Urteile nº T-420/17 of Tribunal General de la Unión Europea, September 23, 2020

Resolution DateSeptember 23, 2020
Issuing OrganizationTribunal General de la Unión Europea
Decision NumberT-420/17

„Wirtschafts- und Währungsunion - Bankenunion - Einheitlicher Abwicklungsmechanismus für Kreditinstitute und bestimmte Wertpapierfirmen (SRM) - Einheitlicher Abwicklungsfonds (SRF) - Beschluss des SRB über die Berechnung der im Voraus erhobenen Beiträge für 2017 - Nichtigkeitsklage - Unmittelbare und individuelle Betroffenheit - Zulässigkeit - Wesentliche Formvorschriften - Feststellung des Beschlusses - Begründungspflicht - Zeitliche Beschränkung der Urteilswirkungen“

In der Rechtssache T-420/17,

Portigon AG mit Sitz in Düsseldorf (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte D. Bliesener, V. Jungkind und F. Geber,

Klägerin,

gegen

Einheitlicher Abwicklungsausschuss (SRB), vertreten durch P. Messina und J. Kerlin als Bevollmächtigte im Beistand der Rechtsanwälte B. Meyring, S. Schelo und T. Klupsch,

Beklagter,

unterstützt durch

Europäische Kommission, vertreten durch A. Steiblytė und K.-P. Wojcik als Bevollmächtigte,

Streithelferin,

betreffend eine Klage nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung des Beschlusses der Präsidiumssitzung des SRB vom 11. April 2017 über die Berechnung der im Voraus erhobenen Beiträge zum Einheitlichen Abwicklungsfonds für 2017 (SRB/ES/SRF/2017/05), soweit er die Klägerin betrifft,

erlässt

DAS GERICHT (Achte erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten A. M. Collins, der Richterin M. Kancheva sowie der Richter R. Barents, J. Passer (Berichterstatter) und G. De Baere,

Kanzler: S. Bukšek Tomac, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 30. Januar 2020

folgendes

Urteil

Rechtlicher Rahmen

1 Die vorliegende Rechtssache fällt in den Rahmen der zweiten Säule der Bankenunion, die den einheitlichen Abwicklungsmechanismus (SRM) betrifft; dieser wurde durch die Verordnung (EU) Nr. 806/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Juli 2014 zur Festlegung einheitlicher Vorschriften und eines einheitlichen Verfahrens für die Abwicklung von Kreditinstituten und bestimmten Wertpapierfirmen im Rahmen eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus und eines einheitlichen Abwicklungsfonds sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 (ABl. 2014, L 225, S. 1) errichtet. Mit der Schaffung des SRM soll die Integration des Abwicklungsrahmens in den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets und den nicht dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten, die sich für eine Beteiligung am einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM) entscheiden (im Folgenden: teilnehmende Mitgliedstaaten), gestärkt werden.

2 Die Rechtssache betrifft konkret den durch Art. 67 Abs. 1 der Verordnung Nr. 806/2014 errichteten Einheitlichen Abwicklungsfonds (SRF). Der SRF wird durch die Beiträge der Institute finanziert, die gemäfl Art. 67 Abs. 4 dieser Verordnung auf nationaler Ebene insbesondere in Form von im Voraus erhobenen Beiträgen erhoben werden. Nach Art. 3 Abs. 1 Nr. 13 der Verordnung Nr. 806/2014 umfasst der Begriff „Institut“ ein Kreditinstitut oder eine Wertpapierfirma, das bzw. die einer Beaufsichtigung auf konsolidierter Basis nach Art. 2 Buchst. c dieser Verordnung unterliegt. Die Beiträge werden gemäfl dem am 21. Mai 2014 in Brüssel (Belgien) unterzeichneten zwischenstaatlichen Übereinkommen über die Übertragung von Beiträgen auf den SRF und über die gemeinsame Nutzung dieser Beiträge auf die Ebene der Europäischen Union übertragen.

