Harry Shindler and Others v Council of the European Union.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2023:480
Date15 June 2023
Docket NumberC-501/21
Celex Number62021CJ0501
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)

15. Juni 2023(*)

„Rechtsmittel – Nichtigkeitsklage – Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft – Beschluss (EU) 2020/135 – Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland – Auswirkungen dieses Abkommens auf den Status als Bürger der Europäischen Union und der damit verbundenen Rechte für diese Staatsangehörigen – Art. 263 Abs. 4 AEUV – Klagebefugnis – Voraussetzungen – Rechtsschutzinteresse“

In der Rechtssache C‑501/21 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 13. August 2021,

Harry Shindler, wohnhaft in San Benedetto del Tronto (Italien),

Christopher David Randolph, wohnhaft in Ballinlassa, Belcarra, Castlebar (Irland),

Douglas Edward Watson, wohnhaft in Beaumont (Frankreich),

Michael Charles Strawson, wohnhaft in Serralongue (Frankreich),

Hilary Elizabeth Walker, wohnhaft in Cádiz (Spanien),

Sarah Caroline Griffiths, wohnhaft in Claviers (Frankreich),

James Graham Cherrill, wohnhaft in Sainte-Colombe-de-Duras (Frankreich),

Anita Ruddell Tuttell, wohnhaft in Fontaine-l’Étalon (Frankreich),

Joséphine French, wohnhaft in Oupia (Frankreich),

William John Tobbin, wohnhaft in Vannes (Frankreich),

vertreten durch J. Fouchet, Avocat,

Rechtsmittelführer,

andere Partei des Verfahrens:

Rat der Europäischen Union, vertreten durch M. Bauer, J. Ciantar und R. Meyer als Bevollmächtigte,

Beklagter im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Safjan sowie der Richter N. Jääskinen (Berichterstatter) und M. Gavalec,

Generalanwalt: N. Emiliou,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1 Mit ihrem Rechtsmittel beantragen Herr Harry Shindler, Herr Christopher David Randolph, Herr Douglas Edward Watson, Herr Michael Charles Strawson, Frau Hilary Elizabeth Walker, Frau Sarah Caroline Griffiths, Herr James Graham Cherrill, Frau Anita Ruddell Tuttell, Frau Joséphine French und Herr William John Tobbin die Aufhebung des Beschlusses vom 8. Juni 2021, Shindler u. a./Rat (T‑198/20, im Folgenden: angefochtener Beschluss, EU:T:2021:348), mit dem das Gericht ihre Klage auf vollständige oder teilweise Nichtigerklärung des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (ABl. 2020, L 29, S. 7, im Folgenden: Austrittsabkommen) und des Beschlusses (EU) 2020/135 des Rates vom 30. Januar 2020 über den Abschluss des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (ABl. 2020, L 29, S. 1, im Folgenden: streitiger Beschluss) (im Folgenden zusammen: streitige Rechtsakte) als unzulässig abgewiesen hat.

Vorgeschichte des Rechtsstreits und streitige Rechtsakte

2 Die Rechtsmittelführer sind Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland, die in Irland, Spanien, Frankreich und Italien wohnhaft sind.

3 Am 23. Juni 2016 stimmten die Bürger des Vereinigten Königreichs in einem Referendum für den Austritt ihres Staates aus der Europäischen Union.

4 Am 29. März 2017 teilte das Vereinigte Königreich dem Europäischen Rat gemäß Art. 50 Abs. 2 EUV mit, dass es beabsichtige, aus der Union auszutreten.

5 Am 24. Januar 2020 unterzeichneten die Vertreter der Union und des Vereinigten Königreichs das Austrittsabkommen.

6 Am 30. Januar 2020 erließ der Rat der Europäischen Union den streitigen Beschluss. Gemäß Art. 1 dieses Beschlusses wurde das Austrittsabkommen im Namen der Union und der Europäischen Atomgemeinschaft genehmigt.

7 Am 31. Januar 2020 trat das Vereinigte Königreich aus der Union und der Europäischen Atomgemeinschaft aus. Am 1. Februar 2020 trat das Austrittsabkommen in Kraft.

Verfahren vor dem Gericht und angefochtener Beschluss

8 Mit am 30. März 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingereichter Klageschrift erhoben die Rechtsmittelführer Klage auf vollständige oder teilweise Nichtigerklärung der streitigen Rechtsakte.

9 Mit am 21. April 2020 eingereichtem Schriftsatz ersuchten die Rechtsmittelführer das Gericht, Vorabentscheidungsfragen an den Gerichtshof zu richten. Am 28. April 2020 beschloss der Präsident des Gerichts, diesen Schriftsatz nicht zu den Akten zu nehmen.

