Opinion of Advocate General Hogan delivered on 23 September 2021.

JurisdictionEuropean Union
Date23 September 2021
CourtCourt of Justice (European Union)

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

GERARD HOGAN

vom 23. September 2021(1)

Rechtssache C165/20

ET als Insolvenzverwalter der Air Berlin plc & Co. Luftverkehrs KG (AB KG)

gegen

Bundesrepublik Deutschland

(Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts Berlin [Deutschland])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Umwelt – Richtlinie 2003/87/EG – System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten – Richtlinie 2008/101/EG – Einbeziehung des Luftverkehrs – Kostenlose Zuteilung von Luftverkehrs-Emissionszertifikaten an Luftfahrzeugbetreiber für die Handelsperiode 2013 bis 2020 – Einstellung der Luftverkehrstätigkeit eines Luftfahrzeugbetreibers im Jahr 2017 wegen Insolvenz – Rücknahme von Emissionszertifikaten für die Jahre 2018 bis 2020 – Grundsatz der Rechtssicherheit – Verordnung (EU) Nr. 389/2013 – Art. 10 Nr. 5, Art. 29, Art. 55 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 3 sowie Art. 56 – Gültigkeit – Zuteilungsantrag, auf den am Ende einer Handelsperiode keine Zuteilung erfolgt ist – Wechsel zum nächsten Handelszeitraum“






I. Einleitung

1. Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts Berlin (Deutschland) vom 30. März 2020, das am 16. April 2020 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, ergeht im Rahmen eines Verfahrens zwischen ET (als Insolvenzverwalter der Air Berlin plc & Co. Luftverkehrs KG [AB KG]) (im Folgenden: Air Berlin) und der Bundesrepublik Deutschland (im Folgenden: Beklagte) (vertreten durch die Deutsche Emissionshandelsstelle im Umweltbundesamt; im Folgenden: Handelsstelle). Die zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen beziehen sich im Wesentlichen darauf, wie Treibhausgasemissionszertifikate, die vorher einem Luftfahrzeugbetreiber zugeteilt waren, in einem Insolvenzverfahren zu behandeln sind, nachdem dieser Betreiber seine Geschäftstätigkeit eingestellt hat.

2. Dieses Verfahren betrifft u. a. den Bescheid der Handelsstelle vom 28. Februar 2018, mit dem die Air Berlin, einem gewerblichen Luftfahrzeugbetreiber, zuvor gewährte kostenlose Zuteilung von Treibhausgasemissionszertifikaten teilweise zurückgenommen wurde. Diese Zertifikate bezogen sich auf die Handelsperiode 2013 bis 2020. Die Rücknahme, die sich konkret auf die Jahre 2018 bis 2020 bezog, wurde damit begründet, dass Air Berlin im Oktober 2017 ihre Luftverkehrstätigkeit wegen Insolvenz eingestellt hat.

3. Der Gerichtshof wird somit um Auslegung bestimmter Vorschriften der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates(2) in ihrer insbesondere durch die Richtlinie 2008/101/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 zur Änderung der Richtlinie 2003/87/EG zwecks Einbeziehung des Luftverkehrs in das System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft(3) und die Verordnung (EU) Nr. 389/2013 der Kommission vom 2. Mai 2013 zur Festlegung eines Unionsregisters gemäß der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und den Entscheidungen Nr. 280/2004/EG und Nr. 406/2009/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Verordnungen (EU) Nr. 920/2010 und (EU) Nr. 1193/2011 der Kommission(4) geänderten Fassung ersucht.

4. Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen wirft somit die weiter gehende Frage auf, inwieweit solche kostenlos zugeteilten Zertifikate als eine Form immaterieller Vermögensgegenstände angesehen werden können, die unabhängig von den vorliegenden Umständen des Luftfahrzeugbetreibers, dem sie ursprünglich zugeteilt wurden, gehandelt werden können.

II. Rechtlicher Rahmen

A. Unionsrecht

1. Richtlinie 2003/87

5. In den Erwägungsgründen 5 und 7 der Richtlinie 2003/87 heißt es:

„(5) Die [Union] und ihre Mitgliedstaaten sind übereingekommen, ihre Verpflichtungen zur Verringerung der anthropogenen Treibhausgasemissionen im Rahmen des Kyoto-Protokolls gemäß der Entscheidung 2002/358/EG gemeinsam zu erfüllen. Diese Richtlinie soll dazu beitragen, dass die Verpflichtungen der Europäischen Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten durch einen effizienten europäischen Markt für Treibhausgasemissionszertifikate effektiver und unter möglichst geringer Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Entwicklung und der Beschäftigungslage erfüllt werden.

(7) [Unions]vorschriften für die Zuteilung der Zertifikate durch die Mitgliedstaaten sind notwendig, um die Integrität des Binnenmarktes zu erhalten und Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden.

…“

6. Im 20. Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/101 zur Änderung der Richtlinie 2003/87, der den Luftverkehr betrifft, heißt es:

„Um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, sollte eine harmonisierte Zuteilungsmethode festgelegt werden, nach der sich die Gesamtzahl der Emissionszertifikate und deren Aufteilung auf die Luftfahrzeugbetreiber bestimmt. Ein Teil der Zertifikate sollte durch Versteigerung nach einem von der Kommission festzulegenden Verfahren zugeteilt werden. Es sollte eine spezielle Zertifikatsreserve eingerichtet werden, um den Marktzugang neuer Luftfahrzeugbetreiber zu gewährleisten und um Luftfahrzeugbetreiber zu unterstützen, deren Tonnenkilometer sprunghaft ansteigen. An Luftfahrzeugbetreiber, die ihre Flugtätigkeit einstellen, sollten bis zum Ablauf der Periode, für die bereits kostenfreie Zertifikate zugeteilt wurden, weiterhin Zertifikate vergeben werden.“

7. An dieser Stelle möchte ich einen kurzen Einschub machen und darauf hinweisen, dass der letzte Satz des 20. Erwägungsgrundes, den ich mir erlaubt habe, hervorzuheben, in der vorliegenden Rechtssache insoweit umstritten ist, als seine Aufnahme in die Richtlinie 2003/87 und seine Beibehaltung nach Ansicht der Kommission versehentlich erfolgt sein soll. Hierauf werde ich natürlich im Rahmen der Schlussanträge später noch zurückkommen; zunächst sollten jedoch die einschlägigen rechtlichen Hintergründe weiter dargestellt werden.

