OL and Others v Rapidsped Fuvarozási és Szállítmányozási Zrt.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2021:548
Docket NumberC-428/19
Date08 July 2021
Celex Number62019CJ0428
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

8. Juli 2021(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 96/71/EG – Art. 1 Abs. 1 sowie Art. 3 und 5 – Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen – Kraftfahrer im internationalen Verkehr – Einhaltung der Mindestlohnsätze des Landes der Entsendung – Tagegeld – Verordnung (EG) Nr. 561/2006 – Art. 10 – Den Arbeitnehmern in Abhängigkeit vom verbrauchten Treibstoff gewährte Vergütung“

In der Rechtssache C‑428/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Gyulai Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság (Verwaltungs- und Arbeitsgericht Gyula, Ungarn) mit Entscheidung vom 20. Mai 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 4. Juni 2019, in dem Verfahren

OL,

PM,

RO

gegen

Rapidsped Fuvarozási és Szállítmányozási Zrt.

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot sowie des Richters L. Bay Larsen (Berichterstatter), der Richterin C. Toader und der Richter M. Safjan und N. Jääskinen,

Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– von OL, PM und RO, vertreten durch Gy. Lupkovics, ügyvéd,

– der Rapidsped Fuvarozási és Szállítmányozási Zrt., vertreten durch D. Kaszás, ügyvéd,

– der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér, G. Koós und M. M. Tátrai als Bevollmächtigte,

– der französischen Regierung, vertreten durch A.‑L. Desjonquières und C. Mosser als Bevollmächtigte,

– der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Bulterman und P. Huurnink als Bevollmächtigte,

– der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

– der Europäischen Kommission, zunächst vertreten durch W. Mölls, B.‑R. Killmann und L. Havas, dann durch B.‑R. Killmann und L. Havas als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 6. Mai 2021

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 1 sowie von Art. 3 und 5 der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (ABl. 1997, L 18, S. 1) und von Art. 10 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr und zur Änderung der Verordnungen (EWG) Nr. 3821/85 und (EG) Nr. 2135/98 des Rates sowie zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 des Rates (ABl. 2006, L 102, S. 1).

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen OL, PM und RO auf der einen Seite und der Rapidsped Fuvarozási és Szállítmányozási Zrt. (im Folgenden: Rapidsped) auf der anderen Seite über einen Antrag von OL, PM und RO in ihrer Eigenschaft als Kraftfahrer im internationalen Verkehr, von Rapidsped, ihrem Arbeitgeber, die Zahlung eines Lohns zu erhalten, der den französischen Mindestlohn für die in Frankreich verrichtete Arbeitszeit berücksichtigt.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 96/71

3 Art. 1 („Anwendungsbereich“) der Richtlinie 96/71 bestimmt:

(1) Diese Richtlinie gilt für Unternehmen mit Sitz in einem Mitgliedstaat, die im Rahmen der länderübergreifenden Erbringung von Dienstleistungen Arbeitnehmer gemäß Absatz 3 in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats entsenden.

(2) Diese Richtlinie gilt nicht für Schiffsbesatzungen von Unternehmen der Handelsmarine.

(3) Diese Richtlinie findet Anwendung, soweit die in Absatz 1 genannten Unternehmen eine der folgenden länderübergreifenden Maßnahmen treffen:

a) einen Arbeitnehmer in ihrem Namen und unter ihrer Leitung in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats im Rahmen eines Vertrags entsenden, der zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem in diesem Mitgliedstaat tätigen Dienstleistungsempfänger geschlossen wurde, sofern für die Dauer der Entsendung ein Arbeitsverhältnis zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem Arbeitnehmer besteht,

…“

4 Art. 2 („Begriffsbestimmung“) dieser Richtlinie lautet wie folgt:

„(1) Im Sinne dieser Richtlinie gilt als entsandter Arbeitnehmer jeder Arbeitnehmer, der während eines begrenzten Zeitraums seine Arbeitsleistung im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als demjenigen erbringt, in dessen Hoheitsgebiet er normalerweise arbeitet.

(2) Für die Zwecke dieser Richtlinie wird der Begriff des Arbeitnehmers in dem Sinne verwendet, in dem er im Recht des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt wird, gebraucht wird.“

5 Art. 3 („Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen“) dieser Richtlinie sieht vor:

„(1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass unabhängig von dem auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbaren Recht die in Artikel 1 Absatz 1 genannten Unternehmen den in ihr Hoheitsgebiet entsandten Arbeitnehmern bezüglich der nachstehenden Aspekte die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen garantieren, die in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet die Arbeitsleistung erbracht wird,

– durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften und/oder

– durch für allgemein verbindlich erklärte Tarifverträge oder Schiedssprüche im Sinne des Absatzes 8, sofern sie die im Anhang genannten Tätigkeiten betreffen, festgelegt sind:

c) Mindestlohnsätze einschließlich der Überstundensätze; dies gilt nicht für die zusätzlichen betrieblichen Altersversorgungssysteme;

Zum Zweck dieser Richtlinie wird der in Unterabsatz 1 Buchstabe c) genannte Begriff der Mindestlohnsätze durch die Rechtsvorschriften und/oder Praktiken des Mitgliedstaats bestimmt, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt wird.