10 Mit gesondertem Schriftsatz, der am 14. Juli 2020 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob der Rat die Einrede der Unzulässigkeit der Klage.

11 Am 21. August 2020 reichten die Rechtsmittelführer ihre Stellungnahme zu dieser Unzulässigkeitseinrede ein.

12 Mit Beschluss vom 5. November 2020 behielt das Gericht die Entscheidung über die Unzulässigkeitseinrede und über die Kosten dem Endurteil vor.

13 Am 18. Januar 2021 reichte der Rat eine Klagebeantwortung ein. Am 11. Februar 2021 beschloss der Präsident der Zehnten erweiterten Kammer, diese Klagebeantwortung den Rechtsmittelführern nicht zuzustellen.

14 Mit am 19. Januar 2021 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenem Schreiben beantragten die Rechtsmittelführer, das Verfahren zur Prüfung der Klage auszusetzen. Mit am 8. Februar 2021 bei der Kanzlei eingegangenem Schreiben gab der Rat seine Stellungnahme zu diesem Aussetzungsantrag ab. Mit Entscheidung vom 10. Februar 2021 wies der Präsident der Zehnten erweiterten Kammer den Aussetzungsantrag zurück.

15 Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Gericht in den Rn. 19 bis 21 dieses Beschlusses erstens entschieden, dass es, obwohl es zuvor beschlossen habe, die Entscheidung über die vom Rat erhobene Unzulässigkeitseinrede dem Endurteil vorzubehalten, in der Lage sei, auf der Grundlage des Akteninhalts durch Beschluss gemäß Art. 130 seiner Verfahrensordnung über diese Einrede zu entscheiden.

16 Zweitens hat es hinsichtlich des Klagegegenstands in den Rn. 22 bis 28 des angefochtenen Beschlusses darauf hingewiesen, dass der Unionsrichter, wenn er mit einer Klage gegen eine von der Union geschlossene internationale Übereinkunft befasst sei, die Klage dahin umdeute, dass sie gegen den Beschluss über die Genehmigung dieser Übereinkunft gerichtet sei, und die von den Rechtsmittelführern erhobene Klage somit dahin umgedeutet, dass sie ausschließlich gegen den streitigen Beschluss gerichtet ist.

17 Drittens hat das Gericht in Bezug auf die Begründetheit der vom Rat erhobenen Unzulässigkeitseinrede entschieden, dass die Rechtsmittelführer keine der Voraussetzungen für die Klagebefugnis gemäß Art. 263 Abs. 4 AEUV erfüllten.

18 Hierzu hat das Gericht in Rn. 32 des angefochtenen Beschlusses ausgeführt, dass für die Beurteilung der Klagebefugnis der Rechtsmittelführer nicht nur der streitige Beschluss, sondern auch die Natur und der Inhalt des Austrittsabkommens zu berücksichtigen seien.

19 In diesem Zusammenhang hat das Gericht in Rn. 33 des angefochtenen Beschlusses erstens festgestellt, dass die Rechtsmittelführer weder Adressaten des streitigen Beschlusses noch Adressaten des Austrittsabkommens seien und deshalb nicht befugt seien, nach Art. 263 Abs. 4 erste Variante AEUV Klage zu erheben.

20 Zweitens hat das Gericht zur Klagebefugnis der Rechtsmittelführer nach Art. 263 Abs. 4 zweite Variante AEUV, insbesondere zur Voraussetzung der individuellen Betroffenheit des Klägers, in Rn. 49 des angefochtenen Beschlusses ausgeführt, dass es Sache der Rechtsmittelführer sei, nachzuweisen, dass der streitige Beschluss sie, soweit er ihnen ihren Unionsbürgerstatus und die damit verbundenen Rechte entziehe, wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berühre und daher in ähnlicher Weise individualisiere, wie es bei den Adressaten eines solchen Beschlusses der Fall wäre.

21 In Rn. 57 des angefochtenen Beschlusses hat das Gericht entschieden, dass die Rechtsmittelführer von dem streitigen Beschluss nicht individuell betroffen und daher nicht nach Art. 263 Abs. 4 zweite Variante AEUV klagebefugt seien, ohne dass geprüft werden müsse, ob sie von dem Beschluss unmittelbar betroffen seien.

22 Drittens hat das Gericht zur Klagebefugnis der Rechtsmittelführer nach Art. 263 Abs. 4 dritte Variante AEUV in den Rn. 62 bis 64 des angefochtenen Beschlusses festgestellt, dass der streitige Beschluss eine „Handlung ohne Gesetzescharakter mit allgemeiner Geltung“ sei.

23 In den Rn. 80 und 81...

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