Urteile nº T-419/14 of Tribunal General de la Unión Europea, July 12, 2018

Resolution DateJuly 12, 2018
Issuing OrganizationTribunal General de la Unión Europea
Decision NumberT-419/14

„Wettbewerb - Kartelle - Europäischer Markt für Stromkabel - Beschluss, mit dem eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV festgestellt wird - Einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung - Zurechenbarkeit der Zuwiderhandlung - Vermutung - Beurteilungsfehler - Unschuldsvermutung - Rechtssicherheit - Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit - Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung“

In der Rechtssache T-419/14

The Goldman Sachs Group, Inc., mit Sitz in New York, New York (Vereinigte Staaten), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte W. Deselaers, J. Koponen und A. Mangiaracina,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch C. Giolito, L. Malferrari, H. van Vliet und J. Norris-Usher als Bevollmächtigte,

Beklagte,

unterstützt durch

Prysmian SpA mit Sitz in Mailand (Italien),

Prysmian Cavi e Sistemi Srl mit Sitz in Mailand,

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte C. Tesauro, F. Russo und L. Armati,

Streithelferinnen,

wegen eines auf Art. 263 AEUV gestützten Antrags auf Nichtigerklärung des Beschlusses C(2014) 2139 final der Kommission vom 2. April 2014 in einem Verfahren nach Artikel [101 AEUV] sowie nach Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache AT.39610 - Stromkabel), soweit er die Klägerin betrifft, und auf Herabsetzung der gegen sie verhängten Geldbuf‌le

erlässt

DAS GERICHT (Achte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten A. M. Collins, der Richterin M. Kancheva (Berichterstatterin) und des Richters R. Barents,

Kanzler: L. Grzegorczyk, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 28. März 2017

folgendes

Urteil

  1. Vorgeschichte des Rechtsstreits

    1. Klägerin und betroffene Branche

      1 Bei der Klägerin, The Goldman Sachs Group, Inc., handelt es sich um eine amerikanische Gesellschaft, die als Geschäfts- und Investmentbank in den weltweit wichtigsten Finanzzentren tätig ist. Vom 29. Juli 2005 bis zum 28. Januar 2009 war sie über die GS Capital Partners V Funds, LP (im Folgenden: GSCP V) und über andere zwischengeschaltete Gesellschaften die mittelbare Muttergesellschaft von Prysmian SpA sowie von deren 100%iger Tochtergesellschaft Prysmian Cavi e Sistemi Srl (im Folgenden: PrysmianCS), ehemals Pirelli Cavi e Sistemi Energia SpA und dann Prysmian Cavi e Sistemi Energia Srl. Prysmian und PrysmianCS bilden zusammen die Prysmian-Gruppe, die weltweit im Sektor von unter der Erde sowie unter Wasser verlegten Stromkabeln (im Folgenden: Erd- und Unterwasserkabel) tätig ist.

      2 Erd- und Unterwasserkabel werden zur unterirdischen bzw. unterseeischen Übertragung und Verteilung von Strom verwendet. Sie werden in drei Kategorien eingeordnet: Niederspannung, Mittelspannung und Hoch- bzw. Höchstspannung. Hoch- und Höchstspannungskabel werden vorwiegend im Rahmen von Projekten verkauft, die sowohl die Lieferung des Stromkabels nebst Zusatzausrüstung als auch die Verlegung und die weiteren erforderlichen Dienstleistungen beinhalten. Die Kabel werden weltweit an grof‌le nationale Netzbetreiber und andere Stromversorgungsunternehmen verkauft, meist im Rahmen von Ausschreibungen.

    2. Verwaltungsverfahren

      3 Mit Schreiben vom 17. Oktober 2008 übermittelte die schwedische Gesellschaft ABB AB der Kommission der Europäischen Gemeinschaften eine Reihe von Erklärungen und Unterlagen über wettbewerbsbeschränkende Geschäftspraktiken in der Branche der Herstellung und Lieferung von Erd- und Unterwasserkabeln. Diese Erklärungen und Unterlagen wurden im Rahmen eines Antrags auf Erlass der Geldbuf‌len im Sinne der Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäf‌ligung von Geldbuf‌len in Kartellsachen (ABl. 2006, C 298, S. 17, im Folgenden: Kronzeugenregelung) eingereicht.

