Opinion of Advocate General Szpunar delivered on 14 July 2022.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2022:587
Date14 July 2022
Celex Number62021CC0354
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MACIEJ SZPUNAR

vom 14. Juli 2022(1)

Rechtssache C354/21

R.J.R.,

Beteiligter:

Registrų centras

(Vorabentscheidungsersuchen des Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas [Oberstes Verwaltungsgericht Litauens])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Verordnung (EU) Nr. 650/2012 – Europäisches Nachlasszeugnis – Wirkungen des Zeugnisses – Grenzen – Eintragung von Nachlassvermögen in das Grundbuch – Versagung“






I. Einleitung

1. Eine Frau lebt in Deutschland, ebenso wie ihr Sohn. Sie verstirbt und hinterlässt ihn als Alleinerben. Sie besaß in Deutschland und Litauen Immobilien. Ihr Sohn erhält von den deutschen Behörden ein Europäisches Nachlasszeugnis, aus dem hervorgeht, dass er der Alleinerbe des gesamten Vermögens der Erblasserin ist. Er legt dieses Zeugnis den litauischen Behörden vor und beantragt die Eintragung einer Immobilie in das Grundbuch. Die litauischen Behörden weisen den Antrag mit der Begründung zurück, dass das Nachlasszeugnis unvollständig sei.

2. Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen wirft somit die schwierige Frage auf, wie die Anwendungsbereiche der lex successionis und der lex registrii abzugrenzen sind. Insbesondere ist fraglich, wie die Zuständigkeiten zwischen der Behörde, die ein Europäisches Nachlasszeugnis ausstellt, und der Grundbuchbehörde eines anderen Mitgliedstaats verteilt sind.

II. Rechtlicher Rahmen

A. Unionsrecht

1. Verordnung (EU) Nr. 650/2012

3. Art. 1 („Anwendungsbereich“) der Verordnung (EU) Nr. 650/2012(2) bestimmt:

„(1) Diese Verordnung ist auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwenden. Sie gilt nicht für Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten.

(2) Vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen sind:

k) die Art der dinglichen Rechte und

l) jede Eintragung von Rechten an beweglichen oder unbeweglichen Vermögensgegenständen in einem Register, einschließlich der gesetzlichen Voraussetzungen für eine solche Eintragung, sowie die Wirkungen der Eintragung oder der fehlenden Eintragung solcher Rechte in einem Register.“

4. Kapitel VI („Europäisches Nachlasszeugnis“) dieser Verordnung umfasst deren Art. 62 bis 73.

5. Art. 62 („Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses“) Abs. 1 und 3 der Verordnung bestimmt:

„(1) Mit dieser Verordnung wird ein Europäisches Nachlasszeugnis (im Folgenden ‚Zeugnis‘) eingeführt, das zur Verwendung in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wird und die in Artikel 69 aufgeführten Wirkungen entfaltet.

(3) Das Zeugnis tritt nicht an die Stelle der innerstaatlichen Schriftstücke, die in den Mitgliedstaaten zu ähnlichen Zwecken verwendet werden. Nach seiner Ausstellung zur Verwendung in einem anderen Mitgliedstaat entfaltet das Zeugnis die in Artikel 69 aufgeführten Wirkungen jedoch auch in dem Mitgliedstaat, dessen Behörden es nach diesem Kapitel ausgestellt haben.“

6. Art. 63 („Zweck des Zeugnisses“) Abs. 1 und 2 der Verordnung sieht vor:

„(1) Das Zeugnis ist zur Verwendung durch Erben … bestimmt, die sich in einem anderen Mitgliedstaat auf ihre Rechtsstellung berufen oder ihre Rechte als Erben … ausüben müssen.

