Opinion of Advocate General Richard de la Tour delivered on 25 January 2024.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2024:88
Date25 January 2024
Celex Number62022CC0757
CourtCourt of Justice (European Union)

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

JEAN RICHARD DE LA TOUR

vom 25. Januar 2024(1)

Rechtssache C757/22

Meta Platforms Ireland Limited

gegen

Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände – Verbraucherzentrale Bundesverband e. V.

(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs [Deutschland])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten – Verordnung (EU) 2016/679 – Art. 12 Abs. 1 Satz 1 – Transparente Information – Art. 13 Abs. 1 Buchst. c und e – Informationspflicht des Verantwortlichen – Art. 80 Abs. 2 – Vertretung betroffener Personen durch einen Verband zur Wahrung von Verbraucherinteressen – Verbandsklage ohne Auftrag und unabhängig von der Verletzung konkreter Rechte einer betroffenen Person – Auf eine Verletzung der Informationspflicht des Verantwortlichen gestützte Klage – Begriff ‚Verletzung der Rechte einer betroffenen Person ʹinfolge einer Verarbeitungʹ‘“






I. Vorgeschichte der Rechtssache, Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits und neue Vorlagefrage

1. In der vorliegenden Rechtssache legt der Bundesgerichtshof (Deutschland) erneut eine Frage zur Auslegung von Art. 80 Abs. 2 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung)(2) zur Vorabentscheidung vor.

2. Nach der genannten Bestimmung können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass jede Einrichtung, Organisation oder Vereinigung unabhängig von einem Auftrag der betroffenen Person in diesem Mitgliedstaat das Recht hat, bei der gemäß Art. 77 DSGVO zuständigen Aufsichtsbehörde eine Beschwerde einzulegen und die in den Art. 78 und 79 dieser Verordnung aufgeführten Rechte in Anspruch zu nehmen, wenn ihres Erachtens die Rechte einer betroffenen Person gemäß der Verordnung infolge einer Verarbeitung personenbezogener Daten verletzt worden sind.

3. Das Vorabentscheidungsersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Meta Platforms Ireland Limited, vormals Facebook Ireland Limited, deren Sitz sich in Irland befindet, und dem Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände – Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. (Deutschland) (im Folgenden: Bundesverband) wegen eines angeblichen Verstoßes von Meta Platforms Ireland gegen die deutschen Rechtsvorschriften über den Schutz personenbezogener Daten, der zugleich eine unlautere Geschäftspraxis, einen Verstoß gegen ein Verbraucherschutzgesetz und einen Verstoß gegen das Verbot der Verwendung unwirksamer Allgemeiner Geschäftsbedingungen darstelle.

4. Es handelt sich um denselben Rechtsstreit wie in der Rechtssache, in der das Urteil vom 28. April 2022, Meta Platforms Ireland(3), ergangen ist, dessen Sachverhalt sich wie folgt zusammenfassen lässt(4).

5. Meta Platforms Ireland, die das Angebot der Dienste des sozialen Netzwerks Facebook in der Europäischen Union betreibt, ist die für die Verarbeitung personenbezogener Daten von Nutzern dieses sozialen Netzwerks in der Union Verantwortliche. Die Facebook Germany GmbH mit Sitz in Deutschland bewirbt unter der Adresse www.facebook.de den Verkauf von Werbeflächen. Auf der Internetplattform Facebook befindet sich, u. a. unter der Internetadresse www.facebook.de, ein sogenanntes „App-Zentrum“, in dem Meta Platforms Ireland ihren Nutzern kostenlose Spiele von Drittanbietern zugänglich macht. Wenn der Nutzer des App-Zentrums bestimmte dieser Spiele aufruft, erscheint der Hinweis, dass die Nutzung der betreffenden Anwendung es der Spielegesellschaft ermögliche, eine Reihe von personenbezogenen Daten zu erheben, und sie dazu berechtige, im Namen dieses Nutzers Informationen, wie etwa seinen Punktestand, zu veröffentlichen. Mit der Nutzung stimmt der Nutzer den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Anwendung und der Datenschutzpolitik der Spielegesellschaft zu. Außerdem wird bei einem bestimmten Spiel darauf hingewiesen, dass die Anwendung im Namen des Nutzers Statusmeldungen, Fotos und weitere Informationen veröffentlichen dürfe.

6. Der Bundesverband, bei dem es sich um eine qualifizierte Einrichtung im Sinne von § 4 des Gesetzes über Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechts- und anderen Verstößen vom 26. November 2001 (Unterlassungsklagengesetz – UKlaG)(5) handelt, hält die Hinweise der betreffenden Spiele im App-Zentrum für unlauter, und zwar u. a. unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs wegen Verstoßes gegen gesetzliche Anforderungen an die Einholung einer wirksamen datenschutzrechtlichen Einwilligung des Nutzers. Außerdem stelle der Hinweis, dass die Anwendung berechtigt sei, bestimmte personenbezogene Informationen des Nutzers in seinem Namen zu veröffentlichen, eine den Nutzer unangemessen benachteiligende Allgemeine Geschäftsbedingung dar.

