Opinion of Advocate General Medina delivered on 21 September 2023.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2023:700
Date21 September 2023
Celex Number62022CC0334
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

LAILA MEDINA

vom 21. September 2023(1)

Rechtssache C334/22

Audi AG

gegen

GQ

(Vorabentscheidungsersuchen des Sąd Okręgowy w Warszawie [Regionalgericht Warschau, Polen])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verordnung (EU) 2017/1001 – Art. 9 Abs. 2 und 3 – Rechte aus einer Unionsmarke – Benutzung eines identischen oder ähnlichen Zeichens durch einen Dritten im Geschäftsverkehr – Autoersatzteile – Kühlergrills – Montageteil zum Einsetzen des Emblems des Automobilherstellers – Art. 14 Abs. 1 Buchst. c und Abs. 2 – Begrenzung der Wirkungen der Unionsmarke – Benutzung eines identischen oder ähnlichen Zeichens, um auf den Zweck einer Ware als Zubehör oder Ersatzteil hinzuweisen – Anständige Gepflogenheiten in Gewerbe oder Handel – Beurteilungskriterien“






I. Einleitung

1. Dieses Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 9 Abs. 2 und 3 der Verordnung (EU) 2017/1001(2) sowie von Art. 14 Abs. 1 Buchst. c und Abs. 2 dieser Verordnung.

2. Es ergeht in einem Verfahren zwischen der Audi AG, einem Hersteller von Automobilen und Automobilzubehör, und GQ, einem Großhändler für Ersatzteile, der diese Teile über eine Webseite verkauft. Der Rechtsstreit betrifft eine angebliche Verletzung der Rechte, die der Audi AG durch eine Unionsbildmarke, deren Inhaberin sie ist, verliehen wurden, durch GQ.

3. Im vorliegenden Fall geht es um den Schutzzweck des ausschließlichen Rechts, das eine Unionsmarke ihrem Inhaber verleiht, und um die Beschränkungen der Wirkungen dieser Marke, um einem Dritten zu ermöglichen, sie im Geschäftsverkehr zu benutzen. Der Fall bietet dem Gerichtshof Gelegenheit, seine Rechtsprechung zur Auslegung der Verordnung 2017/1001 in Bezug auf die Vermarktung von Ersatzteilen, insbesondere für Autos, zu präzisieren.

II. Rechtlicher Rahmen

A. Verordnung 2017/1001

4. In Art. 9 („Rechte aus der Unionsmarke“) der Verordnung 2017/1001 sieht vor:

„(1) Mit der Eintragung einer Unionsmarke erwirbt ihr Inhaber ein ausschließliches Recht an ihr.

(2) Der Inhaber dieser Unionsmarke hat unbeschadet der von Inhabern vor dem Zeitpunkt der Anmeldung oder dem Prioritätstag der Unionsmarke erworbenen Rechte das Recht, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr ein Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, wenn

a) das Zeichen mit der Unionsmarke identisch ist und für Waren oder Dienstleistungen benutzt wird, die mit denjenigen identisch sind, für die die Unionsmarke eingetragen ist;

b) das Zeichen mit der Marke identisch oder ihr ähnlich ist und für Waren oder Dienstleistungen benutzt wird, die mit denjenigen identisch oder ihnen ähnlich sind, für die die Marke eingetragen ist, und für das Publikum die Gefahr einer Verwechslung besteht, die die Gefahr einschließt, dass das Zeichen mit der Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird;

(3) Sind die Voraussetzungen des Absatzes 2 erfüllt, so kann insbesondere verboten werden,

a) das Zeichen auf Waren oder deren Verpackung anzubringen;

b) unter dem Zeichen Waren anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken zu besitzen oder unter dem Zeichen Dienstleistungen anzubieten oder zu erbringen;

c) Waren unter dem Zeichen einzuführen oder auszuführen;

