A contre Finanzamt X.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2023:80
Date09 February 2023
Docket NumberC-713/21
Celex Number62021CJ0713
CourtCourt of Justice (European Union)

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)

9. Februar 2023(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 2 Abs. 1 Buchst. c – Begriff ‚Dienstleistungen gegen Entgelt‘ – Einheitliche Leistung, die aus der Unterbringung und dem Training von Pferden sowie ihrer Turnierteilnahme besteht – Vergütung durch hälftige Abtretung des Anspruchs auf die mit den Pferden bei Turnieren gewonnenen Preisgelder“

In der Rechtssache C‑713/21

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 27. Juli 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 25. November 2021, in dem Verfahren

A

gegen

Finanzamt X

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin M. L. Arastey Sahún (Berichterstatterin) sowie der Richter N. Wahl und J. Passer,


Generalanwältin: L. Medina,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– von A, vertreten durch Rechtsanwalt H. Nieskens,

– der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und A. Hoesch als Bevollmächtigte,

– der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Armenia und L. Hohenecker als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen A, dem Inhaber eines Ausbildungsstalls für Turnierpferde, und dem Finanzamt X (Deutschland) über die Umsatzsteuerpflichtigkeit der vom Kläger erbrachten Leistungen, die durch hälftige Abtretung des Anspruchs auf die mit den Pferden bei Turnieren gewonnenen Preisgelder vergütet wurden.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3 Art. 1 Abs. 2 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:

„Bei allen Umsätzen wird die Mehrwertsteuer, die nach dem auf den Gegenstand oder die Dienstleistung anwendbaren Steuersatz auf den Preis des Gegenstands oder der Dienstleistung errechnet wird, abzüglich des Mehrwertsteuerbetrags geschuldet, der die verschiedenen Kostenelemente unmittelbar belastet hat.“


4 Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:

„Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:

c) Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt“.

5 Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:

„Bei der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter die Artikel 74 bis 77 fallen, umfasst die Steuerbemessungsgrundlage alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer für diese Umsätze vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen.“

Deutsches Recht

6 Das Umsatzsteuergesetz vom 21. Februar 2005 (BGBl. 2005 I S. 386) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung bestimmt in § 1 Abs. 1 Nr. 1:

„Der Umsatzsteuer unterliegen die folgenden Umsätze:

1. die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. …“

7 In § 10 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes heißt es:

„Der Umsatz wird bei Lieferungen und sonstigen Leistungen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1) … nach dem Entgelt bemessen. Entgelt ist alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, jedoch abzüglich der Umsatzsteuer. Zum Entgelt gehört auch, was ein anderer als der Leistungsempfänger dem Unternehmer für die Leistung gewährt. …“

8 Die Finanzgerichtsordnung vom 28. März 2001 (BGBl. 2001 I S. 442, 2262; 2002 I S. 679) in der auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung sieht in § 118 Abs. 2 vor:

„Der Bundesfinanzhof ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, es sei denn, dass in Bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

9 Der Kläger des Ausgangsverfahrens betrieb in den Jahren 2007 bis 2012 einen Ausbildungsstall für Turnierpferde.

10 Er schloss mit Pferdeeigentümern, die in Deutschland wohnten, Verträge, nach denen diese ihm ihre Pferde zur Verfügung stellten. Diese Pferde wurden in diesem Stall untergestellt und gepflegt. Sie wurden dort ausgebildet und nahmen in Deutschland und im Ausland an Turnieren teil.

11 Nach diesen Verträgen hatten die Eigentümer die Kosten für den Unterhalt, die Turnierteilnahme, den Transport, den Hufschmied und den Tierarzt der Pferde zu tragen, während der Kläger des Ausgangsverfahrens die Kosten für seine eigene Teilnahme als Reiter an den Turnieren, d. h. Reisekosten, Hotelkosten und Spesen, zu übernehmen hatte.

12 Vor dem Hintergrund, dass die bei Pferdeturnieren gewonnenen Preisgelder allein dem Eigentümer der Pferde zustanden, sahen die genannten Verträge vor, dass der Kläger des Ausgangsverfahrens 50 % aller Geld- und Sachpreise (im Folgenden zusammen: Preisgelder) erhalten sollte. Hierzu trat der Eigentümer bereits beim Abschluss des Überlassungsvertrags dem Kläger die künftigen Ansprüche hierauf zur Hälfte ab. Der Kläger des Ausgangsverfahrens durfte etwaige Forderungen eines Eigentümers ihm gegenüber mit etwaigen eigenen Forderungen gegenüber dem betreffenden Eigentümer verrechnen.

13 Im Rahmen einer Steuerprüfung wurde davon ausgegangen, dass die Turniererlöse mit fremden Pferden dem Regelsteuersatz der Umsatzsteuer unterliegen.

14 Daher erließ die Steuerverwaltung X am 8. Oktober 2015 geänderte Umsatzsteuerbescheide. Der Kläger des Ausgangsverfahrens legte gegen diese Bescheide Einsprüche ein, die mit Entscheidung der Steuerverwaltung vom 6. Juli 2017 als unbegründet zurückgewiesen wurden.

15 Das Finanzgericht (Deutschland) wies die gegen diese Entscheidung gerichtete Klage des Klägers des Ausgangsverfahrens ab. Gestützt auf das Urteil vom 10. November 2016, Baštová (C‑432/15, im Folgenden: Urteil Baštová, EU:C:2016:855), sowie auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs entschied es, dass die durch die Teilnahme an Turnieren mit fremden Pferden gewonnenen Preisgelder ein Entgelt für umsatzsteuerpflichtige Leistungen seien.

16 Nach den Feststellungen des Finanzgerichts hatte der Kläger des Ausgangsverfahrens auf der Grundlage der mit den Pferdeeigentümern geschlossenen Verträge eine einheitliche Leistung erbracht, die die Unterbringung, das Training und die Turnierteilnahme der Pferde umfasste. Ebenfalls nach diesen Feststellungen erhielt er als Entgelt für diese einheitliche Leistung von den Pferdeeigentümern zum einen den Ersatz der Kosten des Unterhalts, der Turnierteilnahme, des Transports, des Hufschmieds und der tierärztlichen Versorgung und zum anderen eine hälftige Beteiligung an den mit den Pferden bei Turnieren gewonnenen Preisgeldern. Nach Ansicht des Finanzgerichts erbrachte der Kläger des Ausgangsverfahrens somit auch eine Leistung gegen Abtretung eines Teils dieser den Pferdeeigentümern zustehenden Preisgelder.

17 Der Kläger des Ausgangsverfahrens legte gegen die Entscheidung des Finanzgerichts beim vorlegenden Gericht, dem Bundesfinanzhof, Revision ein. Der Bundesfinanzhof führt aus, dass die in Rn. 16 des vorliegenden Urteils angeführten Feststellungen des Finanzgerichts mangels hiergegen gerichteter Revisionsrügen für ihn gemäß § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung bindend seien. Ferner entsprächen diese Feststellungen den Rechtsgrundsätzen zur Abgrenzung...

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