7. In diesem Zusammenhang erhob der Bundesverband beim Landgericht Berlin (Deutschland) gegen Meta Platforms Ireland eine Unterlassungsklage, die auf § 3a des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 3. Juli 2004(6), § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 11 UKlaG und das Bürgerliche Gesetzbuch (im Folgenden: BGB) gestützt wurde. Die Klage wurde unabhängig von der konkreten Verletzung von Datenschutzrechten einer betroffenen Person und ohne Auftrag einer solchen Person erhoben.

8. Das Landgericht Berlin verurteilte Meta Platforms Ireland entsprechend den Anträgen des Bundesverbands. Die von Meta Platforms Ireland beim Kammergericht Berlin (Deutschland) eingelegte Berufung wurde zurückgewiesen. Meta Platforms Ireland legte daraufhin gegen die zurückweisende Entscheidung des Berufungsgerichts beim vorlegenden Gericht Revision ein.

9. Im Rahmen der Revision hielt das vorlegende Gericht die Klage des Bundesverbands für begründet, da Meta Platforms Ireland gegen § 3a UWG und § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 11 UKlaG verstoßen und unwirksame Allgemeine Geschäftsbedingungen gemäß § 1 UKlaG verwendet habe.

10. Das vorlegende Gericht hegte jedoch Zweifel an der Zulässigkeit der Klage des Bundesverbands. Es fragte sich insbesondere, ob sich die Klagebefugnis des Bundesverbands aus Art. 80 Abs. 2 DSGVO ergeben konnte. Deshalb richtete es eine Vorlagefrage an den Gerichtshof, um eine Auslegung dieser Vorschrift zu erhalten.

11. In Beantwortung der Frage entschied der Gerichtshof in seinem Urteil Meta Platforms Ireland, dass Art. 80 Abs. 2 DSGVO dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung, nach der ein Verband zur Wahrung von Verbraucherinteressen gegen den mutmaßlichen Verletzer des Schutzes personenbezogener Daten ohne entsprechenden Auftrag und unabhängig von der Verletzung konkreter Rechte betroffener Personen Klage mit der Begründung erheben kann, dass gegen das Verbot der Vornahme unlauterer Geschäftspraktiken, ein Verbraucherschutzgesetz oder das Verbot der Verwendung unwirksamer Allgemeiner Geschäftsbedingungen verstoßen worden sei, nicht entgegensteht, sofern die betreffende Datenverarbeitung die Rechte identifizierter oder identifizierbarer natürlicher Personen aus dieser Verordnung beeinträchtigen kann(7).

12. Damit präzisierte der Gerichtshof den sachlichen Anwendungsbereich des in Art. 80 Abs. 2 DSGVO vorgesehenen Mechanismus der Verbandsklage gegen den mutmaßlichen Verletzer des Schutzes personenbezogener Daten.

13. Insbesondere entschied der Gerichtshof, dass von einer Einrichtung, die die in Art. 80 Abs. 1 DSGVO erwähnten Voraussetzungen erfüllt, für die Zwecke der Erhebung einer solchen Verbandsklage nicht verlangt werden kann, dass sie die Person, die von einer Verarbeitung von Daten, die mutmaßlich gegen die Bestimmungen dieser Verordnung verstößt, konkret betroffen ist, im Voraus individuell ermittelt(8). Daher kann die Benennung einer Kategorie oder Gruppe von Personen, die von einer solchen Verarbeitung betroffen sind, auch für die Erhebung dieser Verbandsklage ausreichen(9).

14. Darüber hinaus stellte der Gerichtshof fest, dass die Erhebung einer Verbandsklage nach Art. 80 Abs. 2 DSGVO auch nicht daran geknüpft ist, dass eine konkrete Verletzung der Rechte einer Person aus den Datenschutzvorschriften vorliegt(10). Nach Auffassung des Gerichtshofs setzt die Erhebung einer Verbandsklage nämlich lediglich voraus, dass die in dieser Bestimmung genannte Einrichtung „ihres Erachtens“ davon ausgeht, dass die Rechte einer betroffenen Person gemäß dieser Verordnung infolge einer Verarbeitung personenbezogener Daten dieser Person verletzt worden seien, und somit eine Datenverarbeitung behauptet, die gegen die Bestimmungen der Verordnung verstoße(11). Folglich reicht es für die Anerkennung der Klagebefugnis einer solchen Einrichtung nach der besagten Vorschrift aus, geltend zu machen, dass die betreffende Datenverarbeitung die Rechte identifizierter oder identifizierbarer natürlicher Personen aus dieser Verordnung beeinträchtigen könne, ohne dass ein der betroffenen Person in einer bestimmten Situation durch die Verletzung ihrer Rechte tatsächlich entstandener Schaden nachgewiesen werden müsste(12).

15. Auch wenn das vorlegende Gericht damit vom Gerichtshof bereits Hinweise erhalten hat, um feststellen zu können, ob die vom Bundesverband erhobene Unterlassungsklage im Hinblick auf die in Art. 80 Abs. 2 DSGVO vorgesehenen Voraussetzungen als zulässig angesehen werden kann, ist es der Ansicht, dass noch ein Zweifel über die Auslegung dieser Vorschrift ausgeräumt werden müsse. Die Klagebefugnis des Bundesverbands hänge nämlich davon ab, ob diese Einrichtung im Sinne der genannten Bestimmung in ihrer Klage geltend mache, die Rechte einer betroffenen Person gemäß der DSGVO seien „infolge einer Verarbeitung“ verletzt...

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