f6 Cigarettenfabrik GmbH & Co. KG v Hauptzollamt Bielefeld.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2024:226
Date14 March 2024
Docket NumberC-336/22
Celex Number62022CJ0336
CourtCourt of Justice (European Union)

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

14. März 2024(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Steuerrecht – Allgemeines Verbrauchsteuersystem – Richtlinie 2008/118/EG – Art. 1 Abs. 2 – Andere indirekte Steuern auf verbrauchsteuerpflichtige Waren – Voraussetzungen für die Erhebung – Mit der Steuer verfolgter besonderer Zweck – Verbrauchsteuern auf Tabakwaren – Richtlinie 2011/64/EU – Art. 14 – Besteuerungsvorschriften – Einhaltung dieser Vorschriften durch die anderen indirekten Steuern auf verbrauchsteuerpflichtige Waren – Erhitzter Tabak – Nationale Regelung, die für diesen Tabak eine andere Steuerstruktur und einen anderen Steuersatz vorsieht als für die Kategorie ‚anderer Rauchtabak‘“

In der Rechtssache C‑336/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Finanzgericht Düsseldorf (Deutschland) mit Entscheidung vom 29. April 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 23. Mai 2022, in dem Verfahren

f6 Cigarettenfabrik GmbH & Co. KG

gegen

Hauptzollamt Bielefeld

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe, des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Dritten Kammer sowie der Richter N. Piçarra (Berichterstatter), N. Jääskinen und M. Gavalec,


Generalanwalt: A. Rantos,

Kanzler: D. Dittert, Referatsleiter,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. Juni 2023,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– der f6 Cigarettenfabrik GmbH & Co. KG, vertreten durch Rechtsanwältin D. Atanasova und Rechtsanwalt C. Salder,

– der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller, R. Kanitz und N. Scheffel als Bevollmächtigte,

– der Europäischen Kommission, vertreten durch A. C. Becker und M. Björkland als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 28. September 2023,

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG (ABl. 2009, L 9, S. 12) sowie von Art. 14 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b, Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. c und Abs. 3 der Richtlinie 2011/64/EU des Rates vom 21. Juni 2011 über die Struktur und die Sätze der Verbrauchsteuern auf Tabakwaren (ABl. 2011, L 176, S. 24).

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der f6 Cigarettenfabrik GmbH & Co. KG (im Folgenden: f6) und dem Hauptzollamt Bielefeld (Deutschland) über die Rechtmäßigkeit der Zusatzsteuer zur Verbrauchsteuer, die seit 1. Januar 2022 für den von dieser Gesellschaft hergestellten erhitzten Tabak gilt.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2008/118

3 Der vierte Erwägungsgrund der durch die Richtlinie (EU) 2020/262 des Rates vom 19. Dezember 2019 zur Festlegung des allgemeinen Verbrauchsteuersystems (ABl. 2020, L 58, S. 4) aufgehobenen und ersetzten, aber ratione temporis auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Richtlinie 2008/118 lautete:

„Auf verbrauchsteuerpflichtige Waren können für besondere Zwecke andere indirekte Steuern erhoben werden. Um die Wirksamkeit der Gemeinschaftsregelungen im Bereich der indirekten Steuern in solchen Fällen nicht zu gefährden, sollten die Mitgliedstaaten bestimmte wesentliche Kernpunkte dieser Regelungen berücksichtigen.“

4 Art. 1 der Richtlinie 2008/118 sah vor:

„(1) Diese Richtlinie legt ein allgemeines System für die Verbrauchsteuern fest, die mittelbar oder unmittelbar auf den Verbrauch folgender Waren (nachstehend ‚verbrauchsteuerpflichtige Waren‘ genannt) erhoben werden:

c) Tabakwaren gemäß [der Richtlinie 2011/64].

(2) Die Mitgliedstaaten können für besondere Zwecke auf verbrauchsteuerpflichtige Waren andere indirekte Steuern erheben, sofern diese Steuern in Bezug auf die Bestimmung der Bemessungsgrundlage, die Berechnung der Steuer, die Entstehung des Steueranspruchs und die steuerliche Überwachung mit den gemeinschaftlichen Vorschriften für die Verbrauchsteuer oder die Mehrwertsteuer vereinbar sind, wobei die Bestimmungen über die Steuerbefreiungen ausgenommen sind.

…“

Richtlinie 2011/64

5 In den Erwägungsgründen 2 und 9 der Richtlinie 2011/64 heißt es:

„(2) Die Steuervorschriften der [Europäischen] Union für Tabakwaren sollten das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes und gleichzeitig ein hohes Gesundheitsschutzniveau … gewährleisten …

(9) Die Harmonisierung der Strukturen der Verbrauchsteuern muss insbesondere dazu führen, dass der Wettbewerb zwischen den einer gleichen Gruppe angehörenden Kategorien von Tabakwaren durch die Folgen der Besteuerung nicht verfälscht wird …“

6 Art. 1 dieser Richtlinie lautet:

„Die vorliegende Richtlinie bestimmt allgemeine Grundsätze für die Harmonisierung der Struktur und der Sätze der Verbrauchsteuern, denen die Tabakwaren in den Mitgliedstaaten unterliegen.“

7 In Art. 2 der Richtlinie heißt es:

„(1) Für die Zwecke dieser Richtlinie umfasst der Begriff ‚Tabakwaren‘:

a) Zigaretten;

b) Zigarren und Zigarillos;

c) Rauchtabak:

i) Feinschnitttabak für selbstgedrehte Zigaretten,

ii) anderen Rauchtabak.

