Rubycon Corp. and Rubycon Holdings Co. Ltd v European Commission.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:T:2021:637
Date29 September 2021
Docket NumberT-344/18
Celex Number62018TJ0344
CourtGeneral Court (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTS (Neunte erweiterte Kammer)

29. September 2021(*)

„Wettbewerb – Kartelle – Markt für Aluminium- und Tantal-Elektrolytkondensatoren – Beschluss, mit dem eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens festgestellt wird – Abstimmung der Preise im gesamten EWR – Geldbußen – Teilerlass der Geldbuße – Rn. 26 der Mitteilung über Zusammenarbeit von 2006 – Herabsetzung der Geldbuße – Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen von 2006 – Obergrenze von 10 % des Umsatzes – Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung“

In der Rechtssache T‑344/18,

Rubycon Corp. mit Sitz in Ina (Japan),

Rubycon Holdings Co. Ltd mit Sitz in Ina,

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwalt J. Rivas Andrés und Rechtsanwältin A. Federle,

Klägerinnen,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch B. Ernst, L. Wildpanner und F. van Schaik als Bevollmächtigte,

Beklagte,

betreffend eine Klage nach Art. 263 AEUV zum einen auf Nichtigerklärung des Beschlusses C(2018) 1768 final der Kommission vom 21. März 2018 in einem Verfahren nach Art. 101 [AEUV] und Art. 53 des EWR-Abkommens (Sache AT.40136 – Kondensatoren), soweit er die Klägerinnen betrifft, und zum anderen auf Herabsetzung der Geldbußen, die gegen sie verhängt wurden,

erlässt

DAS GERICHT (Neunte erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin M. J. Costeira (Berichterstatterin), des Richters D. Gratsias, der Richterin M. Kancheva, des Richters B. Berke und der Richterin T. Perišin,

Kanzler: E. Artemiou, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 21. Oktober 2020

folgendes

Urteil(1)

I. Vorgeschichte des Rechtsstreits

A. Klägerinnen und betroffener Markt

1 Die Klägerinnen, die Rubycon Corp. (im Folgenden: erste Klägerin) und die Rubycon Holdings Co. Ltd (im Folgenden: zweite Klägerin), sind Unternehmen mit Sitz in Japan. Die erste Klägerin fertigt und vertreibt Aluminium-Elektrolytkondensatoren. Seit dem 1. Februar 2007 hält die zweite Klägerin 100 % des Kapitals der ersten Klägerin.

2 Die in Rede stehende Zuwiderhandlung betrifft Aluminium- und Tantal-Elektrolytkondensatoren. Kondensatoren sind elektrische Bauelemente, die in einem elektrischen Feld statisch Energie speichern. Elektrolytkondensatoren werden in fast allen elektronischen Produkten wie PCs, Tablet-PCs, Telefonen, Klimaanlagen, Kühlschränken, Waschmaschinen, Kfz-Produkten und Industriegeräten verwendet. Der Kundenkreis ist daher sehr diversifiziert. Elektrolytkondensatoren, genauer gesagt Aluminium- und Tantal-Elektrolytkondensatoren, sind Erzeugnisse, bei denen der Preis einen wichtigen Wettbewerbsfaktor darstellt.

B. Verwaltungsverfahren

3 Am 4. Oktober 2013 beantragten Panasonic und ihre Tochtergesellschaften bei der Europäischen Kommission einen sogenannten Marker nach den Rn. 14 und 15 der Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 2006, C 298, S. 17, im Folgenden: Mitteilung über Zusammenarbeit von 2006) und übermittelten Informationen über eine mutmaßliche Zuwiderhandlung im Bereich der Elektrolytkondensatoren.

4 Am 28. März 2014 verlangte die Kommission gemäß Art. 18 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101 und 102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) Auskünfte von mehreren auf dem Markt für Elektrolytkondensatoren tätigen Unternehmen, so auch von den Klägerinnen.

5 Am 26. Mai 2014 stellten die Klägerinnen bei der Kommission einen Antrag auf Herabsetzung der Geldbuße gemäß der Mitteilung über Zusammenarbeit von 2006.

6 Am 4. November 2015 nahm die Kommission eine Mitteilung der Beschwerdepunkte an, die sie u. a. an die Klägerinnen adressierte. Die Klägerinnen antworteten nicht auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte.

7 Die Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte, darunter die Klägerinnen, wurden von der Kommission in einer mündlichen Anhörung vom 12. bis zum 14. September 2016 angehört.

C. Angefochtener Beschluss

8 Am 21. März 2018 erließ die Kommission den Beschluss C(2018) 1768 final in einem Verfahren nach Art. 101 [AEUV] und Art. 53 des EWR-Abkommens (Sache AT.40136 – Kondensatoren) (im Folgenden: angefochtener Beschluss).

1. Zuwiderhandlung

9 Mit dem angefochtenen Beschluss stellte die Kommission das Vorliegen einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) auf dem Markt für Elektrolytkondensatoren fest, an der neun Unternehmen bzw. Unternehmensgruppen beteiligt gewesen seien, nämlich Elna, Hitachi AIC, Holy Stone, Matsuo, NEC Tokin, Nichicon, Nippon Chemi-Con, Sanyo (Bezeichnung für Sanyo und Panasonic gemeinsam) und die Klägerinnen (alle zusammen im Folgenden: Kartellteilnehmer) (erster Erwägungsgrund und Art. 1 des angefochtenen Beschlusses).

