Papier Mettler Italia S.r.l. v Ministero della Transizione Ecologica (già Ministero dell’Ambiente e della Tutela del Territorio e del Mare) and Ministero dello Sviluppo Economico.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2023:1023
Date21 December 2023
Docket NumberC-86/22
Celex Number62022CJ0086
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

21. Dezember 2023(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Rechtsangleichung – Umwelt – Richtlinie 94/62/EG – Verpackungen und Verpackungsabfälle – Richtlinie 98/34/EG – Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft – Pflicht der Mitgliedstaaten, der Europäischen Kommission jeden Entwurf einer technischen Vorschrift mitzuteilen – Nationale Regelung, die restriktivere technische Vorschriften vorsieht als die Regelung der Europäischen Union“

In der Rechtssache C‑86/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium, Italien) mit Entscheidung vom 7. Februar 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Februar 2022, in dem Verfahren

Papier Mettler Italia Srl

gegen

Ministero della Transizione Ecologica,

Ministero dello Sviluppo Economico,

Beteiligte:

Associazione Italiana delle Bioplastiche e dei Materiali Biodegradabili e Compostabili – Assobioplastiche,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe sowie der Richter N. Piçarra, M. Safjan, N. Jääskinen und M. Gavalec (Berichterstatter),

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: C. Di Bella, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 22. März 2023,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– der Papier Mettler Italia Srl, vertreten durch V. Cannizzaro, Avvocato,

– der Associazione Italiana delle Bioplastiche e dei Materiali Biodegradabili e Compostabili – Assobioplastiche, vertreten durch G. Belotti, F. De Leonardis und S. Micono, Avvocati,

– der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von M. Cherubini und G. Palatiello, Avvocati dello Stato,

– der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Escobar Gómez, G. Gattinara und L. Haasbeek als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 25. Mai 2023

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 1, 2, 9, 16 und 18 der Richtlinie 94/62/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 1994 über Verpackungen und Verpackungsabfälle (ABl. 1994, L 365, S. 10) in der durch die Richtlinie 2013/2/EU der Kommission vom 7. Februar 2013 (ABl. 2013, L 37, S. 10) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 94/62) und von Art. 8 der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft (ABl. 1998, L 204, S. 37) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 (ABl. 2012, L 316, S. 12) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 98/34) sowie von Art. 114 Abs. 5 und 6 AEUV.

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Papier Mettler Italia Srl auf der einen Seite und dem Ministero della Transizione Ecologica (Ministerium für die ökologische Wende, Italien) (im Folgenden: Umweltministerium) sowie dem Ministero dello Sviluppo Economico (Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung, Italien) auf der anderen Seite über zum einen die Rechtmäßigkeit eines Dekrets, mit dem für die Vermarktung von Kunststofftragetaschen die Beachtung bestimmter technischer Merkmale vorgeschrieben wird, und zum anderen den Ersatz der Schäden, die durch den Erlass dieses Dekrets entstanden sein sollen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 94/62

3 In den Erwägungsgründen 1, 2, 4, 7 und 33 der Richtlinie 94/62 heißt es:

„Die unterschiedlichen Maßnahmen der Mitgliedstaaten im Bereich der Verpackungen und der Verpackungsabfallbewirtschaftung sind zu harmonisieren, um einerseits Auswirkungen dieser Abfälle auf die Umwelt zu vermeiden oder solche Auswirkungen zu verringern und so ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen und andererseits das Funktionieren des Binnenmarkts zu gewährleisten und zu verhindern, dass es in der [Europäischen] Gemeinschaft zu Handelshemmnissen und Wettbewerbsverzerrungen und ‑beschränkungen kommt.

Die beste Art, Verpackungsabfall zu vermeiden, ist die Verringerung der Gesamtmenge an Verpackungen.

Die Verringerung der Abfallmengen ist eine unabdingbare Voraussetzung für das ausdrücklich im Vertrag über die Europäische Union genannte beständige Wachstum.

Entsprechend der in der Entschließung des Rates vom 7. Mai 1990 über die Abfallpolitik [(ABl. 1990, C 122, S. 2)] enthaltenen Gemeinschaftsstrategie für die Abfallbewirtschaftung sowie der Richtlinie 75/442/EWG des Rates vom 15. Juli 1975 über Abfälle [(ABl. 1975, L 194, S. 39)] umfasst die Verpackungs- und die Verpackungsabfallwirtschaft als erste Priorität die Vermeidung von Verpackungsabfall und als weitere Hauptprinzipien die Wiederverwendung der Verpackungen, die stoffliche Verwertung und die anderen Formen der Verwertung der Verpackungsabfälle sowie als Folge daraus eine Verringerung der einer endgültigen Beseitigung zuzuführenden Abfälle.

