Opinion of Advocate General Szpunar delivered on 1 July 2021.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2021:529
Date01 July 2021
Celex Number62019CC0638
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MACIEJ SZPUNAR

vom 1. Juli 2021(1)

Rechtssache C638/19 P

Europäische Kommission

gegen

European Food SA,

Starmill SRL,

Multipack SRL,

Scandic Distilleries SA,

Ioan Micula,

Viorel Micula,

European Drinks SA,

Rieni Drinks SA,

Transilvania General Import-Export SRL,

West Leasing SRL, vormals West Leasing International SRL

„Rechtsmittel – Staatliche Beihilfe – Schiedsgerichtsbarkeit – Beihilfe infolge der Zahlung von Schadensersatz, den ein Schiedsgericht bestimmten Wirtschaftsteilnehmern zuerkannt hat – Bilaterales Investitionsschutzabkommen – Anwendung des Unionsrechts“






I. Einleitung

1. Der heftige Zusammenprall zwischen dem Unionsrecht und dem Recht der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit hat zahlreiche Fragen aufgeworfen, die das Urteil Achmea(2) nicht ausreichend hat beantworten können. Die vorliegende Rechtssache, die für dieses Spannungsverhältnis bezeichnend ist, bietet dem Gerichtshof daher eine willkommene Gelegenheit, unter Hinweis auf die diesem Urteil zugrunde liegenden Erwägungen die Grundsätze weiter zu präzisieren, die für die Frage der Vereinbarkeit auf bilateralen Investitionsschutzabkommen zwischen zwei Mitgliedstaaten beruhender Schiedsverfahren mit dem Unionsrecht gelten, und zwar im besonderen Kontext eines Schiedsverfahrens, das auf der Grundlage eines bilateralen Investitionsschutzabkommens eingeleitet wurde, das zwischen zwei Mitgliedstaaten vor dem Beitritt des am Schiedsverfahren beteiligten Staates zur Europäischen Union geschlossen worden war.

2. An der Schnittstelle zwischen der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit und dem Recht der staatlichen Beihilfen bietet dieser Fall zugleich die Gelegenheit, den Umfang der Zuständigkeit der Europäischen Kommission nach den Art. 107 und 108 AEUV in einem solchen Kontext zu untersuchen.

3. Mit ihrem Rechtsmittel begehrt die Kommission die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 18. Juni 2019, European Food SA u. a./Kommission (T‑624/15, T‑694/15 und T‑704/15, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2019:423), mit dem das Gericht den Beschluss (EU) 2015/1470 der Kommission vom 30. März 2015 über die von Rumänien durchgeführte staatliche Beihilfe SA.38517 (2014/C) (ex 2014/NN) – Schiedsspruch vom 11. Dezember 2013 in der Sache Micula/Rumänien (ABl. 2015, L 232, S. 43, im Folgenden: streitiger Beschluss) für nichtig erklärt hat.

II. Rechtlicher Rahmen

A. ICSID-Übereinkommen

4. Das am 18. März 1965 geschlossene Übereinkommen zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Staaten und Angehörigen anderer Staaten (im Folgenden: ICSID-Übereinkommen), das für Rumänien am 12. Oktober 1975 in Kraft trat, sieht in Art. 53 Abs. 1 vor:

„Der Schiedsspruch ist für die Partei bindend und unterliegt keiner Berufung und auch keinen anderen Rechtsmitteln als denen, die in diesem Übereinkommen vorgesehen sind. Jede Partei hat den Schiedsspruch genau zu befolgen …“

5. Art. 54 Abs. 1 des ICSID-Übereinkommens bestimmt:

„Jeder Vertragsstaat erkennt jeden im Rahmen dieses Übereinkommens erlassenen Schiedsspruch als bindend an und sorgt für die Vollstreckung der darin auferlegten finanziellen Verpflichtungen in seinem Hoheitsgebiet, als handle es sich um ein rechtskräftiges Urteil eines seiner innerstaatlichen Gerichte. …“

B. Abkommen von 1995

6. Das am 1. Februar 1995 in Kraft getretene Europa-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Rumänien andererseits(3) (im Folgenden: Abkommen von 1995) sah in Art. 64 Abs. 1 und 2 vor:

„(1) Soweit sie den Handel zwischen der Gemeinschaft und Rumänien beeinträchtigen, sind mit dem ordnungsgemäßen Funktionieren des Abkommens unvereinbar

iii) staatliche Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen.

