Associazione per gli Studi Giuridici sull’Immigrazione (ASGI) and Others v Presidenza del Consiglio dei Ministri – Dipartimento per le politiche della famiglia and Ministero dell'Economia e delle Finanze.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2021:894
Date28 October 2021
Docket NumberC-462/20
Celex Number62020CJ0462
Procedure TypeReference for a preliminary ruling
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zehnte Kammer)

28. Oktober 2021(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 2003/109/EG – Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen – Art. 11Richtlinie 2011/98/EU – Rechte von Arbeitnehmern aus Drittländern, die Inhaber einer kombinierten Erlaubnis sind – Art. 12Richtlinie 2009/50/EG – Rechte von Drittstaatsangehörigen, die Inhaber einer ,Blauen Karte EU‘ sind – Art. 14Richtlinie 2011/95/EU – Rechte von Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz – Art. 29 – Gleichbehandlung – Soziale Sicherheit – Verordnung (EG) Nr. 883/2004 – Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit – Art. 3 – Familienleistungen – Sozialhilfe – Sozialschutz – Zugang zu Waren und Dienstleistungen – Regelung eines Mitgliedstaats, die Drittstaatsangehörige vom Anspruch auf die ,Familienkarte‘ ausschließt“

In der Rechtssache C‑462/20

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale di Milano (erstinstanzliches Gericht Mailand, Italien) mit Entscheidung vom 14. September 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 25. September 2020, in dem Verfahren

Associazione per gli Studi Giuridici sull’Immigrazione (ASGI),

Avvocati per niente onlus (APN),

Associazione NAGA – Organizzazione di volontariato per l’Assistenza Socio-Sanitaria e per i Diritti di Cittadini Stranieri, Rom e Sinti

gegen

Presidenza del Consiglio dei Ministri – Dipartimento per le politiche della famiglia,

Ministero dell’Economia e delle Finanze

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten der Vierten Kammer C. Lycourgos in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Zehnten Kammer sowie der Richter I. Jarukaitis (Berichterstatter) und M. Ilešič,

Generalanwalt: P. Pikamäe,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– der Associazione per gli Studi Giuridici sull’Immigrazione (ASGI), der Avvocati per niente onlus (APN) und der Associazone NAGA – Organizzazione di volontariato per l’Assistenza Socio-Sanitaria e per i Diritti di Cittadini Stranieri, Rom e Sinti, vertreten durch A. Guariso, L. Neri und I. Traina, avvocati,

– der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,

– der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Cattabriga und D. Martin als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 11 Abs. 1 Buchst. d und f der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. 2004, L 16, S. 44), Art. 12 Abs. 1 Buchst. e und g der Richtlinie 2011/98/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über ein einheitliches Verfahren zur Beantragung einer kombinierten Erlaubnis für Drittstaatsangehörige, sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufzuhalten und zu arbeiten, sowie über ein gemeinsames Bündel von Rechten für Drittstaatsarbeitnehmer, die sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten (ABl. 2011, L 343, S. 1), Art. 14 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2009/50/EG des Rates vom 25. Mai 2009 über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung einer hochqualifizierten Beschäftigung (ABl. 2009, L 155, S. 17) und Art. 29 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2011, L 337, S. 9).

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Associazione per gli Studi Giuridici sull'Immigrazione (ASGI), den Avvocati per niente onlus (APN) und der Associazione NAGA – Organizzazione di volontariato per l’Assistenza Socio-Sanitaria e per i Diritti di Cittadini Stranieri, Rom e Sinti auf der einen und der Presidenza del Consiglio dei Ministri – Dipartimento per le politiche della famiglia (Präsidium des Ministerrats – Abteilung für Familienpolitik, Italien) sowie dem Ministero dell’Economia e delle Finanze (Ministerium für Wirtschaft und Finanzen, Italien) auf der anderen Seite wegen des Ausschlusses Drittstaatsangehöriger vom Anspruch auf eine Karte, die Familien gewährt wird und ihnen Preisnachlässe oder Tarifermäßigungen beim Erwerb von Waren und Dienstleistungen verschafft (im Folgenden: Familienkarte).

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2003/109

3 Art. 11 („Gleichbehandlung“) der Richtlinie 2003/109 bestimmt:

„(1) Langfristig Aufenthaltsberechtigte werden auf folgenden Gebieten wie eigene Staatsangehörige behandelt:

d) soziale Sicherheit, Sozialhilfe und Sozialschutz im Sinn des nationalen Rechts;

f) Zugang zu Waren und Dienstleistungen sowie zur Lieferung von Waren und Erbringung von Dienstleistungen für die Öffentlichkeit und zu Verfahren für den Erhalt von Wohnraum;

(2) In Bezug auf Absatz 1 Buchstaben b), d), e), f) und g) kann der betreffende Mitgliedstaat die Gleichbehandlung auf die Fälle beschränken, in denen der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthaltsort des langfristig Aufenthaltsberechtigten oder seiner Familienangehörigen, für die er Leistungen beansprucht, im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats liegt.

