Pesticide Action Network Europe and Others v État belge, représenté par le Ministre des Classes moyennes, des Indépendants, des P.M.E., de l’Agriculture et de l’Intégration sociale, chargé des Grandes villes.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2023:30
Date19 January 2023
Docket NumberC-162/21
Celex Number62021CJ0162
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

19. Januar 2023(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Umwelt – Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 – Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln – Art. 53 Abs. 1 – Notfallsituationen im Pflanzenschutz – Ausnahme – Anwendungsbereich – Mit Pflanzenschutzmitteln behandeltes Saatgut – Neonicotinoide – Wirkstoffe, die erhöhte Risiken für Bienen darstellen – Verbot des Inverkehrbringens und der Verwendung im Freien von Saatgut, das mit solche Wirkstoffe enthaltenden Pflanzenschutzmitteln behandelt wurde – Durchführungsverordnung (EU) 2018/784 und Durchführungsverordnung (EU) 2018/785 – Keine Anwendbarkeit der Ausnahme – Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier sowie der Umwelt – Vorsorgeprinzip“

In der Rechtssache C‑162/21

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d'État (Staatsrat, Belgien) mit Entscheidung vom 16. Februar 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 11. März 2021, in dem Verfahren

Pesticide Action Network Europe ASBL,

Nature et Progrès Belgique ASBL,

TN

gegen

État belge,

Beteiligte:

Sesvanderhave SA,

Confédération des Betteraviers Belges ASBL,

Société Générale des Fabricants de Sucre de Belgique ASBL (Subel),

Isera & Scaldis Sugar SA (Iscal Sugar),

Raffinerie Tirlemontoise SA,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, des Vizepräsidenten des Gerichtshofs L. Bay Larsen (Berichterstatter), der Richter P. G. Xuereb und A. Kumin sowie der Richterin I. Ziemele,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: M. Siekierzyńska, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. März 2022,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– der Pesticide Action Network Europe ASBL, der Nature et Progrès Belgien ASBL und von TN, vertreten durch A. Bailleux, Avocat,

– der Sesvanderhave SA, vertreten durch P. de Jong und S. Lens, Avocats,

– der Confédération des Betteraviers Belges ASBL, der Société Générale des Fabricants de Sucre de Belgique ASBL (Subel), der Isera & Scaldis Sugar SA (Iscal Sugar) und der Raffinerie Tirlemontoise SA, vertreten durch L. Swartenbroux und L. Vervier, Avocats,

– der belgischen Regierung, vertreten durch C. Pochet und P. Cottin als Bevollmächtigte im Beistand von S. Depré, M. Lambert de Rouvroit und G. Ryelandt, Avocats,

– der griechischen Regierung, vertreten durch E. Tsaousi und A.‑E. Vasilopoulou als Bevollmächtigte,

– der französischen Regierung, vertreten durch G. Bain, A.‑L. Desjonquères und T. Stéhelin als Bevollmächtigte,

– der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér und K. Szíjjártó als Bevollmächtigte,

– der finnischen Regierung, vertreten durch H. Leppo als Bevollmächtigte,

– der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Castilla Contreras, A. Dawes und B. Eggers als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 8. September 2022

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 53 der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und zur Aufhebung der Richtlinien 79/117/EWG und 91/414/EWG des Rates (ABl. 2009, L 309, S. 1).

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen zwei Vereinigungen zur Bekämpfung von Pestiziden und zur Förderung der Biodiversität, der Pesticide Action Network Europe ASBL und der Nature et Progrès Belgique ASBL, sowie einem Imker, TN, auf der einen Seite und dem belgischen Staat, vertreten durch den Ministre des Classes moyennes, des Indépendants, des PME, de l’Agriculture et de l’Intégration sociale, chargé des Grandes villes (Minister des Mittelstands, der Selbstständigen, der KMB, der Landwirtschaft und der Sozialen Eingliederung, beauftragt mit den Großstädten) auf der anderen Seite, wegen nationaler Entscheidungen, mit denen zum einen das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln auf der Grundlage von in der Europäischen Union für die Behandlung von Saatgut verbotenen Wirkstoffen und zum anderen der Verkauf und die Aussaat von derart behandeltem Saatgut erlaubt wird.

Rechtlicher Rahmen

Richtlinie 2009/128/EG

3 Die Richtlinie 2009/128/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über einen Aktionsrahmen der Gemeinschaft für die nachhaltige Verwendung von Pestiziden (ABl. 2009, L 309, S. 71) bestimmt in Art. 14 Abs. 1:

„Die Mitgliedstaaten treffen alle erforderlichen Maßnahmen, um einen Pflanzenschutz mit geringer Pestizidverwendung zu fördern, wobei wann immer möglich nichtchemischen Methoden der Vorzug gegeben wird, so dass berufliche Verwender von Pestiziden unter den für dasselbe Schädlingsproblem verfügbaren Verfahren und Produkten auf diejenigen mit dem geringsten Risiko für die menschliche Gesundheit und die Umwelt zurückgreifen. Pflanzenschutzverfahren mit geringer Pestizidverwendung schließen den integrierten Pflanzenschutz sowie den ökologischen Landbau … ein.“

Verordnung Nr. 1107/2009

4 Die Erwägungsgründe 8, 24, 32 und 33 der Verordnung Nr. 1107/2009 lauten:

„(8) Mit dieser Verordnung soll ein hohes Schutzniveau für die Gesundheit von Mensch und Tier und für die Umwelt gewährleistet und zugleich die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft der Gemeinschaft sichergestellt werden. … Das Vorsorgeprinzip sollte angewandt und mit dieser Verordnung sollte sichergestellt werden, dass die Industrie den Nachweis erbringt, dass Stoffe oder Produkte, die erzeugt oder in Verkehr gebracht werden, keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch oder Tier oder keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt haben.

