Bayer CropScience AG and Bayer AG v European Commission.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2021:367
Date06 May 2021
Docket NumberC-499/18
Celex Number62018CJ0499
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

6. Mai 2021(*)

„Rechtsmittel – Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 – Art. 4 und 21 – Genehmigungskriterien – Überprüfung der Genehmigung – Pflanzenschutzmittel – Durchführungsverordnung (EU) Nr. 485/2013 – Wirkstoffe Clothianidin und Imidacloprid – Saatgut, das mit Pflanzenschutzmitteln behandelt wurde, die diese Wirkstoffe enthalten – Verbot der nicht gewerblichen Verwendung – Vorsorgeprinzip“

In der Rechtssache C‑499/18 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 27. Juli 2018,

Bayer CropScience AG,

Bayer AG, beide mit Sitz in Monheim am Rhein (Deutschland),

Prozessbevollmächtigte: M. Zdzieborska, Solicitor, A. Robert, avocate, K. Nordlander, advokat, C. Zimmermann, avocat, und P. Harrison, Solicitor,

Rechtsmittelführerinnen,

andere Verfahrensbeteiligte:

Association générale des producteurs de maïs et autres céréales cultivées de la sous-famille des panicoïdées (AGPM) mit Sitz in Montardon (Frankreich),

The National Farmers’ Union (NFU) mit Sitz in Stoneleigh (Vereinigtes Königreich), Prozessbevollmächtigte: zunächst H. Mercer, QC, und J. Robb, Barrister, beauftragt durch N. Winter, Solicitor, dann H. Mercer, QC, J. Robb, Barrister, und K. Tandy, advocate,

Association européenne pour la protection des cultures (ECPA) mit Sitz in Brüssel (Belgien), Prozessbevollmächtigte: zunächst D. Abrahams, E. Mullier und I. de Seze, avocats, dann D. Abrahams und E. Mullier, avocats,

Rapool-Ring GmbH Qualitätsraps deutscher Züchter mit Sitz in Isernhagen (Deutschland),

European Seed Association (ESA) mit Sitz in Brüssel, Prozessbevollmächtigte: zunächst P. de Jong, avocat, K. Claeyé, advocaat, und E. Bertolotto, avocate, dann P. de Jong, avocat, und K. Claeyé, advocaat,

Agricultural Industries Confederation Ltd mit Sitz in Peterborough (Vereinigtes Königreich), Prozessbevollmächtigte: zunächst P. de Jong, avocat, K. Claeyé, advocaat, und E. Bertolotto, avocate, dann J. Gaul und P. de Jong, avocats, sowie K. Claeyé, advocaat,

Streithelferinnen im ersten Rechtszug,

Europäische Kommission, vertreten durch: B. Eggers, P. Ondrůšek, X. Lewis und I. Naglis als Bevollmächtigte,

Beklagte im ersten Rechtszug,

unterstützt durch:

Stichting De Bijenstichting mit Sitz in Vorden (Niederlande), Prozessbevollmächtigte: L. Smale, advocate,

Streithelferin im Rechtsmittelverfahren,

Union nationale de l’apiculture française (UNAF) mit Sitz in Paris (Frankreich), Prozessbevollmächtigte: B. Fau und J.‑F. Funke, avocats,

Deutscher Berufs- und Erwerbsimkerbund e. V. mit Sitz in Soltau (Deutschland),

Österreichischer Erwerbsimkerbund mit Sitz in Großebersdorf (Österreich),

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte B. Tschida und A. Willand,

Pesticide Action Network Europe (PAN Europe) mit Sitz in Brüssel,

Bee Life European Beekeeping Coordination (Bee Life) mit Sitz in Louvain-la-Neuve (Belgien),

Buglife – The Invertebrate Conservation Trust mit Sitz in Peterborough,

Stichting Greenpeace Council (Greenpeace) mit Sitz in Amsterdam (Niederlande),

Prozessbevollmächtigte: B. Kloostra, advocaat,

Königreich Schweden, vertreten durch zunächst C. Meyer-Seitz, A. Falk, H. Shev, J. Lundberg und E. Karlsson, dann durch C. Meyer-Seitz, H. Shev und E. Karlsson als Bevollmächtigte,

Streithelfer im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot, des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Ersten Kammer sowie der Richter L. Bay Larsen (Berichterstatter), M. Safjan und N. Jääskinen,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: M. Longar, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 3. Juni 2020,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 17. September 2020

folgendes

Urteil

1 Mit ihrem Rechtsmittel begehren die Bayer CropScience AG und die Bayer AG die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 17. Mai 2018, Bayer CropScience u. a./Kommission (T‑429/13 und T‑451/13, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2018:280), mit dem das Gericht ihre Klagen auf Nichtigerklärung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 485/2013 der Kommission vom 24. Mai 2013 zur Änderung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 540/2011 hinsichtlich der Bedingungen für die Genehmigung der Wirkstoffe Clothianidin, Thiamethoxam und Imidacloprid sowie des Verbots der Anwendung und des Verkaufs von Saatgut, das mit diese Wirkstoffe enthaltenden Pflanzenschutzmitteln behandelt wurde (ABl. 2013, L 139, S. 12, im Folgenden: streitige Verordnung), abgewiesen hat, sowie die Nichtigerklärung der streitigen Verordnung, soweit diese die Rechtsmittelführerinnen betrifft.

