zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen. Nach dem Ende der Tätigkeit als Datenschutzbeauftragte oder als Datenschutzbeauftragter ist die Kündigung des Arbeitsverhältnisses innerhalb eines Jahres unzulässig, es sei denn, dass die öffentliche Stelle zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigt ist.“

10. § 38 („Datenschutzbeauftragte nichtöffentlicher Stellen“) BDSG sieht vor:

„(1) Ergänzend zu Artikel 37 Absatz 1 Buchstabe b und c der Verordnung … 2016/679 benennen der Verantwortliche und der Auftragsverarbeiter eine Datenschutzbeauftragte oder einen Datenschutzbeauftragten, soweit sie in der Regel mindestens zehn[(5)] Personen ständig mit der automatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten beschäftigen. …

(2) § 6 Absatz 4, 5 Satz 2 und Absatz 6 finden Anwendung, § 6 Absatz 4 jedoch nur, wenn die Benennung einer oder eines Datenschutzbeauftragten verpflichtend ist.“

11. § 134 („Gesetzliches Verbot“) des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002(6) lautet:

„Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.“

12. § 626 („Fristlose Kündigung aus wichtigem Grund“) des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestimmt:

„(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen...

To continue reading

Request your trial

VLEX uses login cookies to provide you with a better browsing experience. If you click on 'Accept' or continue browsing this site we consider that you accept our cookie policy. ACCEPT