(2) Alle Verhaltensweisen, die im Gegensatz zu diesem Artikel stehen, werden nach den Kriterien beurteilt, die sich aus den Artikeln [101, 102 und 107 AEUV] ergeben.“

7. Die Art. 69 und 71 des Abkommens von 1995 verpflichteten Rumänien, seine nationalen Rechtsvorschriften an den gemeinschaftlichen Besitzstand anzugleichen.

C. BIT

8. Das am 29. Mai 2002 zwischen der Regierung des Königreichs Schweden und der rumänischen Regierung geschlossene und am 1. Juli 2003 in Kraft getretene bilaterale Investitionsschutzabkommen zur Förderung und zum gegenseitigen Schutz von Investitionen (im Folgenden: BIT) sieht in Art. 2 Abs. 3 vor:

„Jede Vertragspartei gewährleistet jederzeit eine faire und gerechte Behandlung der Investitionen von Investoren der anderen Vertragspartei und behindert die Verwaltung, Leitung, Aufrechterhaltung, Verwendung, Nutzung oder Veräußerung der genannten Investitionen durch diese Investoren nicht durch willkürliche oder diskriminierende Maßnahmen.“

9. Art. 7 des BIT sieht vor, dass Streitigkeiten zwischen den Investoren und den Unterzeichnerländern u. a. durch ein Schiedsgericht unter Federführung des ICSID beigelegt werden.

D. Beitrittsvertrag und Beitrittsakte

10. Gemäß dem am 25. April 2005 unterzeichneten Vertrag über den Beitritt der Republik Bulgarien und Rumäniens zur Europäischen Union(4) trat Rumänien der Union am 1. Januar 2007 bei.

11. Art. 2 der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Bulgarien und Rumäniens und die Anpassungen der Verträge, auf denen die Europäische Union beruht(5) (im Folgenden: Beitrittsakte) bestimmt:

„Ab dem Tag des Beitritts sind die ursprünglichen Verträge und die vor dem Beitritt erlassenen Rechtsakte der Organe … für … Rumänien verbindlich und gelten in [diesem Staat] nach Maßgabe der genannten Verträge und dieser Akte.“

12. Anhang V Kapitel 2 („Wettbewerbspolitik“) der Beitrittsakte enthält die folgenden Bestimmungen:

„1. Die folgenden Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen, die in einem neuen Mitgliedstaat vor dem Tag des Beitritts eingeführt worden und auch nach diesem Tag noch anwendbar sind, gelten als zum Tag des Beitritts bestehende Beihilfen im Sinne von Artikel [108] Absatz 1 [AEUV]:

a) Beihilfenmaßnahmen, die vor dem 10. Dezember 1994 eingeführt worden sind;

b) Beihilfemaßnahmen, die in der Anlage zu diesem Anhang aufgeführt sind;

c) Beihilfemaßnahmen, die vor dem Tag des Beitritts von der Kontrollbehörde für staatliche Beihilfen des neuen Mitgliedstaats überprüft und als mit dem Besitzstand vereinbar beurteilt wurden und gegen die die Kommission keine Einwände aufgrund schwerwiegender Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der Maßnahme mit dem [Binnenm]arkt gemäß dem in Nummer 2 vorgesehenen Verfahren erhoben hat.

Nach dem Tag des Beitritts weiterhin anzuwendende Maßnahmen, die staatliche Beihilfen darstellen und nicht die vorstehend genannten Voraussetzungen erfüllen, sind zum Tag des Beitritts für die Zwecke der Anwendung von Artikel [108] Absatz 3 [AEUV] als neue Beihilfen anzusehen.