8. Art. 1 („Gegenstand“) der Richtlinie 2003/87 bestimmt:

„Mit dieser Richtlinie wird ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der [Europäischen Union] … geschaffen, um auf kosteneffiziente und wirtschaftlich effiziente Weise auf eine Verringerung von Treibhausgasemissionen hinzuwirken.“

9. Art. 2 („Geltungsbereich“) dieser Richtlinie bestimmt:

„(1) Diese Richtlinie gilt für die Emissionen aus den in Anhang I aufgeführten Tätigkeiten und die Emissionen der in Anhang II aufgeführten Treibhausgase.

…“

10. Art. 3 („Begriffsbestimmungen“) dieser Richtlinie bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

b) ‚Emissionen‘ die Freisetzung von Treibhausgasen in die Atmosphäre aus Quellen in einer Anlage und die Freisetzung der in Anhang I in Verbindung mit der Tätigkeitskategorie ‚Luftverkehr‘ aufgeführten Gase aus einem Flugzeug, das eine derartige Tätigkeit durchführt;

o) ‚Luftfahrzeugbetreiber‘ die Person, die ein Flugzeug zu dem Zeitpunkt betreibt, zu dem eine Luftverkehrstätigkeit im Sinne des Anhangs I durchgeführt wird, oder, wenn die Identität der Person unbekannt ist oder vom Flugzeugeigentümer nicht angegeben wird, den Eigentümer des Flugzeugs;

…“

11. Art. 3a wurde durch die Richtlinie 2008/101 in das Kapitel „Luftverkehr“ dieser Richtlinie eingefügt. Art. 3a („Anwendungsbereich“) bestimmt:

„Die Bestimmungen in diesem Kapitel gelten für die Zuteilung und Vergabe von Zertifikaten im Zusammenhang mit den in Anhang I aufgelisteten Luftverkehrstätigkeiten.“

12. Art. 3c („Gesamtmenge der Zertifikate für den Luftverkehr“) bestimmt:

„(1) Für die Handelsperiode vom 1. Januar 2012 bis 31. Dezember 2012 entspricht die Gesamtmenge der den Luftfahrzeugbetreibern zuzuteilenden Zertifikate 97 % der historischen Luftverkehrsemissionen.

(2) Für die Handelsperiode gemäß Artikel 13, die am 1. Januar 2013 beginnt, und, wenn keine Änderungen nach der Überprüfung gemäß Artikel 30 Absatz 4 erfolgen, für jede folgende Handelsperiode entspricht die Gesamtmenge der den Luftfahrzeugbetreibern zuzuteilenden Zertifikate 95 % der historischen Luftverkehrsemissionen, multipliziert mit der Anzahl der Jahre in der Handelsperiode.

(3a) Jede Zuteilung von Zertifikaten für Luftverkehrstätigkeiten von und nach Flugplätzen in Ländern außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) unterliegt nach dem 31. Dezember 2023 einer Überprüfung gemäß Artikel 28b.

…“

13. Art. 3d („Methode der Zuteilung von Zertifikaten für den Luftverkehr durch Versteigerung“) der Richtlinie 2003/87 bestimmt:

„(1) In der Handelsperiode gemäß Artikel 3c Absatz 1 werden 15 % der Zertifikate versteigert.

(2) Ab 1. Januar 2013 werden 15 % der Zertifikate versteigert. Die Kommission erstellt eine Studie über die Möglichkeit des Luftverkehrssektors zur Weitergabe der CO2-Kosten an seine Kunden im Zusammenhang mit dem EU-EHS und dem von der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (im Folgenden „ICAO“) entwickelten globalen marktbasierten Mechanismus. In dieser Studie wird bewertet, inwieweit dem Luftverkehrssektor im Vergleich zur Industrie und zum Energiesektor eine Weitergabe der Kosten für die erforderlichen Emissionseinheiten möglich ist, und dabei das Ziel verfolgt, im Anschluss an die Überprüfung gemäß Artikel 28b Absatz 2 einen Vorschlag zur Erhöhung des Prozentsatzes der zu versteigernden Zertifikate vorzulegen, wobei den Ergebnissen der Analyse der Kostenweitergabe Rechnung zu tragen ist und eine Angleichung an andere Sektoren und die Wettbewerbsfähigkeit der verschiedenen Verkehrsträger zu berücksichtigen sind.

(3) Der Kommission wird die Befugnis übertragen, zur Ergänzung dieser Richtlinie gemäß Artikel 23 delegierte Rechtsakte zu erlassen, die die genauen Vorkehrungen für die Versteigerung von Luftverkehrszertifikaten gemäß den Absätzen 1 und 2 dieses Artikels oder gemäß Artikel 3f Absatz 8 durch die Mitgliedstaaten betreffen. Die Zahl der von den einzelnen Mitgliedstaaten in jeder Handelsperiode zu versteigernden...

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