…“

Richtlinie 2009/50

4 Art. 14 („Gleichbehandlung“) der Richtlinie 2009/50 sieht in Abs. 1 vor:

„Die Inhaber einer Blauen Karte EU werden von dem Mitgliedstaat, der die Blaue Karte ausstellt, auf folgenden Gebieten wie eigene Staatsangehörige behandelt:

e) einzelstaatliches Recht der Zweige der sozialen Sicherheit nach der Definition in der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 [des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. 1971, L 149, S. 2)]. Die Sonderbestimmungen im Anhang der Verordnung (EG) Nr. 859/2003 [des Rates vom 14. Mai 2003 zur Ausdehnung der Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 und der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 auf Drittstaatsangehörige, die ausschließlich aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht bereits unter diese Bestimmungen fallen (ABl. 2003, L 124, S. 1)] gelten entsprechend;

g) Zugang zu Waren und Dienstleistungen sowie zur Lieferung von Waren und Erbringung von Dienstleistungen für die Öffentlichkeit, einschließlich der Verfahren zur Erlangung von Wohnraum sowie der Informations- und Beratungsdienste der Arbeitsämter;

…“

Richtlinie 2011/95

5 Art. 29 („Sozialhilfeleistungen“) Abs. 1 der Richtlinie 2011/95 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, in dem Mitgliedstaat, der diesen Schutz gewährt hat, die notwendige Sozialhilfe wie Staatsangehörige dieses Mitgliedstaats erhalten.“

Richtlinie 2011/98

6 Art. 12 („Recht auf Gleichbehandlung“) der Richtlinie 2011/98 sieht vor:

„(1) Drittstaatsarbeitnehmer im Sinne des Artikels 3 Absatz 1 Buchstaben b und c haben ein Recht auf Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen des Mitgliedstaats, in dem sie sich aufhalten, in Bezug auf

e) Zweige der sozialen Sicherheit nach der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2004, L 166, S. 1, Berichtigung im ABl. 2004, L 200, S. 1)];

g) den Zugang zu Waren und Dienstleistungen sowie zur Lieferung von Waren und Erbringung von Dienstleistungen für die Öffentlichkeit einschließlich Verfahren für die Erlangung von Wohnraum gemäß einzelstaatlichem Recht, unbeschadet der Vertragsfreiheit gemäß dem Unionsrecht und dem einzelstaatlichen Recht;

(2) Die Mitgliedstaaten können die Gleichbehandlung wie folgt einschränken:

d) hinsichtlich Absatz 1 Buchstabe g können sie

i) dessen Anwendung auf diejenigen Drittstaatsarbeitnehmer beschränken, die einen Arbeitsplatz haben;

…“

Verordnung Nr. 883/2004

7 Art. 1 („Definitionen“) der Verordnung Nr. 883/2004 bestimmt:

„Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

z) ‚Familienleistungen‘ alle Sach- oder Geldleistungen zum Ausgleich von Familienlasten, mit Ausnahme von Unterhaltsvorschüssen und besonderen Geburts- und Adoptionsbeihilfen nach Anhang I.“

8 Art. 3 („Sachlicher Geltungsbereich“) der Verordnung sieht in seinem Abs. 1 vor:

„Diese Verordnung gilt für alle Rechtsvorschriften, die folgende Zweige der sozialen Sicherheit betreffen:

j) Familienleistungen.“

Italienisches Recht

9 Art. 1 Abs. 391 der Legge n. 208/2015 – Disposizioni per la formazione del bilancio annuale e pluriennale dello Stato (legge di stabilità 2016) (Gesetz Nr. 208/2015 mit Bestimmungen zur Festlegung des jährlichen und mehrjährigen Staatshaushalts [Stabilitätsgesetz 2016]) vom 28. Dezember 2015 (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 302 vom 30. Dezember 2015) in der für den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens maßgeblichen Fassung bestimmt:

„Ab dem Jahr 2016 wird die Familienkarte eingeführt, die für Familien bestimmt ist, die aus italienischen Staatsangehörigen oder Angehörigen von Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit regelmäßigem Wohnsitz im italienischen Hoheitsgebiet bestehen, die mit mindestens drei Kindern zusammenleben, die nicht älter als 26 Jahre sind. Die Karte wird Familien, die sie beantragen, nach den Kriterien und Modalitäten ausgestellt, die mit Dekret des Präsidenten des Ministerrats oder des Ministers für Familie und Behinderung, das innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten dieser Bestimmung zu erlassen ist, im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft und...

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