Opinion of Advocate General Campos Sánchez-Bordona delivered on 7 September 2023.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2023:644
Date07 September 2023
Celex Number62021CC0234(01)
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

ERGÄNZENDE SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MANUEL CAMPOS SÁNCHEZ-BORDONA

vom 7. September 2023(1)

Rechtssache C234/21

Défense Active des Amateurs d’Armes ASBL,

NG,

WL

gegen

Conseil des ministres

(Vorabentscheidungsersuchen der Cour constitutionnelle [Verfassungsgerichtshof, Belgien])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens – Rechtsangleichung – Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Feuerwaffen – Verbotene Feuerwaffen – Richtlinie 91/477/EWG – Art. 7 Abs. 4a – Übergangsregelung für bestimmte halbautomatische Feuerwaffen – Art. 17 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Eigentumsrecht – Fehlende Möglichkeit für die Staaten, eine Übergangsregelung für nicht scharfe Waffen vorzusehen – Beschlagnahme ohne Entschädigung“






I. Wiedereröffnung des Verfahrens vor dem Gerichtshof

1. Die Cour constitutionnelle (Verfassungsgerichtshof, Belgien) hat den Gerichtshof angerufen und ihn ersucht, sich zur Gültigkeit von Art. 7 Abs. 4a der Richtlinie 91/477/EWG(2) zu äußern. Sie war der Ansicht, diese Bestimmung könne mit dem Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz, dem Diskriminierungsverbot und dem Recht auf Eigentum, die in den Art. 20, 21 bzw. 17 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) verankert seien, sowie dem Grundsatz des Vertrauensschutzes kollidieren.

2. Der Gerichtshof hat entschieden, die Sache an die Erste Kammer zu verweisen, vor der am 19. September 2022 eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat. Am 22. November 2022 habe ich meine Schlussanträge verlesen(3).

3. Später hat die Erste Kammer gemäß Art. 60 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs entschieden, anzuregen, die Rechtssache an einen größeren Spruchkörper zu verweisen.

4. Der Gerichtshof hat dieser Anregung stattgegeben und die Rechtssache an die Große Kammer verwiesen, die mit Beschluss vom 28. Februar 2023 entschieden hat, das mündliche Verfahren wieder zu eröffnen, und die Beteiligten eingeladen hat, an einer neuen mündlichen Verhandlung teilzunehmen, die sich auf folgende Fragen konzentriert:

1. Welche Aspekte sind bei der Prüfung der Vergleichbarkeit der Situation der neu unter die Kategorie A Nrn. 6 bis 8 eingestuften Waffen mit der Situation der Waffen, die vor Kurzem in die Kategorie A Nr. 9 aufgenommen worden sind, bzw. ihrer jeweiligen Besitzer, im Licht von Art. 20 der Charta relevant:

a) die Tatsache, dass das vor der Richtlinie 2017/853 geltende Unionsrecht unterschiedslos für alle in Rede stehenden Waffen galt, wie der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen vom 24. November 2022 vorschlägt,

b) der Zweck und die Ziele des durch die Richtlinie 2017/853 eingeführten Art. 7 Abs. 4a der Richtlinie 91/477, nämlich die Gewährleistung des Schutzes der in den engen Grenzen dessen, was der Unionsgesetzgeber für mit der Wahrung der öffentlichen Sicherheit vereinbar erachtet hat, erworbenen Rechte im Licht der unterschiedlichen Rechtssysteme der Mitgliedstaaten,

c) die Situation der Besitzer und Eigentümer der betroffenen Waffen, die die Garantien der Charta genießen und ihre Waffen rechtmäßig erworben haben?

2. Wo liegen die Grenzen des Beurteilungsspielraums, der dem Unionsgesetzgeber bei der Anwendung desselben Ansatzes auf unterschiedliche Sachverhalte eingeräumt ist, wenn Grundrechte der Bürger betroffen sein können? Kann ein solcher globaler Ansatz insbesondere dann angewandt werden, wenn er Sachverhalte erfassen soll, die die öffentliche Sicherheit berühren, und die Gefahr besteht, dass Grundrechte bestimmter betroffener Personen, wie sie die Art. 17 und 20 der Charta gewährleisten, beeinträchtigt werden?

3. Sollte der in Art. 7 Abs. 4a der Richtlinie 91/477 vorgesehene Ausschluss von der Übergangsregelung von Waffen, die allein aufgrund der Tatsache, dass sie für das Abfeuern von Platzpatronen umgebaut worden sind, unter die Kategorie A Nr. 9 und nicht unter die Kategorien A Nrn. 6 bis 8 fallen, gegen die Art. 17 oder 20 der Charta verstoßen: Kann Art. 7 Abs. 4a der Richtlinie 91/477 mit diesen Garantien konform dahin ausgelegt werden, dass er sämtliche zuvor genehmigten Waffen, die die Kriterien der Kategorie A Nrn. 6 bis 8 erfüllen, unabhängig davon erfasst, ob sie für das Abfeuern von Platzpatronen umgebaut worden sind? Kann eine solche konforme Auslegung auf Waffen ausgedehnt werden, die zuvor genehmigt hätten werden können, wenn der betreffende Mitgliedstaat dies vorgesehen hätte?

4. Für den Fall, dass ein Verstoß gegen den in Art. 20 der Charta niedergelegten Grundsatz der Gleichbehandlung anzunehmen ist: Würde ein solcher Verstoß zwingend mit einem Verstoß gegen Art. 17 der Charta einhergehen, weil die rechtliche Grundlage für die Beschränkung des in Rede stehenden Eigentumsrechts mit dem Verstoß gegen Art. 20 der Charta behaftet ist?

5. Sollte sich aus Art. 6 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 4a der Richtlinie 91/477 ergeben, dass diese Richtlinie selbst den Mitgliedstaaten die Verpflichtung auferlegt, Besitzern von Waffen, die unter die Kategorie A Nr. 9 fallen, das Eigentum zu entziehen, und ihnen dabei keinen Beurteilungsspielraum einräumt: Obliegt es gemäß Art. 17 der Charta dem Unionsgesetzgeber oder den Mitgliedstaaten, für die Besitzer der zu beschlagnahmenden Waffen eine Entschädigung vorzusehen? Welche Auswirkungen könnte insoweit das Urteil vom 21. Mai 2019, Kommission/Ungarn (Nießbrauchsrechte an landwirtschaftlichen Flächen) (C‑235/17, EU:C:2019:432, Rn. 125 bis 128), haben?

5. Die belgische Regierung, der Rat, das Parlament und die Europäische Kommission haben diese...

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