3 In Art. 70 („Im Voraus erhobene Beiträge“) der Verordnung Nr. 806/2014 heiflt es:

„(1) Die jeweiligen Beiträge der einzelnen Institute werden mindestens jährlich erhoben und anteilig zur Gesamthöhe ihrer Verbindlichkeiten (ohne Eigenmittel) abzüglich gedeckter Einlagen im Verhältnis zu den aggregierten Verbindlichkeiten (ohne Eigenmittel) abzüglich gedeckter Einlagen aller im Hoheitsgebiet aller teilnehmenden Mitgliedstaaten zugelassenen Institute berechnet.

(2) Nach Anhörung der EZB oder der nationalen zuständigen Behörde und in enger Zusammenarbeit mit den nationalen Abwicklungsbehörden errechnet der Ausschuss jährlich die einzelnen Beiträge, damit die Beiträge, die von allen im Hoheitsgebiet aller teilnehmenden Mitgliedstaaten zugelassenen Instituten zu entrichten sind, 12,5 % der Zielausstattung nicht übersteigen.

Die jährliche Berechnung der Beiträge der einzelnen Institute beruht auf:

  1. einem Pauschalbetrag, der sich anteilig aus dem Betrag der Verbindlichkeiten - ohne Eigenmittel und gedeckte Einlagen - eines Instituts im Verhältnis zur Gesamthöhe der Verbindlichkeiten - ohne Eigenmittel und gedeckte Einlagen - aller im Hoheitsgebiet der teilnehmenden Mitgliedstaaten zugelassenen Institute ergibt, und

  2. einem risikoadjustierten Beitrag, der auf der Grundlage der in Artikel 103 Absatz 7 der Richtlinie 2014/59/EU festgelegten Kriterien errechnet wird, wobei der Grundsatz der Verhältnismäfligkeit gewahrt werden muss und keine Verzerrungen zwischen den Strukturen der Bankensektoren der Mitgliedstaaten ausgelöst werden dürfen.

    Bei dem Verhältnis zwischen dem Pauschalbeitrag und den risikobereinigten Beiträgen ist auf eine ausgewogene Verteilung der Beiträge zwischen den verschiedenen Arten von Banken zu achten.

    In jedem Fall darf der gemäfl den Buchstaben a und b jährlich berechnete aggregierte Betrag der einzelnen Beiträge aller im Hoheitsgebiet aller teilnehmenden Mitgliedstaaten zugelassenen Institute 12,5 % der Zielausstattung nicht übersteigen.

    (6) Es gelten die von der Kommission gemäfl Artikel 103 Absatz 7 der Richtlinie 2014/59/EU erlassenen delegierten Rechtsakte, in denen das Konzept der Beitragsanpassung entsprechend dem Risikoprofil der Institute festgelegt wird.

    (7) Der Rat erlässt im Rahmen eines in Absatz 6 genannten delegierten Rechtsakts auf Vorschlag der Kommission Durchführungsrechtsakte zur Festlegung der Durchführungsbestimmungen zu den Absätzen 1, 2 und 3 und insbesondere hinsichtlich

  3. der Anwendung der Methode zur Berechnung der einzelnen Beiträge;

  4. der praktischen Modalitäten bei der Zuordnung der Institute zu den in dem delegierten Rechtsakt festgelegten Risikofaktoren.“

    4 Hinsichtlich der im Voraus erhobenen Beiträge wurde die Verordnung Nr. 806/2014 durch die Durchführungsverordnung (EU) 2015/81 des Rates vom 19. Dezember 2014 zur Festlegung einheitlicher Modalitäten für die Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 806/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf im Voraus erhobene Beiträge zum einheitlichem Abwicklungsfonds (ABl. 2015, L 15, S. 1) ergänzt.