      4 Vom 28. Januar bis zum 3. Februar 2009 nahm die Kommission infolge der Erklärungen von ABB Nachprüfungen in den Räumlichkeiten von Prysmian und Prysmian Cavi e Sistemi Energia sowie bei anderen betroffenen europäischen Gesellschaften, nämlich Nexans SA et Nexans France SAS, vor.

      5 Am 2. Februar 2009 stellten die japanischen Gesellschaften Sumitomo Electric Industries Ltd, Hitachi Cable Ltd und J-Power Systems Corp. einen gemeinsamen Antrag auf Erlass der Geldbuf‌le nach Rn. 14 der Kronzeugenregelung, hilfsweise auf Herabsetzung der Geldbuf‌le nach Rn. 27 dieser Regelung. In der Folge gaben sie gegenüber der Kommission weitere mündliche Erklärungen ab und übermittelten ihr weitere Unterlagen.

      6 Im Laufe der Untersuchung sandte die Kommission mehrere Auskunftsverlangen nach Art. 18 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101 und 102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) und Rn. 12 der Kronzeugenregelung an Unternehmen der Branche der Herstellung und Lieferung von Erd- und Unterwasserkabeln.

      7 Am 30. Juni 2011 leitete die Kommission ein Verfahren ein und nahm eine Mitteilung der Beschwerdepunkte an, die an folgende Rechtssubjekte gerichtet war: Nexans France, Nexans, Pirelli & C. SpA, Prysmian Cavi e Sistemi Energia, Prysmian, Sumitomo Electric Industries, Hitachi Cable, J-Power Systems, Furukawa Electric Co. Ltd, Fujikura Ltd, Viscas Corp., SWCC Showa Holdings Co. Ltd, Mitsubishi Cable Industries Ltd, Exsym Corp., ABB, ABB Ltd, Brugg Kabel AG, Kabelwerke Brugg AG Holding, nkt cables GmbH, NKT Holding A/S, Silec Cable SAS, Grupo General Cable Sistemas, SA, Safran SA, General Cable Corp., LS Cable & System Ltd, Taihan Electric Wire Co. Ltd und die Klägerin.

      8 Vom 11. bis 18. Juni 2012 nahmen alle Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte, mit Ausnahme von Furukawa Electric, an einer Verwaltungsanhörung vor der Kommission teil.

      9 Mit Urteilen vom 14. November 2012, Nexans France und Nexans/Kommission (T-135/09, EU:T:2012:596), und vom 14. November 2012, Prysmian und Prysmian Cavi e Sistemi Energia/Kommission (T-140/09, nicht veröffentlicht, EU:T:2012:597), erklärte das Gericht die zum einen an Nexans und an Nexans France, zum anderen an Prysmian und Prysmian Cavi e Sistemi Energia gerichteten Nachprüfungsentscheidungen teilweise für nichtig, soweit sie andere Stromkabel als Hochspannungsunterwasser- und -erdkabel und das zu diesen anderen Kabeln gehörende Material betrafen; im Übrigen wurden die Klagen abgewiesen. Am 24. Januar 2013 legten Nexans und Nexans France ein Rechtsmittel gegen das erstgenannte Urteil ein. Mit Urteil vom 25. Juni 2014, Nexans und Nexans France/Kommission (C-37/13 P, EU:C:2014:2030), wies der Gerichtshof dieses Rechtsmittel zurück.

      10 Am 2. April 2014 erlief‌l die Kommission den Beschluss C(2014) 2139 final in einem Verfahren nach Artikel 101 [AEUV] sowie nach Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache AT.39610 - Stromkabel) (im Folgenden: angefochtener Beschluss).