…“

5. Art. 14 („Beschränkung der Wirkungen der Unionsmarke“) der Verordnung 2017/1001 bestimmt:

„(1) Die Unionsmarke gewährt ihrem Inhaber nicht das Recht, einem Dritten zu verbieten, Folgendes im geschäftlichen Verkehr zu benutzen:

c) die Unionsmarke zu Zwecken der Identifizierung oder zum Verweis auf Waren oder Dienstleistungen als die des Inhabers dieser Marke, insbesondere wenn die Benutzung der Marke als Hinweis auf die Bestimmung einer Ware, insbesondere als Zubehör oder Ersatzteil, oder einer Dienstleistung erforderlich ist.

(2) Absatz 1 findet nur dann Anwendung, wenn die Benutzung durch den Dritten den anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe oder Handel entspricht.“

B. Verordnung (EG) Nr. 6/2002

6. Art. 19 („Rechte aus dem Gemeinschaftsgeschmacksmuster“) der Verordnung (EG) Nr. 6/2002(3) bestimmt:

„(1) Das eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster gewährt seinem Inhaber das ausschließliche Recht, es zu benutzen und Dritten zu verbieten, es ohne seine Zustimmung zu benutzen. Die erwähnte Benutzung schließt insbesondere die Herstellung, das Anbieten, das Inverkehrbringen, die Einfuhr, die Ausfuhr oder die Benutzung eines Erzeugnisses, in das das Muster aufgenommen oder bei dem es verwendet wird, oder den Besitz des Erzeugnisses zu den genannten Zwecken ein.

…“

7. Art. 110 („Übergangsbestimmungen“) der Verordnung Nr. 6/2002 sieht vor:

„(1) Bis zu dem Zeitpunkt, zu dem auf Vorschlag der Kommission Änderungen zu dieser Verordnung in Kraft treten, besteht für ein Muster, das als Bauelement eines komplexen Erzeugnisses im Sinne des Artikels 19 Absatz 1 mit dem Ziel verwendet wird, die Reparatur dieses komplexen Erzeugnisses zu ermöglichen, um diesem wieder sein ursprüngliches Erscheinungsbild zu verleihen, kein Schutz als Gemeinschaftsgeschmacksmuster.

…“

III. Sachverhalt und Vorlagefragen

8. Die Klägerin, die Audi AG, ist ein Unternehmen mit Sitz in Ingolstadt (Deutschland), das ausschließliche Rechte an der nachstehend abgebildeten, unter der Nr. 000018762 u. a. in Klasse 12 der Nizza-Klassifikation (Fahrzeuge, Ersatzteile, Fahrzeugzubehör) eingetragenen Unionsbildmarke hat. Die Marke ist ein Zeichen, das aus vier horizontal nebeneinander gestellten und sich überlappenden Ringen besteht, das die Klägerin vervielfältigt und als ihr Emblem benutzt:

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9. Der Beklagte, GQ, ist eine natürliche Person und im Verkauf von Autoersatzteilen tätig. Er bietet diese Waren Kunden nicht direkt an, sondern verkauft sie an andere Händler. Von 1986 bis 2017 bewarb der Beklagte auf seiner Webseite Kühlergrills, die für Audi-Modelle der 1980er und 1990er Jahre gestaltet und gedacht waren, und bot sie zum Kauf an. Diese Kühlergrills hatten, wie die Original-Kühlergrills, eine eingeschnittene Stelle, die für die Anbringung des Emblems des Automobilherstellers vorgesehen war und die dem Erscheinungsbild der Unionsmarke der Klägerin entsprach.