10 Die Kommission stellte im Wesentlichen fest, dass die in Rede stehende Zuwiderhandlung vom 26. Juni 1998 bis zum 23. April 2012 im gesamten EWR stattgefunden habe und in Vereinbarungen und/oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen bestanden habe, die die Koordinierung der Preispolitik in Bezug auf die Lieferung von Aluminium- und Tantal-Elektrolytkondensatoren zum Gegenstand gehabt hätten (erster Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

11 Das Kartell sei hauptsächlich im Wege multilateraler Treffen organisiert worden, die normalerweise in Japan stattgefunden hätten, und zwar monatlich oder jeden zweiten Monat auf Ebene der leitenden Vertriebsangestellten und alle sechs Monate auf Führungsebene unter Beteiligung der Geschäftsführer (Erwägungsgründe 63, 68 und 738 des angefochtenen Beschlusses).

12 Die multilateralen Treffen seien anfänglich, nämlich von 1998 bis 2003, unter der Bezeichnung „Elektrolytkondensatorenkreis“ oder „Elektrolytkondensatorenkonferenz“ (im Folgenden: EKK-Treffen) abgehalten worden. Von 2003 bis 2005 hätten sie sodann unter der Bezeichnung „Aluminium-Tantalkonferenz“, „Gruppe der Aluminium- oder Tantalkondensatoren“ oder „ATC‑Treffen“ stattgefunden. Von 2005 bis 2012 seien die Treffen schließlich unter dem Namen „Marktforschungsgruppe“ oder „Marketinggruppe“ (im Folgenden: MK-Treffen) erfolgt. Parallel und ergänzend zu den MK-Treffen hätten zwischen 2006 und 2008 Treffen zur „Kostensteigerung“ oder zur „Stärkung der Kondensatoren“ (im Folgenden: CUP-Treffen) stattgefunden (69. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

13 Über diese multilateralen Treffen hinaus habe es zwischen den Kartellteilnehmern bei Bedarf auch bi-/trilaterale Ad-hoc-Kontakte gegeben (Erwägungsgründe 63, 75 und 739 des angefochtenen Beschlusses) (im Folgenden zusammenfassend: wettbewerbswidrige Kontakte).

14 Im Rahmen der wettbewerbswidrigen Kontakte hätten die Kartellteilnehmer vor allem Informationen über Preise und die künftige Preisgestaltung, über künftige Preisnachlässe und die Bandbreite dieser Nachlässe sowie über Angebot und Nachfrage, auch in der Zukunft, ausgetauscht. In bestimmten Fällen hätten die Kartellteilnehmer Preisabsprachen getroffen, die angewandt und eingehalten worden seien (Erwägungsgründe 62, 715, 732 und 741 des angefochtenen Beschlusses).

15 Die Kommission war der Ansicht, dass das Verhalten der Kartellteilnehmer eine Form der Vereinbarung und/oder der abgestimmten Verhaltensweise dargestellt habe, die einem gemeinsamen Ziel gedient habe, nämlich sich einem Preiswettbewerb zu entziehen und das künftige Verhalten beim Verkauf von Elektrolytkondensatoren abzustimmen, um so die Unsicherheit auf dem Markt zu verringern (Erwägungsgründe 726 und 731 des angefochtenen Beschlusses).

16 Die Kommission kam zu dem Schluss, dass dieses Verhalten einem einheitlichen wettbewerbswidrigen Ziel gedient habe (743. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

2. Verantwortlichkeit der Klägerinnen

17 Die Kommission nahm die Verantwortlichkeit der ersten Klägerin wegen ihrer unmittelbaren Teilnahme am Kartell vom 26. Juni 1998 bis zum 23. April 2012 an (961. Erwägungsgrund und Art. 1 Buchst. h des angefochtenen Beschlusses).

18 Außerdem nahm die Kommission die Verantwortlichkeit der zweiten Klägerin als Muttergesellschaft und Halterin des gesamten Gesellschaftskapitals der ersten Klägerin für den Zeitraum vom 1. Februar 2007 bis zum 23. April 2012 an (Erwägungsgründe 962 und 963 sowie Art. 1 Buchst. h des angefochtenen Beschlusses).

3. Gegen die Klägerinnen verhängte Geldbußen

19 Mit Art. 2 Buchst. k und l des angefochtenen Beschlusses wird zum einen „gesamtschuldnerisch“ eine Geldbuße in Höhe von 27 718 000 Euro gegen die erste und die zweite Klägerin verhängt und zum anderen eine Geldbuße in Höhe von 706 000 Euro gegen die erste Klägerin.

4. Festsetzung der Höhe der Geldbußen

20 Für die Festsetzung der Höhe der Geldbußen bediente sich die Kommission der in ihren Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Art. 23 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1/2003 (ABl. 2006, C 210, S. 2, im Folgenden: Leitlinien von 2006) dargelegten Methode (980. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

21 Erstens verwendete die Kommission zur Festsetzung des Grundbetrags der gegen die Klägerinnen verhängten Geldbußen gemäß Ziff. 13 der Leitlinien von 2006 den Umsatz im letzten vollständigen Geschäftsjahr, in dem das Unternehmen an der Zuwiderhandlung beteiligt war (989. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

22 Die Kommission berechnete die Höhe der Umsätze anhand der Beträge, die Kunden im EWR für den Kauf von Aluminium- und Tantal-Elektrolytkondensatoren in Rechnung gestellt worden waren (990. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

23 Außerdem berechnete sie die Höhe des relevanten Umsatzes für die beiden Produktkategorien (Aluminium-Elektrolytkondensatoren und Tantal-Elektrolytkondensatoren) getrennt und wandte dafür je nach Dauer unterschiedliche Multiplikatoren an (991. Erwägungsgrund des angefochtenen...

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