Unbeschadet der Richtlinie 83/189/EWG des Rates vom 28. März 1983 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften [(ABl. 1983, L 109, S. 8)] sollten die Mitgliedstaaten die Entwürfe der von ihnen geplanten Maßnahmen vor ihrer Annahme der Kommission vorlegen, damit ermittelt werden kann, ob sie dieser Richtlinie entsprechen.“

4 Art. 1 („Ziele“) der Richtlinie 94/62 bestimmt:

„(1) Diese Richtlinie bezweckt, die Vorschriften der Mitgliedstaaten im Bereich der Verpackungs- und der Verpackungsabfallwirtschaft zu harmonisieren, um einerseits Auswirkungen dieser Abfälle in allen Mitgliedstaaten sowie in dritten Ländern auf die Umwelt zu vermeiden bzw. diese Auswirkungen zu verringern und so ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen und andererseits das Funktionieren des Binnenmarktes zu gewährleisten und zu verhindern, dass es in der Gemeinschaft zu Handelshemmnissen und Wettbewerbsverzerrungen und ‑beschränkungen kommt.

(2) Hierzu werden in dieser Richtlinie Maßnahmen vorgeschrieben, die auf Folgendes abzielen: Erste Priorität ist die Vermeidung von Verpackungsabfällen; weitere Hauptprinzipien sind die Wiederverwendung der Verpackungen, das Recycling und die anderen Formen der Verwertung der Verpackungsabfälle sowie als Folge daraus eine Verringerung der endgültigen Beseitigung der Abfälle, um einen Beitrag zum Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft zu leisten.“

5 In Art. 2 („Geltungsbereich“) der Richtlinie 94/62 heißt es:

„(1) Diese Richtlinie gilt für alle in der Gemeinschaft in Verkehr gebrachten Verpackungen und alle Verpackungsabfälle, unabhängig davon, ob sie in der Industrie, im Handel, in der Verwaltung, im Gewerbe, im Dienstleistungsbereich, in Haushalten oder anderswo anfallen, unabhängig von den Materialien, aus denen sie bestehen.

…“

6 Mit der Richtlinie (EU) 2015/720 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2015 zur Änderung der Richtlinie 94/62/EG betreffend die Verringerung des Verbrauchs von leichten Kunststofftragetaschen (ABl. 2015, L 115, S. 11) wurden in Art. 3 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 94/62 die Nrn. 1b und 1c eingefügt, die bestimmen:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

1b. ‚Kunststofftragetaschen‘ Tragetaschen mit oder ohne Tragegriff aus Kunststoff, die den Verbrauchern in der Verkaufsstelle der Waren oder Produkte angeboten werden;

1c. ‚leichte Kunststofftragetaschen‘ Kunststofftragetaschen mit einer Wandstärke unter 50 [Mikrometern]“.

7 Mit der Richtlinie 2015/720 wurden außerdem in Art. 4 („Abfallvermeidung“) der Richtlinie 94/62 die Abs. 1a und 1b eingefügt, die bestimmen:

„(1a) Die Mitgliedstaaten treffen Maßnahmen, um eine dauerhafte Verringerung des Verbrauchs an leichten Kunststofftragetaschen in ihrem Hoheitsgebiet zu erreichen.

Diese Maßnahmen können die Festlegung nationaler Verringerungsziele, die Beibehaltung oder Einführung wirtschaftlicher Instrumente und Marktbeschränkungen unter Abweichung von Artikel 18 umfassen, sofern diese Beschränkungen verhältnismäßig und nichtdiskriminierend sind.

Diese Maßnahmen können abhängig von den Umweltauswirkungen von leichten Kunststofftragetaschen nach ihrer Verwertung oder Entsorgung, ihren Kompostierungseigenschaften, ihrer Haltbarkeit oder ihrem spezifischen Verwendungszweck variieren.

Die Mitgliedstaaten ergreifen eine oder beide der folgenden Maßnahmen:

a) der Erlass von Maßnahmen, durch die sichergestellt wird, dass der jährliche Verbrauch an leichten Kunststofftragetaschen pro Person bis 31. Dezember 2019 höchstens 90 und bis 31. Dezember 2025 höchstens 40 beträgt, oder gleichwertige Zielvorgaben in Gewicht ausgedrückt nicht überschreitet. Sehr leichte Kunststofftragetaschen können von den nationalen Verbrauchszielen ausgenommen werden;

b) der Erlass von Instrumenten, durch die sichergestellt wird, dass leichte Kunststofftragetaschen in Verkaufsstellen von Waren oder Produkten spätestens bis 31. Dezember 2018 nicht unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden, sofern keine gleichermaßen wirksamen Instrumente eingesetzt werden. Sehr leichte Kunststofftragetaschen können von diesen Maßnahmen ausgenommen werden.

(1b) Unbeschadet des Artikels 15 können die Mitgliedstaaten in Bezug auf sämtliche Arten von Kunststofftragetaschen ungeachtet ihrer Wanddicke Maßnahmen wie den Einsatz von wirtschaftlichen Instrumenten oder nationale Verringerungsziele ergreifen.“

8 Art. 9 („Grundlegende Anforderungen“) der Richtlinie 94/62 sieht vor:

„(1) Die Mitgliedstaaten gewährleisten drei Jahre nach Inkrafttreten dieser Richtlinie, dass nur Verpackungen in den Verkehr gebracht werden dürfen, die alle grundlegenden Anforderungen dieser Richtlinie einschließlich des Anhangs II erfüllen.

…“

9 In Art. 16 („Notifizierung“) der Richtlinie...

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