10. Seit 2017 reichte die Klägerin Klagen gegen die Beklagte ein, die darauf abzielten, das Angebot zum Verkauf von nachgebauten Ersatzteilen zu unterbinden, bei denen die Form bestimmter Elemente der Marke der Klägerin teilweise oder vollständig entsprach. Insbesondere beantragte die Klägerin im Mai 2020 beim Sąd Okręgowy w Warszawie (Regionalgericht Warschau), dem vorlegenden Gericht, eine einstweilige Verfügung, um dem Beklagten zu verbieten, nachgebaute Kühlergrills mit einem Zeichen, das mit ihrer Unionsmarke identisch oder ihr ähnlich ist, zu importieren, anzubieten, zu vermarkten und zu bewerben. Die Klägerin beantragte auch die Vernichtung von 70 solcher Fahrzeugkühlerabdeckungen, die vom Zoll beschlagnahmt worden waren.

11. Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts muss es für eine Entscheidung in dieser Sache klären, ob sich der Schutzumfang der Unionsmarke der Klägerin – die dem Gericht zufolge eine hohe Unterscheidungskraft besitzt, in Polen allgemein bekannt ist und eindeutig mit der Klägerin in Verbindung gebracht wird – auch auf das Teil erstreckt, mit dem das Emblem des Automobilherstellers auf einem Kühlergrill angebracht und befestigt werden kann und das in seiner Form mit dieser Marke identisch ist oder ihr zum Verwechseln ähnlich sieht.

12. Insbesondere bezweifelt das vorlegende Gericht erstens, ob das Teil für die Anbringung und die Befestigung des Emblems des Automobilherstellers auf einem Kühlergrill die Funktion einer Marke erfüllt, nämlich einen Hinweis auf die Herkunft der Ware zu geben. Dieser Zweifel ergibt sich selbst dann, wenn man annimmt, dass das besagte Teil der Form des Emblems des Automobilherstellers entspricht und daher als mit der Unionsmarke identisch oder ihr wenigstens zum Verwechseln ähnlich angesehen werden kann.

13. In diesem Zusammenhang weist das vorlegende Gericht den Gerichtshof darauf hin, dass es im Unionsmarkenrecht keine Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 entsprechende Vorschrift – die Reparaturklausel – gibt, die in Bezug auf Gemeinschaftsgeschmacksmuster den Schutz für ein Geschmacksmuster ausschließt, das als Bauelement eines komplexen Erzeugnisses mit dem Ziel verwendet wird, die Reparatur dieses komplexen Erzeugnisses zu ermöglichen, um diesem wieder sein ursprüngliches Erscheinungsbild zu verleihen. Des Weiteren ist es der Ansicht, dass sich die Auslegung von Art. 9 Abs. 2 und 3 der Verordnung 2017/1001 vom Zweck des Unionsmarkenrechts leiten lassen sollte, unverfälschten Wettbewerb und das Interesse der Verbraucher zu schützen, beim Kauf zwischen Original- oder Nachbauersatzteilen wählen zu können.

14. Wenn akzeptiert würde, dass das Bauelement für das Einsetzen und Anbringen des Emblems des Automobilherstellers auf einem Kühlergrill die Funktion einer Marke erfüllt, würde sich nach Ansicht des vorlegenden Gerichts zweitens die Frage stellen, ob Art. 14 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung 2017/1001 einem Verkäufer von Ersatzteilen erlaubt, nachgebaute Kühlergrills mit einem solchen Element zu vermarkten. Für den Fall, dass dies bejaht wird, fragt sich das vorlegende Gericht, welche Beurteilungskriterien zur Klärung der Frage angewendet werden sollten, ob die Benutzung der Unionsmarke mit den anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe oder Handel in Einklang steht, wie es von Art. 14 Abs. 2 der Verordnung 2017/1001 verlangt wird.

15. Unter diesen Umständen hat der Sąd Okręgowy w Warszawie (Regionalgericht Warschau) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

a) Ist Art. 14 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung 2017/1001 dahin auszulegen, dass er dem entgegensteht, dass ein Inhaber einer Marke bzw. ein Gericht einem Dritten verbietet, im geschäftlichen Verkehr ein mit einer Unionsmarke identisches oder zum Verwechseln ähnliches Zeichen bei...

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