    3. Angefochtener Beschluss

      1. In Rede stehende Zuwiderhandlung

        11 Nach Art. 1 des angefochtenen Beschlusses haben sich mehrere Unternehmen in unterschiedlichen Zeiträumen an einer einzigen und fortdauernden Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV „in Bezug auf Erd- und/oder Unterwasserkabel für Hoch- und Höchstspannung“ beteiligt. Im Wesentlichen hat die Kommission festgestellt, die führenden europäischen, japanischen und südkoreanischen Hersteller von Unterwasser- und Erdkabeln hätten sich von Februar 1999 bis Ende Januar 2009 an einem Netz zwei- und mehrseitiger Zusammenkünfte beteiligt und Kontakte hergestellt, die darauf abgezielt hätten, bei Projekten im Zusammenhang mit Hoch- und Höchstspannungserd- und -unterwasserkabeln in bestimmten Gebieten den Wettbewerb einzuschränken, indem sie sich auf die Aufteilung von Märkten und Kunden verständigt und damit den normalen Wettbewerbsprozess verfälscht hätten (Erwägungsgründe 10 bis 13 und 66 des angefochtenen Beschlusses).

        12 Das Kartell habe aus zwei Hauptkonfigurationen bestanden, die ein Gesamtkartell gebildet hätten. Konkreter habe das Kartell aus zwei Teilen bestanden:

        - der „A/R-Kartellkonfiguration“, zu der die im Allgemeinen als „R-Mitglieder“ bezeichneten europäischen Unternehmen, die als „A-Mitglieder“ bezeichneten japanischen Unternehmen und die als „K-Mitglieder“ bezeichneten südkoreanischen Unternehmen gehört hätten. Diese Konfiguration habe dem Ziel gedient, Gebiete und Kunden unter den europäischen, japanischen und südkoreanischen Herstellern aufzuteilen. Die Aufteilung sei gemäf‌l einer Absprache über das „Heimatgebiet“ erfolgt, nach der die japanischen und die südkoreanischen Hersteller bei Projekten im „Heimatgebiet“ der europäischen Hersteller von Geboten abgesehen hätten, während letztere Hersteller auf den japanischen und den südkoreanischen Markt verzichtet hätten. Hinzugekommen sei die Aufteilung von Projekten in den „Ausfuhrgebieten“ - d. h. der restlichen Welt mit Ausnahme namentlich der Vereinigten Staaten -, für die über einen bestimmten Zeitraum eine „60/40-Quote“ gegolten habe, was bedeutet habe, dass 60 % der Projekte den europäischen Herstellern und die übrigen 40 % den asiatischen Herstellern vorbehalten worden seien;

        - der „europäischen Kartellkonfiguration“, die die Aufteilung von Gebieten und Kunden durch die europäischen Hersteller bei Projekten im europäischen „Heimatgebiet“ bzw. bei den europäischen Herstellern zugeteilten Projekten vorgesehen habe (vgl. Abschnitt 3.3 des angefochtenen Beschlusses, insbesondere dessen Erwägungsgründe 73 und 74).

        13 Die Kartellteilnehmer hätten sich zum Austausch von Informationen verpflichtet, um die Einhaltung der Aufteilungsvereinbarungen überwachen zu können (Erwägungsgründe 94 bis 106 und 111 bis 115 des angefochtenen Beschlusses).

        14 Mit Rücksicht auf ihre jeweilige Rolle bei der Verwirklichung des Kartells teilte die Kommission die verschiedenen Kartellteilnehmer in drei Gruppen ein. Zunächst definierte sie die Kerngruppe des Kartells, zu der zum einen die europäischen Unternehmen Nexans France, die nacheinander am Kartell beteiligten Tochterunternehmen von Pirelli & C., vormals Pirelli SpA (im Folgenden: Pirelli), und Prysmian Cavi e Sistemi Energia, zum anderen die japanischen Unternehmen Furukawa Electric Co., Fujikura und ihr...

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