CD v Ministerstvo vnitra České republiky, Odbor azylové a migrační politiky.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2023:852
Date09 November 2023
Docket NumberC-257/22
Celex Number62022CJ0257
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zehnte Kammer)

9. November 2023(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger – Richtlinie 2008/115/EGArt. 3 Nr. 2 – Begriff ‚illegaler Aufenthalt‘ – Richtlinie 2013/32/EU – Person, die um internationalen Schutz nachsucht – Art. 9 Abs. 1 – Berechtigung zum Verbleib im Mitgliedstaat während der Prüfung des Antrags – Rückkehrentscheidung, die vor dem Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung getroffen wurde, mit der der Antrag auf internationalen Schutz abgelehnt wurde“

In der Rechtssache C‑257/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Krajský soud v Brně (Regionalgericht Brno [Brünn], Tschechische Republik) mit Entscheidung vom 28. Februar 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 14. April 2022, in dem Verfahren

CD

gegen

Ministerstvo vnitra České republiky, Odbor azylové a migrační politiky

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten Z. Csehi, des Präsidenten der fünften Kammer E. Regan (Berichterstatter) und des Richters D. Gratsias,

Generalanwalt: J. Richard de la Tour,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– der tschechischen Regierung, vertreten durch A. Edelmannová, M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,

– der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Azéma, A. Katsimerou und M. Salyková als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 2 und 3 sowie von Art. 5 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. 2008, L 348, S. 98) in Verbindung mit Art. 2, Art. 4 und Art. 19 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

2 Dieses Ersuchen ergeht in einem Rechtsstreit zwischen CD, einem algerischen Staatsangehörigen, und dem Ministerstvo vnitra České republiky, Odbor azylové a migrační politiky (Innenministerium der Tschechischen Republik, Abteilung für Asyl- und Migrationspolitik, im Folgenden: Innenministerium) wegen einer Rückkehrentscheidung, die der Ředitelství služby cizinecké policie (Direktorat des Ausländerpolizeidiensts, Tschechische Republik, im Folgenden: Direktorat der Fremdenpolizei) gegenüber CD getroffen hat (im Folgenden: in Rede stehende Rückkehrentscheidung).

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2008/115

3 Die Erwägungsgründe 9 und 12 der Richtlinie 2008/115 lauten:

„(9) Gemäß der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft [(ABl. 2005, L 326, S. 13)] sollten Drittstaatsangehörige, die in einem Mitgliedstaat Asyl beantragt haben, so lange nicht als illegal im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufhältige Person gelten, bis eine abschlägige Entscheidung über den Antrag oder eine Entscheidung, mit der [ihr] Aufenthaltsrecht als Asylbewerber beendet wird, bestandskräftig geworden ist.

(12) Die Situation von Drittstaatsangehörigen, die sich unrechtmäßig im Land aufhalten, aber noch nicht abgeschoben werden können, sollte geregelt werden. Die Festlegungen hinsichtlich der Sicherung des Existenzminimums dieser Personen sollten nach Maßgabe der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften getroffen werden. Die betreffenden Personen sollten eine schriftliche Bestätigung erhalten, damit sie im Falle administrativer Kontrollen oder Überprüfungen ihre besondere Situation nachweisen können. Die Mitgliedstaaten sollten hinsichtlich der Gestaltung und des Formats der schriftlichen Bestätigung über einen breiten Ermessensspielraum verfügen und auch die Möglichkeit haben, sie in aufgrund dieser Richtlinie getroffene Entscheidungen in Bezug auf die Rückkehr aufzunehmen.“

4 Art. 2 („Anwendungsbereich“) Abs. 1 der Richtlinie 2008/115 bestimmt:

„Diese Richtlinie findet Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige.“

5 Art. 3 („Begriffsbestimmungen“) Nrn. 2 und 4 dieser Richtlinie bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnen die Ausdrücke

2. ‚illegaler Aufenthalt‘: die Anwesenheit von Drittstaatsangehörigen, die nicht oder nicht mehr die Einreisevoraussetzungen nach Artikel 5 [der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) (ABl. 2006, L 105, S. 1)] oder andere Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt erfüllen, im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats;

4. ‚Rückkehrentscheidung‘: die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird;

…“

6 Art. 5 („Grundsatz der Nichtzurückweisung, Wohl des Kindes, familiäre Bindungen und Gesundheitszustand“) der Richtlinie bestimmt u. a., dass die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie den Grundsatz der Nichtzurückweisung einhalten.

7 Art. 6 („Rückkehrentscheidung“) Abs. 1 der Richtlinie 2008/115 bestimmt:

„Unbeschadet der Ausnahmen nach den Absätzen 2 bis 5 erlassen die Mitgliedstaaten gegen alle illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung.“

Richtlinie 2013/32/EU

8 Art. 9 („Berechtigung zum Verbleib im Mitgliedstaat während der Prüfung des Antrags“) Abs. 1 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. 2013, L 180, S. 60) bestimmt:

„Antragsteller dürfen ausschließlich zum Zwecke des Verfahrens so lange im Mitgliedstaat verbleiben, bis die Asylbehörde auf der Grundlage der in Kapitel III genannten erstinstanzlichen Verfahren über den Antrag entschieden hat. Aus dieser Berechtigung zum Verbleib ergibt sich kein Anspruch auf einen Aufenthaltstitel.“

9 Art. 36 („Das Konzept des sicheren Herkunftsstaats“) der Richtlinie 2013/32 bestimmt:

„(1) Ein Drittstaat, der nach dieser Richtlinie als sicherer Herkunftsstaat bestimmt wurde, kann nach individueller Prüfung des Antrags nur dann als für einen bestimmten Antragsteller sicherer Herkunftsstaat betrachtet werden, wenn

a) der Antragsteller die Staatsangehörigkeit des betreffenden Staates besitzt oder

b) der Antragsteller staatenlos ist und zuvor seinen gewöhnlichen Aufenthalt in dem betreffenden Staat hatte

und er keine schwerwiegenden Gründe dafür vorgebracht hat, dass der Staat in seinem speziellen Fall im Hinblick auf die Anerkennung als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2011, L 337, S. 9)] nicht als sicherer Herkunftsstaat zu betrachten ist.

(2) Die Mitgliedstaaten legen in den nationalen Rechtsvorschriften weitere Regeln und Modalitäten für die Anwendung des Konzepts des sicheren Herkunftsstaats fest.“

10 Art. 37 („Nationale Bestimmung von Drittstaaten als sichere Herkunftsstaaten“) der Richtlinie sieht vor:

„(1) Zum Zwecke der Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz können die Mitgliedstaaten Rechts- oder Verwaltungsvorschriften beibehalten oder erlassen, aufgrund deren sie im Einklang mit Anhang I sichere Herkunftsstaaten bestimmen können.

(2) Die Mitgliedstaaten überprüfen regelmäßig die Lage in Drittstaaten, die gemäß diesem Artikel als sichere Herkunftstaaten bestimmt wurden.

…“

Tschechisches Recht

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