(7) Die Absätze 1 bis 6 stehen der Anwendung von für die Arbeitnehmer günstigeren Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen nicht entgegen.

Die Entsendungszulagen gelten als Bestandteil des Mindestlohns, soweit sie nicht als Erstattung für infolge der Entsendung tatsächlich entstandene Kosten wie z. B. Reise‑, Unterbringungs- und Verpflegungskosten gezahlt werden.

…“

6 Art. 5 („Maßnahmen“) dieser Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten sehen geeignete Maßnahmen für den Fall der Nichteinhaltung dieser Richtlinie vor.

Sie stellen insbesondere sicher, dass den Arbeitnehmern und/oder ihren Vertretern für die Durchsetzung der sich aus dieser Richtlinie ergebenden Verpflichtungen geeignete Verfahren zur Verfügung stehen.“

7 In Art. 6 („Gerichtliche Zuständigkeit“) der Richtlinie 96/71 heißt es:

„Zur Durchsetzung des Rechts auf die in Artikel 3 gewährleisteten Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen kann eine Klage in dem Mitgliedstaat erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt ist oder war; dies berührt nicht die Möglichkeit, gegebenenfalls gemäß den geltenden internationalen Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit in einem anderen Staat Klage zu erheben.“

Richtlinie 2003/59/EG

8 Im zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/59/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Juli 2003 über die Grundqualifikation und Weiterbildung der Fahrer bestimmter Kraftfahrzeuge für den Güter- oder Personenkraftverkehr und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 des Rates und der Richtlinie 91/439/EWG des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 76/914/EWG des Rates (ABl. 2003, L 226, S. 4) heißt es, dass sich die Entwicklung eines defensiven Fahrstils, der mit einem rationelleren Kraftstoffverbrauch einhergeht, sowohl auf die Gesellschaft als auch auf das Straßentransportgewerbe selbst positiv auswirken wird.

9 Art. 1 („Anwendungsbereich“) dieser Richtlinie sieht vor:

„Diese Richtlinie gilt für das Führen von Fahrzeugen

a) durch Staatsangehörige eines Mitgliedstaats,

b) durch Staatsangehörige eines Drittlands, die von einem in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Unternehmen beschäftigt oder eingesetzt werden,

nachstehend ‚Kraftfahrer‘ genannt, die auf öffentlichen Verkehrswegen innerhalb der Union Beförderungen durchführen mit

– Fahrzeugen, für die ein Führerschein der Klasse C1, C1+E, C oder C+E im Sinne der Richtlinie 91/439/EWG [des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein (ABl. 1991, L 237, S. 1)] oder ein als gleichwertig anerkannter Führerschein erforderlich ist,

…“

10 Anhang I dieser Richtlinie trägt die Überschrift „Mindestanforderungen an Qualifikation und Ausbildung“. Gemäß Nr. 1.3 in Abschnitt 1 dieses Anhangs müssen sich die Kenntnisse, die für die Feststellung der Grundqualifikation und Weiterbildung des Fahrers durch die Mitgliedstaaten zu berücksichtigen sind, u. a. auf die Optimierung des Treibstoffverbrauchs im Zusammenhang mit den Führerscheinklassen C, C + E, C1, C1 + E erstrecken.

Richtlinie 2006/126/EG

11 Die Richtlinie 91/439 wurde durch die Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (ABl. 2006, L 403, S. 18) mit Wirkung vom 19. Januar 2013 aufgehoben und ersetzt. Art. 4 der Richtlinie 2006/126 in Verbindung mit der Entsprechungstabelle in Anhang III der Richtlinie 2003/59 ist zu entnehmen, dass die in dieser letztgenannten Richtlinie erwähnten Führerscheinklassen C, C + E, C1, C1 + E Kraftfahrzeuge betreffen, die u. a. zur Güterbeförderung im Straßenverkehr genutzt werden und deren zulässige Gesamtmasse 3,5 t übersteigt.

12 Nach Art. 17 Abs. 3 der Richtlinie 2006/126 gelten Verweisungen auf die aufgehobene Richtlinie 91/439 als Verweisungen auf die Richtlinie 2006/126.

Verordnung Nr. 561/2006

13 Nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 561/2006 gilt diese u. a. für die Güterbeförderung im Straßenverkehr mit Fahrzeugen, deren zulässige Höchstmasse einschließlich Anhänger oder Sattelanhänger 3,5 t übersteigt.

14 Art. 10 Abs. 1 dieser Verordnung bestimmt:

„Verkehrsunternehmen dürfen angestellten oder ihnen zur Verfügung gestellten Fahrern keine Zahlungen in Abhängigkeit von der zurückgelegten Strecke und/oder der Menge der beförderten Güter leisten, auch nicht in Form von Prämien oder...

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