I. Rechtlicher Rahmen

A. Richtlinie 91/414/EWG

2 Vor dem 14. Juni 2011 war das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln durch die Richtlinie 91/414/EWG des Rates vom 15. Juli 1991 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln (ABl. 1991, L 230, S. 1) geregelt.

3 Nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 91/414 konnte ein Pflanzenschutzmittel von einem Mitgliedstaat u. a. nur dann zugelassen werden, wenn seine Wirkstoffe in Anhang I dieser Richtlinie aufgeführt waren.

4 Art. 5 der Richtlinie 91/414 bestimmte u. a.:

„(1) Ein Wirkstoff wird nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen und technischen Erkenntnisse für einen anfänglichen Zeitraum von höchstens zehn Jahren in Anhang I aufgenommen, wenn angenommen werden kann, dass die diesen Wirkstoff enthaltenden Pflanzenschutzmittel folgende Voraussetzungen erfüllen:

a) ihre bei Anwendung gemäß guter Pflanzenschutzpraxis entstandenen Rückstände haben keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier oder auf das Grundwasser bzw. keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt und können, soweit toxikologisch oder ökologisch signifikant, mit allgemein gebräuchlichen Methoden gemessen werden,

b) ihre Anwendung gemäß guter Pflanzenschutzpraxis hat keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch oder Tier oder keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt gemäß Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b) Ziffern iv) und v).

(2) Für die Aufnahme eines Wirkstoffs in Anhang I ist in ganz besonderem Maße Folgendes zu berücksichtigen:

a) wo dies relevant ist, eine für den Menschen annehmbare Tagesdosis (ADI-Wert);

b) falls erforderlich, eine annehmbare Anwenderexposition;

c) wo dies relevant ist, Einschätzung des Verbleibs und der Verbreitung in der Umwelt sowie der Auswirkung auf Arten, die nicht bekämpft werden sollen.

…“

B. Verordnung (EG) Nr. 1107/2009

5 Die Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und zur Aufhebung der Richtlinien 79/117/EWG und 91/414/EWG des Rates (ABl. 2009, L 309, S. 1) trat am 14. Juni 2011 in Kraft.

6 In den Erwägungsgründen 8 und 16 dieser Verordnung heißt es:

„(8) Mit dieser Verordnung soll ein hohes Schutzniveau für die Gesundheit von Mensch und Tier und für die Umwelt gewährleistet und zugleich die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft der Gemeinschaft sichergestellt werden. …

(16) Für den Fall, dass die Kriterien für die Genehmigung nicht länger erfüllt sind oder die Einhaltung der Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik [(ABl. 2000, L 327, S. 1)] nicht gewährleistet ist, sollte unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit der Änderung oder die Aufhebung einer Genehmigung für einen Wirkstoff vorgesehen sein.“

7 Nach Art. 28 Abs. 1 und Art. 29 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1107/2009 darf ein Pflanzenschutzmittel nur in Verkehr gebracht oder verwendet werden, wenn es in dem betreffenden Mitgliedstaat gemäß dieser Verordnung zugelassen wurde, wobei die Genehmigung dieses Mittels durch einen Mitgliedstaat u. a. voraussetzt, dass seine Wirkstoffe auf Ebene der Europäischen Union genehmigt wurden.

8 Art. 4 („Genehmigungskriterien für Wirkstoffe“) der Verordnung Nr. 1107/2009 nennt u. a. folgende Kriterien:

„(1) Ein Wirkstoff wird gemäß Anhang II genehmigt, wenn aufgrund des wissenschaftlichen und technischen Kenntnisstandes zu erwarten ist, dass unter Berücksichtigung der Genehmigungskriterien in den Nummern 2 und 3 jenes Anhangs Pflanzenschutzmittel, die diesen Wirkstoff enthalten, die Voraussetzungen der Absätze 2 und 3 erfüllen.

(2) Die Rückstände von Pflanzenschutzmitteln müssen als Folge der Verwendung entsprechend der guten Pflanzenschutzpraxis und unter der Voraussetzung realistischer Verwendungsbedingungen folgende Anforderungen erfüllen:

a) Sie dürfen keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen, einschließlich besonders gefährdeter Personengruppen, oder von Tieren – unter Berücksichtigung von Kumulations- und Synergieeffekten, wenn es von der [Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA)] anerkannte wissenschaftliche Methoden zur Messung solcher Effekte gibt – noch auf das Grundwasser haben.

b) Sie dürfen keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt haben.

(3) Pflanzenschutzmittel müssen als Folge der Verwendung entsprechend der guten Pflanzenschutzpraxis und unter der Voraussetzung realistischer Verwendungsbedingungen folgende Anforderungen erfüllen:

a) Sie müssen hinreichend wirksam sein.

b) Sie dürfen keine sofortigen oder verzögerten schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen, einschließlich besonders gefährdeter Personengruppen, oder von Tieren – weder direkt noch über das Trinkwasser (unter Berücksichtigung der bei der Trinkwasserbehandlung entstehenden Produkte), über Nahrungs- oder Futtermittel oder über die Luft oder Auswirkungen am Arbeitsplatz oder durch andere indirekte Effekte unter Berücksichtigung bekannter Kumulations- und Synergieeffekte, soweit es von der [EFSA] anerkannte...

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