(24) Die Bestimmungen für eine Zulassung müssen ein hohes Schutzniveau gewährleisten. Insbesondere sollte bei Erteilung einer Zulassung für Pflanzenschutzmittel das Ziel, die Gesundheit von Mensch und Tier sowie die Umwelt zu schützen, Vorrang haben vor dem Ziel, die Pflanzenproduktion zu verbessern. Daher sollte, bevor ein Pflanzenschutzmittel in Verkehr gebracht wird, nachgewiesen werden, dass es einen offensichtlichen Vorteil für die Pflanzenerzeugung bringt und keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen, einschließlich der besonders gefährdeten Personengruppen, oder von Tieren sowie keine unannehmbaren Folgen für die Umwelt hat.

(32) In Ausnahmefällen sollte es den Mitgliedstaaten erlaubt sein, Pflanzenschutzmittel zuzulassen, die nicht die Bedingungen der vorliegenden Verordnung erfüllen, soweit dies erforderlich ist, um eine Gefahr oder Bedrohung für die Pflanzenerzeugung oder die Ökosysteme abzuwenden, die mit anderen angemessenen Mitteln nicht beherrscht werden kann. Solche befristeten Zulassungen sollten auf Gemeinschaftsebene überprüft werden.

(33) Die Rechtsvorschriften der Gemeinschaft für Saatgut sehen den freien Verkehr mit Saatgut innerhalb der Gemeinschaft vor, enthalten jedoch keine Bestimmungen über Saatgut, das mit Pflanzenschutzmitteln behandelt wurde. Entsprechende Bestimmungen sollten daher in diese Verordnung aufgenommen werden. Stellt behandeltes Saatgut ein schwerwiegendes Risiko für die Gesundheit von Mensch und Tier oder die Umwelt dar, so sollten die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, Schutzmaßnahmen zu ergreifen.“

5 Art. 1 Abs. 3 und 4 der Verordnung bestimmt:

„(3) Ziel dieser Verordnung ist die Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Gesundheit von Mensch und Tier und für die Umwelt und das bessere Funktionieren des Binnenmarkts durch die Harmonisierung der Vorschriften für das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und die Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktion.

(4) Die Bestimmungen dieser Verordnung beruhen auf dem Vorsorgeprinzip, mit dem sichergestellt werden soll, dass in Verkehr gebrachte Wirkstoffe oder Produkte die Gesundheit von Mensch und Tier sowie die Umwelt nicht beeinträchtigen. …“

6 Art. 2 Abs. 1 der Verordnung sieht vor:

„Diese Verordnung gilt für Produkte in der dem Verwender gelieferten Form, die aus Wirkstoffen, Safenern oder Synergisten bestehen oder diese enthalten und für einen der nachstehenden Verwendungszwecke bestimmt sind:

a) Pflanzen oder Pflanzenerzeugnisse vor Schadorganismen zu schützen oder deren Einwirkung vorzubeugen, soweit es nicht als Hauptzweck dieser Produkte erachtet wird, eher hygienischen Zwecken als dem Schutz von Pflanzen oder Pflanzenerzeugnissen zu dienen;

Diese Produkte werden als ‚Pflanzenschutzmittel‘ bezeichnet.“

7 In Art. 3 Nrn. 5, 9, 10 und 17 der Verordnung heißt es:

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

5. ‚Pflanzen‘ lebende Pflanzen und lebende Teile von Pflanzen einschließlich der frischen Früchte und der Samen;

9. ‚Inverkehrbringen‘ das Bereithalten zum Zwecke des Verkaufs innerhalb der Gemeinschaft, einschließlich des Anbietens zum Verkauf oder jeder anderen Form der Weitergabe, unabhängig davon, ob entgeltlich oder unentgeltlich, sowie Verkauf, Vertrieb oder andere Formen der Weitergabe selbst, jedoch nicht die Rückgabe an den früheren Verkäufer. Die Überführung in den freien Verkehr des Gebiets der Gemeinschaft ist ein Inverkehrbringen im Sinne dieser Verordnung;

10. ‚Zulassung eines Pflanzenschutzmittels‘ einen Verwaltungsakt, mit dem die zuständige Behörde eines Mitgliedstaats das Inverkehrbringen eines Pflanzenschutzmittels auf dessen Gebiet zulässt;

17. …

Zur Verwendung in Gewächshäusern, der Behandlung nach der Ernte, der Behandlung leerer Lagerhäuser und der Behandlung von Saatgut bezeichnet der Ausdruck ‚Zone‘ sämtliche in Anhang I festgelegten Zonen“.

8 Art. 28 („Zulassung zum Inverkehrbringen und zur Verwendung“) der Verordnung Nr. 1107/2009 bestimmt in seinem Abs. 1:

„Ein Pflanzenschutzmittel darf nur in Verkehr gebracht oder...

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