(2) Zigaretten und Rauchtabak gleichgestellt sind Erzeugnisse, die ausschließlich oder teilweise aus anderen Stoffen als Tabak bestehen, aber den übrigen Kriterien des Artikels 3 oder des Artikels 5 Absatz 1 entsprechen.

…“

8 Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie sieht vor:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie umfasst der Begriff ‚Rauchtabak‘:

a) geschnittenen oder anders zerkleinerten, gesponnenen oder in Platten gepressten Tabak, der sich ohne weitere industrielle Bearbeitung zum Rauchen eignet;

b) zum Einzelverkauf aufgemachte und zum Rauchen geeignete Tabakabfälle, die nicht unter Artikel 3 und Artikel 4 Absatz 1 fallen. …“

9 Art. 14 der Richtlinie 2011/64 bestimmt:

„(1) Die Mitgliedstaaten wenden eine Verbrauchsteuer an, bei der es sich handeln kann

a) entweder um eine Ad‑Valorem-Verbrauchsteuer, die nach den Kleinverkaufshöchstpreisen des jeweiligen Erzeugnisses berechnet wird, … oder

b) um eine spezifische Verbrauchsteuer, die in Form eines bestimmten Betrags je kg oder – bei Zigarren und Zigarillos – alternativ je Stückzahl ausgedrückt wird oder

c) um eine gemischte Verbrauchsteuer mit einem Ad‑Valorem-Anteil und einem spezifischen Anteil.

Im Falle der Ad‑Valorem-Steuer oder der gemischten Verbrauchsteuer können die Mitgliedstaaten auch einen Mindestbetrag der Verbrauchsteuer festlegen.

(2) Die als Prozentsatz, in Form eines bestimmten Betrags je kg oder je Stückzahl ausgedrückte globale Verbrauchsteuer (spezifische Verbrauchsteuer und/oder Ad‑Valorem-Verbrauchsteuer ohne Mehrwertsteuer) beträgt mindestens soviel wie die Sätze oder Mindestbeträge für:

a) Zigarren und Zigarillos: 5 % des Kleinverkaufspreises einschließlich sämtlicher Steuern oder 12 [Euro] je 1 000 Stück oder je kg;

b) Feinschnitttabak für selbst gedrehte Zigaretten: 40 % des gewichteten durchschnittlichen Kleinverkaufspreises für Feinschnitttabak für selbstgedrehte in den steuerrechtlich freien Verkehr überführte Zigaretten oder 40 [Euro] je kg;

c) anderen Rauchtabak: 20 % des Kleinverkaufspreises einschließlich sämtlicher Steuern oder 22 [Euro] je kg.

(3) Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Sätze bzw. Beträge gelten für sämtliche Erzeugnisse der betreffenden Gruppe von Tabakwaren ohne Unterscheidung innerhalb dieser Gruppe nach Qualität, Aufmachung, Herkunft der Erzeugnisse, verwendetem Material, Charakteristiken der beteiligten Unternehmen oder anderen Kriterien.

…“

Deutsches Recht

10 Das Tabaksteuergesetz vom 15. Juli 2009 (BGBl. 2009 I S. 1870) in der durch das Gesetz vom 10. August 2021 (BGBl. 2021 I S. 3411) geänderten Fassung (im Folgenden: TabStG) sieht in seinem § 1 vor:

„(1) Tabakwaren, erhitzter Tabak und Wasserpfeifentabak unterliegen … der Tabaksteuer. … Die Tabaksteuer ist eine Verbrauchsteuer im Sinne der Abgabenordnung.

(2) Tabakwaren sind

1. Zigarren oder Zigarillos …

2. Zigaretten:

….

3. Rauchtabak (Feinschnitt und Pfeifentabak): geschnittener oder anders zerkleinerter oder gesponnener oder in Platten gepresster Tabak, der sich ohne weitere industrielle Bearbeitung zum Rauchen eignet.

(2a) Erhitzter Tabak im Sinne dieses Gesetzes ist stückweise und einzeln portionierter Rauchtabak, der dazu geeignet ist, durch Inhalation eines in einer Vorrichtung erzeugten Aerosols oder Rauches konsumiert zu werden.

…“

11 § 1a („Erhitzter Tabak, Wasserpfeifentabak“) TabStG lautet:

„Soweit nicht anders bestimmt, gelten die Vorschriften dieses Gesetzes für Rauchtabak sowie die dazu ergangenen Durchführungsbestimmungen auch für erhitzten Tabak und Wasserpfeifentabak.“

12 § 2 TabStG sieht vor:

„(1) Die Steuer beträgt:

1. für Zigaretten

b) für den Zeitraum vom 1. Januar 2022 bis zum 31. Dezember 2022 10,88 Cent je Stück und 19,84 Prozent des Kleinverkaufspreises, mindestens jedoch 22,276 Cent je Stück abzüglich der Umsatzsteuer des Kleinverkaufspreises der zu versteuernden Zigarette;

4. für Pfeifentabak

b) für den Zeitraum vom 1. Januar 2022 bis zum 31. Dezember 2022 15,66 Euro je Kilogramm und...

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