Conclusiones del Abogado General Sr. P. Pikamäe, presentadas el 16 de marzo de 2023.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2023:220
Date16 March 2023
Celex Number62021CC0634
CourtCourt of Justice (European Union)

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PRIIT PIKAMÄE

vom 16. März 2023(1)

Rechtssache C634/21

OQ

gegen

Land Hessen,

Beteiligte:

SCHUFA Holding AG

(Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts Wiesbaden [Deutschland])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten – Verordnung (EU) 2016/679 – Art. 6 Abs. 1 – Rechtmäßigkeit der Verarbeitung – Art. 22 – Automatisierte Entscheidungen im Einzelfall – Profiling – Private Wirtschaftsauskunfteien – Ermittlung eines Wahrscheinlichkeitswerts der Kreditwürdigkeit einer natürlichen Person (‚Scoring‘) – Übermittlung an Dritte, die eine Entscheidung über die Begründung, Durchführung oder Beendigung von Vertragsverhältnissen mit dieser Person auf der Grundlage dieses Wertes treffen“






I. Einleitung

1. Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts Wiesbaden (Deutschland) nach Art. 267 AEUV betrifft die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 und von Art. 22 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung)(2) (im Folgenden: DSGVO).

2. Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Klägerin, OQ, einer natürlichen Person, und dem Land Hessen (Deutschland), vertreten durch den Hessischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit (im Folgenden: HBDI), über den Schutz personenbezogener Daten. Die SCHUFA Holding AG (im Folgenden: SCHUFA), eine privatrechtliche Agentur, unterstützt den HBDI als Streithelferin. Im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit, die darin besteht, ihre Kunden mit Informationen zur Kreditwürdigkeit Dritter zu versorgen, lieferte SCHUFA einem Kreditinstitut einen Score-Wert für die Klägerin, der als Grundlage für die Verweigerung des von dieser beantragten Kredits diente. Die Klägerin forderte SCHUFA auf, die darauf bezogene Eintragung zu löschen und ihr Zugang zu den entsprechenden Daten zu gewähren, aber Letztere teilte ihr nur den entsprechenden Score-Wert und in allgemeiner Form die der Methode zur Berechnung des Score-Wertes zugrunde liegenden Grundsätze mit. Sie erteilte ihr aber keine Auskunft darüber, welche konkreten Informationen in diese Berechnung eingeflossen waren und welche Bedeutung ihnen in diesem Zusammenhang beigemessen wurde, und begründete dies damit, dass die Berechnungsmethode dem Geschäftsgeheimnis unterliege.

3. Soweit die Klägerin geltend macht, die Ablehnung ihres Ersuchens durch SCHUFA verstoße gegen die Datenschutzregelung, wird der Gerichtshof über die Beschränkungen, die die DSGVO der wirtschaftlichen Tätigkeit der Auskunftei im Finanzsektor, insbesondere bei der Datenverwaltung, auferlegt, sowie über die Bedeutung, die dem Geschäftsgeheimnis zuzuerkennen ist, zu entscheiden haben. Ebenso wird der Gerichtshof den Umfang der Regelungsbefugnisse zu präzisieren haben, die dem nationalen Gesetzgeber durch bestimmte Bestimmungen der DSGVO abweichend von dem mit diesem Rechtsakt verfolgten allgemeinen Harmonisierungszweck übertragen werden.

II. Rechtlicher Rahmen

A. Unionsrecht

4. Art. 4 Nr. 4 DSGVO bestimmt:

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck:

4. ‚Profiling‘ jede Art der automatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten, die darin besteht, dass diese personenbezogenen Daten verwendet werden, um bestimmte persönliche Aspekte, die sich auf eine natürliche Person beziehen, zu bewerten, insbesondere um Aspekte bezüglich Arbeitsleistung, wirtschaftliche Lage, Gesundheit, persönliche Vorlieben, Interessen, Zuverlässigkeit, Verhalten, Aufenthaltsort oder Ortswechsel dieser natürlichen Person zu analysieren oder vorherzusagen“.

5. In Art. 6 („Rechtmäßigkeit der Verarbeitung“) DSGVO heißt es:

„(1) Die Verarbeitung ist nur rechtmäßig, wenn mindestens eine der nachstehenden Bedingungen erfüllt ist:

a) Die betroffene Person hat ihre Einwilligung zu der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten für einen oder mehrere bestimmte Zwecke gegeben;

b) die Verarbeitung ist für die Erfüllung eines Vertrags, dessen Vertragspartei die betroffene Person ist, oder zur Durchführung vorvertraglicher Maßnahmen erforderlich, die auf Anfrage der betroffenen Person erfolgen;

c) die Verarbeitung ist zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich, der der Verantwortliche unterliegt;

d) die Verarbeitung ist erforderlich, um lebenswichtige Interessen der betroffenen Person oder einer anderen natürlichen Person zu schützen;

e) die Verarbeitung ist für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde;

f) die Verarbeitung ist zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen, insbesondere dann, wenn es sich bei der betroffenen Person um ein Kind handelt.

Unterabsatz 1 Buchstabe f gilt nicht für die von Behörden in Erfüllung ihrer Aufgaben vorgenommene Verarbeitung.

