Euler Hermes SA Magyarországi Fióktelepe contra Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebbviteli Igazgatósága.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2023:83
Date09 February 2023
Docket NumberC-482/21
Celex Number62021CJ0482
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)

9. Februar 2023(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Steuerwesen – Mehrwertsteuer – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 90 – Steuerbemessungsgrundlage – Verminderung – Versicherer, der den Versicherten für nicht beglichene Forderungen eine Entschädigung nebst Mehrwertsteuer zahlt – Nationale Rechtsvorschrift, die diesem Versicherer in seiner Eigenschaft als Rechtsnachfolger die Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage versagt – Grundsatz der steuerlichen Neutralität – Effektivitätsgrundsatz“

In der Rechtssache C‑482/21

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht, Ungarn) mit Entscheidung vom 29. Juni 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 5. August 2021, in dem Verfahren

Euler Hermes SA Magyarországi Fióktelepe

gegen

Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebbviteli Igazgatósága

erlässt

DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Safjan sowie der Richter N. Jääskinen und M. Gavalec (Berichterstatter),

Generalanwältin: T. Ćapeta,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– der Euler Hermes SA Magyarországi Fióktelepe, vertreten durch T. Fehér und P. Jalsovszky, Ügyvédek,

– der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér und K. Szíjjártó als Bevollmächtigte,

– der portugiesischen Regierung, vertreten durch P. Barros da Costa, R. Campos Laires, S. Jaulino und J. Ramos als Bevollmächtigte,

– der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Sipos und V. Uher als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 90 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2010/45/EU des Rates vom 13. Juli 2010 (ABl. 2010, L 189, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie) in Verbindung mit den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit, der steuerlichen Neutralität und der Effektivität.

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Euler Hermes SA Magyarországi Fióktelepe, einer Gesellschaft ungarischen Rechts, und der Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebbviteli Igazgatósága (Rechtsbehelfsdirektion der nationalen Steuer- und Zollverwaltung, Ungarn) wegen eines Antrags auf Verminderung der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3 In Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c der Mehrwertsteuerrichtlinie heißt es:

„Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:

a) Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt;

c) Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt“.

4 Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:

„Als ‚Steuerpflichtiger‘ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.“

5 Art. 63 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:

„Steuertatbestand und Steueranspruch treten zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird.“

6 Art. 66 dieser Richtlinie hat folgenden Wortlaut:

„Abweichend von den Artikeln 63, 64 und 65 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass der Steueranspruch für bestimmte Umsätze oder Gruppen von Steuerpflichtigen zu einem der folgenden Zeitpunkte entsteht:

a) spätestens bei der Ausstellung der Rechnung;

b) spätestens bei der Vereinnahmung des Preises;

c) im Falle der Nichtausstellung oder verspäteten Ausstellung der Rechnung binnen einer bestimmten Frist spätestens nach Ablauf der von den Mitgliedstaaten gemäß Artikel 222 Absatz 2 gesetzten Frist für die Ausstellung der Rechnung oder, falls von den Mitgliedstaaten eine solche Frist nicht gesetzt wurde, binnen einer bestimmten Frist nach dem Eintreten des Steuertatbestands.

Die Ausnahme nach Absatz 1 gilt jedoch nicht für Dienstleistungen, für die der Dienstleistungsempfänger nach Artikel 196 die Mehrwertsteuer schuldet, und für Lieferungen oder Verbringungen von Gegenständen gemäß Artikel 67.“

7 Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:

„Bei der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter die Artikel 74 bis 77 fallen, umfasst die Steuerbemessungsgrundlage alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer für diese Umsätze vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen.“

8 Art. 90 der Richtlinie bestimmt:

„(1) Im Falle der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes wird die Steuerbemessungsgrundlage unter den von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen entsprechend vermindert.

(2) Die Mitgliedstaaten können im Falle der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung von Absatz 1 abweichen.“

9 Art. 135 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:

„Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:

a) Versicherungs- und Rückversicherungsumsätze einschließlich der dazugehörigen Dienstleistungen, die von Versicherungsmaklern und ‑vertretern erbracht werden“.

10 Art. 250 Abs. 1 der Richtlinie sieht vor:

„Jeder Steuerpflichtige hat eine Mehrwertsteuererklärung abzugeben, die alle für die Festsetzung des geschuldeten Steuerbetrags und der vorzunehmenden Vorsteuerabzüge erforderlichen Angaben enthält, gegebenenfalls einschließlich des Gesamtbetrags der für diese Steuer und Abzüge maßgeblichen Umsätze sowie des Betrags der steuerfreien Umsätze, soweit dies für die Feststellung der Steuerbemessungsgrundlage erforderlich ist.“

Ungarisches Recht

Gesetz Nr. CL von 2017

11 § 196 des Adózás rendjéről szóló 2017. évi CL. törvény (Gesetz Nr. CL von 2017 über die Besteuerungsordnung) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung bestimmt:

„(1) Stellt das Alkotmánybíróság [Verfassungsgericht, Ungarn], die Kúria [Oberster Gerichtshof, Ungarn] oder der Gerichtshof der Europäischen Union rückwirkend zum Tag der Veröffentlichung der Entscheidung fest, dass eine Vorschrift, die eine steuerliche Pflicht begründet, gegen das Grundgesetz oder einen verbindlichen Rechtsakt der Europäischen Union oder, wenn es sich um eine Gemeindesatzung handelt, gegen jegliche andere Rechtsvorschrift verstößt, und begründet diese gerichtliche Entscheidung für den Steuerpflichtigen einen Erstattungsanspruch, führt die Finanzbehörde erster Instanz auf Antrag des Steuerpflichtigen die Erstattung – entsprechend den in der betreffenden Entscheidung festgelegten Modalitäten – gemäß den Bestimmungen dieses Paragrafen durch.

(3) Im Antrag sind über die zur Identifizierung des Steuerpflichtigen durch die Steuerverwaltung erforderlichen Angaben hinaus die bis zur Einreichung des Antrags gezahlten Steuern, deren Erstattung begehrt wird, und der Vollstreckungstitel, auf dem die Zahlung der Steuern beruht, anzuführen; der Antrag muss außerdem auf die Entscheidung des Alkotmánybíróság [Verfassungsgericht], der Kúria [Oberster Gerichtshof] oder des Gerichtshofs der Europäischen Union Bezug nehmen und eine Erklärung darüber enthalten, dass

a) der Steuerpflichtige die Steuer, deren Erstattung er beantragt, bis zur Einreichung des Antrags nicht auf eine andere Person abgewälzt hat,

b) vor der Antragstellung weder der Steuerpflichtige noch eine andere Person eine Steuererstattung auf der Grundlage eines Verwaltungs- oder Gerichtsverfahrens erhalten hat und zum Zeitpunkt der Antragstellung kein anderes derartiges Verfahren anhängig ist, es sei denn, der Steuerpflichtige weist binnen 90 Tagen nach der Antragstellung gegenüber der Steuerverwaltung nach, dass dieses Verfahren beendet ist.

(4) Sind die anderen in Abs. 3...

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