(2) Das Zeugnis kann insbesondere als Nachweis für einen oder mehrere der folgenden speziellen Aspekte verwendet werden:

b) die Zuweisung eines bestimmten Vermögenswerts oder bestimmter Vermögenswerte des Nachlasses an die in dem Zeugnis als Erbe(n) oder gegebenenfalls als Vermächtnisnehmer genannte(n) Person(en);

…“

7. Art. 67 („Ausstellung des Zeugnisses“) Abs. 1 der Verordnung Nr. 650/2012 sieht vor:

„Die Ausstellungsbehörde stellt das Zeugnis unverzüglich nach dem in diesem Kapitel festgelegten Verfahren aus, wenn der zu bescheinigende Sachverhalt nach dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht oder jedem anderen auf einen spezifischen Sachverhalt anzuwendenden Recht feststeht. Sie verwendet das nach dem Beratungsverfahren nach Artikel 81 Absatz 2 erstellte Formblatt.“

8. Art. 68 („Inhalt des Nachlasszeugnisses“) dieser Verordnung bestimmt:

„Das Zeugnis enthält folgende Angaben, soweit dies für die Zwecke, zu denen es ausgestellt wird, erforderlich ist:

l) den Erbteil jedes Erben und gegebenenfalls das Verzeichnis der Rechte und/oder Vermögenswerte, die einem bestimmten Erben zustehen;

…“

9. Art. 69 („Wirkungen des Zeugnisses“) der Verordnung sieht vor:

„(1) Das Zeugnis entfaltet seine Wirkungen in allen Mitgliedstaaten, ohne dass es eines besonderen Verfahrens bedarf.

(2) Es wird vermutet, dass das Zeugnis die Sachverhalte, die nach dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht oder einem anderen auf spezifische Sachverhalte anzuwendenden Recht festgestellt wurden, zutreffend ausweist. Es wird vermutet, dass die Person, die im Zeugnis als Erbe … genannt ist, die in dem Zeugnis genannte Rechtsstellung und/oder die in dem Zeugnis aufgeführten Rechte oder Befugnisse hat und dass diese Rechte oder Befugnisse keinen anderen als den im Zeugnis aufgeführten Bedingungen und/oder Beschränkungen unterliegen.

(5) Das Zeugnis stellt ein wirksames Schriftstück für die Eintragung des Nachlassvermögens in das einschlägige Register eines Mitgliedstaats dar, unbeschadet des Artikels 1 Absatz 2 Buchstaben k und l.“

2. Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1329/2014

10. Art. 1 Abs. 5 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1329/2014(3) lautet:

„Für das Europäische Nachlasszeugnis gemäß Artikel 67 Absatz 1 der [Verordnung Nr. 650/2012] ist das Formblatt V in Anhang 5 [(im Folgenden: Formblatt V)] zu verwenden.“

11. Im Formblatt V werden verschiedene Anlagen aufgelistet, darunter Anlage IV mit dem Titel „Stellung und Rechte des/der Erben (OBLIGATORISCH, falls diese durch das Zeugnis bestätigt werden sollen)“.

12. In Nr. 9 dieser Anlage IV geht es darum, den oder die „[d]em Erben zugewiesene[(n)] Vermögenswert(e), für den/die eine Bescheinigung beantragt wurde“, zu identifizieren. Es wird verlangt, die betreffenden Werte anzugeben und alle für deren Identifizierung relevanten Angaben zu machen. Außerdem heißt es in Fn. 13 zu dieser Nr. 9: „Im Falle eines eingetragenen Vermögensgegenstands teilen Sie bitte die Angaben mit, die nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem das Register geführt wird, zur Identifizierung des betreffenden Gegenstands erforderlich sind (z. B. bei Immobilien die genaue Anschrift der Immobilie, das Grundbuchamt, die Flurstücks- oder Katasternummer, eine Beschreibung der Immobilie) (fügen Sie nötigenfalls die relevanten Dokumente bei).“

B. Litauisches Recht

13. Das Lietuvos Respublikos nekilnojamojo turto registro įstatymas (Gesetz der Republik Litauen über das Grundbuch) in der durch das Gesetz Nr. XII‑1833 vom 23. Juni 2015 geänderten Fassung (im Folgenden: Grundbuchgesetz) bestimmt in Art. 5 Abs. 2, dass die Grundbuchbehörde nach Maßgabe dieses Gesetzes für die Richtigkeit und den Schutz der im Grundbuch erfassten Daten verantwortlich ist. Die Grundbuchbehörde ist nur dafür verantwortlich, dass die im Grundbuch eingetragenen Angaben den Urkunden entsprechen, auf deren Grundlage die Eintragung erfolgt ist.