    5 Darüber hinaus verweisen die Verordnung Nr. 806/2014 und die Durchführungsverordnung 2015/81 auf einige Bestimmungen, die in zwei weiteren Rechtsakten enthalten sind:

    - zum einen in der Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinie 82/891/EWG des Rates, der Richtlinien 2001/24/EG, 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/EG, 2007/36/EG, 2011/35/EU, 2012/30/EU und 2013/36/EU sowie der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. 2014, L 173, S. 190);

    - zum anderen in der Delegierten Verordnung (EU) 2015/63 der Kommission vom 21. Oktober 2014 zur Ergänzung der Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf im Voraus erhobene Beiträge zu Abwicklungsfinanzierungsmechanismen (ABl. 2015, L 11, S. 44).

    6 Der Einheitliche Abwicklungsausschuss (SRB) wurde als Agentur der Union geschaffen (Art. 42 der Verordnung Nr. 806/2014). Er umfasst u. a. eine Plenarsitzung und eine Präsidiumssitzung (Art. 43 Abs. 5 der Verordnung Nr. 806/2014). Die Aufgaben des SRB im Rahmen der Präsidiumssitzung bestehen in der Annahme aller Beschlüsse zur Umsetzung der Verordnung Nr. 806/2014, sofern in dieser Verordnung nichts anderes vorgesehen ist (Art. 54 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 806/2014).

    Vorgeschichte des Rechtsstreits

    7 Die Klägerin, die Portigon AG, ehemals WestLB AG, ist ein in Deutschland niedergelassenes Kreditinstitut.

    8 Im Jahr 2009 wurde innerhalb der deutschen Abwicklungsbehörde, der Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung (Deutschland) (im Folgenden: FMSA) die Erste Abwicklungsanstalt (im Folgenden: EAA) errichtet, eine organisatorisch und wirtschaftlich selbständige, teilrechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts.

    9 Am 20. Dezember 2011 erliefl die Europäische Kommission den Beschluss 2013/245/EU über die staatliche Beihilfe C 40/2009 und C 43/2008 für die Umstrukturierung der WestLB AG (ABl. 2013, L 148, S. 1).

    10 Im Rahmen dieser Umstrukturierung wurde ein Teil der Geschäftsbereiche und Portfolien der Klägerin (im Folgenden: EAA-Portfolio) auf die EAA übertragen. Das EAA-Portfolio wurde teilweise dinglich im Wege einer Abspaltung auf die EAA übertragen. Der Rest des EAA-Portfolios, zum dem auch ein Portfolio von OTC-Derivaten gehört, wurde nicht dinglich, sondern nur wirtschaftlich bzw. synthetisch auf die EAA übertragen. Hierzu wurden mit der EAA Bar-Unterbeteiligungs-, Garantie- oder Risikoübernahmeverträge abgeschlossen.

    Meldung der Klägerin zur Berechnung ihres im Voraus erhobenen Beitrags für 2017

    11 Am 25. Januar 2017 versandte die Klägerin ihre Meldung zur Berechnung des im Voraus erhobenen Beitrags für 2017 über das ExtraNet der Deutschen Bundesbank an die FMSA. Wie im Jahr 2016 (Urteil vom 28. November 2019, Portigon/SRB, T-365/16, EU:T:2019:824, Rn. 13 bis 17) basierte diese Meldung auf der Rechtsauffassung der Klägerin.

    12 Am selben Tag übersandte die Klägerin einen weiteren Meldebogen in Papierform mit dem Inhalt, der ihrer Ansicht nach der Rechtsauffassung der FMSA entsprach.

    13 Mit E-Mail vom 13. Februar 2017 teilte die FMSA der Klägerin mit, dass die Delegierte Verordnung 2015/63 der parallelen Einreichung von elektronischen Meldedaten und hiervon abweichenden papierhaften Meldedaten entgegenstehe, und forderte sie auf, bis spätestens zum 17. Februar 2017 eine einheitliche Meldung abzugeben.

    14 In ihrem Antwortschreiben an die...

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