5. In Bezug auf Rumänien gilt Nummer 1 Buchstabe c lediglich für Beihilfemaßnahmen, die von der rumänischen Kontrollbehörde für staatliche Beihilfen nach dem Zeitpunkt bewertet worden sind, zu dem die Vollzugsbilanz über die staatlichen Beihilfen Rumäniens im Zeitraum vor dem Beitritt einen zufrieden stellenden Stand erreicht hat; dieser Zeitpunkt wird von der Kommission auf der Grundlage der ständigen Überwachung der Einhaltung der von Rumänien im Rahmen der Beitrittsverhandlungen eingegangenen Verpflichtungen bestimmt. Es wird erst dann davon ausgegangen, dass dieser zufrieden stellende Stand erreicht worden ist, wenn Rumänien den Nachweis der konsequenten Durchführung einer vollständigen und ordnungsgemäßen Überwachung der staatlichen Beihilfen in Bezug auf alle in Rumänien bewilligten Beihilfemaßnahmen erbracht hat; hierzu gehören auch die Annahme und Anwendung von vollständig und ordnungsgemäß begründeten Entscheidungen der rumänischen Kontrollbehörde für staatliche Beihilfen, die eine genaue Bewertung der Beihilfeeigenschaft jeder staatlichen Beihilfemaßnahme enthalten, sowie die ordnungsgemäße Anwendung der Vereinbarkeitskriterien.

Die Kommission kann gegen alle Beihilfemaßnahmen, die im Zeitraum vor dem Beitritt vom 1. September 2004 bis zu dem Zeitpunkt bewilligt worden sind, der in der vorgenannten Entscheidung der Kommission – mit der Feststellung, dass die Vollzugsbilanz einen zufrieden stellenden Stand erreicht hat – festgelegt worden ist, Einwände aufgrund schwerwiegender Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der Maßnahmen mit dem [Binnenm]arkt erheben. Diese Entscheidung der Kommission, Einwände gegen eine Maßnahme zu erheben, gilt als Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 659/1999[(6)]. Ergeht eine solche Entscheidung vor dem Tag des Beitritts, so wird die Entscheidung erst zum Tag des Beitritts wirksam.

Trifft die Kommission nach Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens eine ablehnende Entscheidung, so entscheidet sie, dass Rumänien alle notwendigen Maßnahmen ergreift, um die Beihilfe vom Empfänger zurückzufordern. Die zurückzufordernde Beihilfe umfasst Zinsen, die nach einem gemäß der Verordnung (EG) Nr. 794/2004[(7)] festgelegten angemessenen Satz berechnet werden und ab demselben Datum zahlbar sind.“

III. Vorgeschichte des Rechtsstreits und streitiger Beschluss

13. Die Vorgeschichte des Rechtsstreits ist in den Rn. 1 bis 42 des angefochtenen Urteils dargestellt worden und lässt sich für die Zwecke des vorliegenden Verfahrens wie folgt zusammenfassen.

14. Am 2. Oktober 1998 erließen die rumänischen Behörden die Dringlichkeitsverordnung Nr. 24/1998 (im Folgenden: EGO 24), mit der bestimmten Investoren in benachteiligten Gebieten, die eine Dauerinvestor-Bescheinigung erhalten hatten, eine Reihe von Investitionsanreizen gewährt wurden, u. a. Vergünstigungen wie die Befreiung von Zöllen und Mehrwertsteuer auf Maschinen, die Erstattung von Zöllen auf Rohstoffe und die Freistellung...

To continue reading

Request your trial
1 practice notes
  • Opinion of Advocate General Szpunar delivered on 7 September 2023.
    • European Union
    • Court of Justice (European Union)
    • 7 September 2023
    ...del 25 gennaio 2022, Commissione/European Food e a. (C‑638/19 P, EU:C:2022:50), e conclusioni da me presentate in tale causa (C‑638/19 P, EU:C:2021:529, paragrafi da 124 a 48 Punto 164 della sentenza impugnata. 49 Punti da 167 a 189 della sentenza impugnata. 50 V. l’esposizione sommaria del......
1 cases
  • Opinion of Advocate General Szpunar delivered on 7 September 2023.
    • European Union
    • Court of Justice (European Union)
    • 7 September 2023
    ...del 25 gennaio 2022, Commissione/European Food e a. (C‑638/19 P, EU:C:2022:50), e conclusioni da me presentate in tale causa (C‑638/19 P, EU:C:2021:529, paragrafi da 124 a 48 Punto 164 della sentenza impugnata. 49 Punti da 167 a 189 della sentenza impugnata. 50 V. l’esposizione sommaria del......

VLEX uses login cookies to provide you with a better browsing experience. If you click on 'Accept' or continue browsing this site we consider that you accept our cookie policy. ACCEPT