14. Art. 22 dieses Gesetzes bestimmt, auf welcher rechtlichen Grundlage dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen, Beschränkungen solcher Rechte und rechtlich relevante Tatsachen in das Grundbuch eingetragen werden können. Hierzu werden in dieser Vorschrift die Urkunden aufgelistet, die als Beleg für die Entstehung dinglicher Rechte an unbeweglichen Sachen oder für rechtlich relevante Tatsachen dienen können und auf deren Grundlage die betreffenden Rechte, Beschränkungen oder Tatsachen in das Grundbuch eingetragen werden. Aufgezählt werden u. a. in Nr. 1 behördliche Entscheidungen, in Nr. 2 gerichtliche Urteile, Beschlüsse und Entscheidungen sowie in Nr. 5 Bescheinigungen über die Rechtsnachfolge von Todes wegen.

15. Art. 23 dieses Gesetzes, der die Modalitäten für die Einreichung von Anträgen auf Eintragung von dinglichen Rechten an unbeweglichen Sachen, Beschränkungen solcher Rechte und rechtlich relevanten Tatsachen regelt, sieht in Abs. 2 vor, dass dem Antrag Urkunden beizufügen sind, die die Entstehung des dinglichen Rechts, die Beschränkung dieses Rechts oder die rechtlich relevante Tatsache, deren Eintragung beantragt wird, belegen. Art. 23 Abs. 3 des Grundbuchgesetzes bestimmt, dass die Urkunden, auf deren Grundlage dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen, Beschränkungen solcher Rechte und rechtlich relevante Tatsachen bescheinigt werden, entstehen, erlöschen, übertragen oder begrenzt werden, den gesetzlichen Anforderungen entsprechen und die für die Eintragung in das Grundbuch erforderlichen Angaben enthalten müssen. Nach Art. 23 Abs. 4 dieses Gesetzes müssen die Urkunden, auf deren Grundlage die Eintragung beantragt wird, leserlich geschrieben sein und die vollständigen Vor- und Nachnamen bzw. Bezeichnungen, Adressen und Identifikationsnummern der Personen, auf die sich die Eintragung bezieht, sowie die individuelle Nummer des betreffenden Grundstücks enthalten, die gemäß dem Lietuvos Respublikos nekilnojamojo turto kadastro nuostatai (Katasterordnung der Republik Litauen) vergeben wird.

16. Nach Art. 29 dieses Gesetzes lehnt die Grundbuchbehörde die Eintragung von dinglichen Rechten an unbeweglichen Sachen, von Beschränkungen solcher Rechte oder von rechtlich relevanten Tatsachen ab, wenn sie bei der Prüfung des Eintragungsantrags feststellt, dass die zur Stützung des Antrags vorgelegte Urkunde nicht den Anforderungen dieses Gesetzes entspricht oder dass der Antrag oder die der Grundbuchbehörde vorgelegte Urkunde nicht die im Nekilnojamojo turto registro nuostatai (Grundbuchordnung)(4) genannten Informationen enthält, die zur Identifizierung des Grundstücks bzw. der Personen, die daran ein dingliches Recht erwerben, erforderlich sind.

17. Nach Nr. 14.2.2 der Grundbuchordnung handelt es sich bei den Informationen zur Identifizierung des Grundstücks um 1) die Katasterfläche, den Katasterblock und die...

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