(2) Die Mitgliedstaaten können spezifischere Bestimmungen zur Anpassung der Anwendung der Vorschriften dieser Verordnung in Bezug auf die Verarbeitung zur Erfüllung von Absatz 1 Buchstaben c und e beibehalten oder einführen, indem sie spezifische Anforderungen für die Verarbeitung sowie sonstige Maßnahmen präziser bestimmen, um eine rechtmäßig und nach Treu und Glauben erfolgende Verarbeitung zu gewährleisten, einschließlich für andere besondere Verarbeitungssituationen gemäß Kapitel IX.

(3) Die Rechtsgrundlage für die Verarbeitungen gemäß Absatz 1 Buchstaben c und e wird festgelegt durch

a) Unionsrecht oder

b) das Recht der Mitgliedstaaten, dem der Verantwortliche unterliegt.

Der Zweck der Verarbeitung muss in dieser Rechtsgrundlage festgelegt oder hinsichtlich der Verarbeitung gemäß Absatz 1 Buchstabe e für die Erfüllung einer Aufgabe erforderlich sein, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde. Diese Rechtsgrundlage kann spezifische Bestimmungen zur Anpassung der Anwendung der Vorschriften dieser Verordnung enthalten, unter anderem Bestimmungen darüber, welche allgemeinen Bedingungen für die Regelung der Rechtmäßigkeit der Verarbeitung durch den Verantwortlichen gelten, welche Arten von Daten verarbeitet werden, welche Personen betroffen sind, an welche Einrichtungen und für welche Zwecke die personenbezogenen Daten offengelegt werden dürfen, welcher Zweckbindung sie unterliegen, wie lange sie gespeichert werden dürfen und welche Verarbeitungsvorgänge und ‑verfahren angewandt werden dürfen, einschließlich Maßnahmen zur Gewährleistung einer rechtmäßig und nach Treu und Glauben erfolgenden Verarbeitung, wie solche für sonstige besondere Verarbeitungssituationen gemäß Kapitel IX. Das Unionsrecht oder das Recht der Mitgliedstaaten müssen ein im öffentlichen Interesse liegendes Ziel verfolgen und in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten legitimen Zweck stehen.

(4) Beruht die Verarbeitung zu einem anderen Zweck als zu demjenigen, zu dem die personenbezogenen Daten erhoben wurden, nicht auf der Einwilligung der betroffenen Person oder auf einer Rechtsvorschrift der Union oder der Mitgliedstaaten, die in einer demokratischen Gesellschaft eine notwendige und verhältnismäßige Maßnahme zum Schutz der in Artikel 23 Absatz 1 genannten Ziele darstellt, so berücksichtigt der Verantwortliche – um festzustellen, ob die Verarbeitung zu einem anderen Zweck mit demjenigen, zu dem die personenbezogenen Daten ursprünglich erhoben wurden, vereinbar ist – unter anderem

a) jede Verbindung zwischen den Zwecken, für die die personenbezogenen Daten erhoben wurden, und den Zwecken der beabsichtigten Weiterverarbeitung,

b) den Zusammenhang, in dem die personenbezogenen Daten erhoben wurden, insbesondere hinsichtlich des Verhältnisses zwischen den betroffenen Personen und dem Verantwortlichen,

c) die Art der personenbezogenen Daten, insbesondere ob besondere Kategorien personenbezogener Daten gemäß Artikel 9 verarbeitet werden oder ob personenbezogene Daten über strafrechtliche Verurteilungen und Straftaten gemäß Artikel 10 verarbeitet werden,

d) die möglichen Folgen der beabsichtigten Weiterverarbeitung für die betroffenen Personen,

e) das Vorhandensein geeigneter Garantien, wozu Verschlüsselung oder Pseudonymisierung gehören kann.“

6. Art. 15 („Auskunftsrecht der betroffenen Person“) DSGVO bestimmt:

„(1) Die betroffene Person hat das Recht, von dem Verantwortlichen eine Bestätigung darüber zu verlangen, ob sie betreffende personenbezogene Daten verarbeitet werden; ist dies der Fall, so hat sie ein Recht auf Auskunft über diese personenbezogenen Daten und auf folgende Informationen:

h) das Bestehen einer automatisierten Entscheidungsfindung einschließlich Profiling gemäß Artikel 22 Absätze 1 und 4 und – zumindest in diesen Fällen – aussagekräftige Informationen über die involvierte Logik sowie die Tragweite und die angestrebten Auswirkungen einer derartigen Verarbeitung für die betroffene Person.

…“

7. Art. 21 („Widerspruchsrecht“) DSGVO lautet:

„(1) Die betroffene Person hat das Recht, aus Gründen, die sich aus ihrer besonderen Situation ergeben, jederzeit gegen die Verarbeitung sie betreffender personenbezogener Daten, die aufgrund von Artikel 6 Absatz 1 Buchstaben e oder f erfolgt, Widerspruch einzulegen; dies gilt auch für ein auf diese Bestimmungen gestütztes Profiling. Der Verantwortliche verarbeitet die personenbezogenen Daten nicht mehr, es sei denn, er kann zwingende schutzwürdige Gründe für die Verarbeitung nachweisen, die die Interessen, Rechte und Freiheiten der betroffenen Person überwiegen, oder die Verarbeitung dient der...

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