Planistat Europe and Hervé-Patrick Charlot v European Commission.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2024:20
Date11 January 2024
Docket NumberC-363/22
Celex Number62022CJ0363
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung


URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

11. Januar 2024(*)

„Rechtsmittel – Art. 340 Abs. 2 AEUV – Außervertragliche Haftung der Europäischen Union – Verordnung (EG) Nr. 1073/1999 – Untersuchungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) – Externe Untersuchung des OLAF – Sache ‚Eurostat‘ – Übermittlung von Informationen über gegebenenfalls strafrechtlich zu ahndende Handlungen durch das OLAF an nationale Justizbehörden vor Abschluss der Untersuchung – Erstattung einer Strafanzeige durch die Europäische Kommission vor Abschluss der Untersuchung des OLAF – Nationales Strafverfahren – Endgültige Einstellung – Begriff ‚hinreichend qualifizierter Verstoß‘ gegen eine Unionsrechtsnorm, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen – Immaterielle und materielle Schäden, die den Rechtsmittelführern entstanden sein sollen – Schadensersatzklage“

In der Rechtssache C‑363/22 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 6. Juni 2022,

Planistat Europe SARL mit Sitz in Paris (Frankreich),

Hervé-Patrick Charlot, wohnhaft in Paris,

vertreten durch F. Martin Laprade, Avocat,

Rechtsmittelführer,


andere Partei des Verfahrens:

Europäische Kommission, vertreten durch J. Baquero Cruz und F. Blanc als Bevollmächtigte,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter Z. Csehi, M. Ilešič (Berichterstatter), I. Jarukaitis und D. Gratsias,

Generalanwältin: L. Medina,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 13. Juli 2023

folgendes

Urteil

1 Mit ihrem Rechtsmittel beantragen die Planistat Europe SARL und Herr Hervé-Patrick Charlot die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 6. April 2022, Planistat Europe und Charlot/Kommission (T‑735/20, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2022:220), mit dem das Gericht ihre Schadensersatzklage abgewiesen hat. Die Klage war zum einen auf Ersatz des immateriellen Schadens, der Herrn Charlot durch die Übermittlung von Informationen über möglicherweise strafrechtlich relevante Handlungen durch das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) an die nationalen Behörden sowie durch die von der Europäischen Kommission bei diesen Behörden erstattete Strafanzeige entstanden sein soll, und zum anderen auf Ersatz des materiellen Schadens gerichtet, der den Rechtsmittelführern durch die Kündigung der zwischen Planistat Europe und der Kommission geschlossenen Verträge entstanden sein soll.


I. Rechtlicher Rahmen

2 In den Erwägungsgründen 1, 5, 10 und 13 der in zeitlicher Hinsicht auf die vorliegende Rechtssache anwendbaren Verordnung (EG) Nr. 1073/1999 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 über die Untersuchungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) (ABl. 1999, L 136, S. 1) hieß es:

„(1) Die Organe und die Mitgliedstaaten messen dem Schutz der finanziellen Interessen der [Europäischen] Gemeinschaften sowie der Bekämpfung von Betrug und sonstigen rechtswidrigen Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der Gemeinschaften große Bedeutung bei. …

(5) Die Zuständigkeit des [OLAF], wie von der Kommission eingerichtet, erstreckt sich über den Schutz der finanziellen Interessen hinaus auf alle Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Wahrung der gemeinschaftlichen Interessen gegenüber rechtswidrigen Handlungen, die verwaltungs- oder strafrechtlich geahndet werden könnten.

(10) Bei diesen Untersuchungen, die gemäß dem Vertrag und insbesondere dem Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften und unter Wahrung des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften und der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften … durchzuführen sind, müssen die Menschenrechte und die Grundfreiheiten in vollem Umfang gewahrt bleiben; dies gilt insbesondere für den Billigkeitsgrundsatz, das Recht der Beteiligten, zu den sie betreffenden Sachverhalten Stellung zu nehmen, und den Grundsatz, dass sich die Schlussfolgerungen aus einer Untersuchung nur auf beweiskräftige Tatsachen gründen dürfen. Zu diesem Zweck müssen die Organe, Einrichtungen sowie Ämter und Agenturen die Bedingungen und Modalitäten für die Durchführung der internen Untersuchungen festlegen. Die Rechte und Pflichten der Beamten und sonstigen Bediensteten im Zusammenhang mit internen Untersuchungen sind folglich [in diesem] Statut festzuschreiben.

(13) Es obliegt den zuständigen einzelstaatlichen Behörden sowie gegebenenfalls den Organen, Einrichtungen sowie Ämtern und Agenturen, auf der Grundlage des von dem [OLAF] erstellten Berichts Folgemaßnahmen zu den abgeschlossenen Untersuchungen zu beschließen. Der Direktor des [OLAF] sollte verpflichtet werden, den Justizbehörden des betroffenen Mitgliedstaats unmittelbar alle Informationen zu übermitteln, die das [OLAF] bei internen Untersuchungen über strafrechtlich relevante Sachverhalte zusammengetragen hat.“

3 Art. 2 („Administrative Untersuchungen“) der Verordnung bestimmte:

„Im Sinne dieser Verordnung umfasst der Begriff ‚administrative Untersuchungen‘ … sämtliche Kontrollen, Überprüfungen und sonstige Maßnahmen, die die Bediensteten des [OLAF] in Ausübung ihrer Befugnisse gemäß den Artikeln 3 und 4 durchführen, um die in Artikel 1 festgelegten Ziele zu erreichen und gegebenenfalls den Beweis für Unregelmäßigkeiten der von ihnen kontrollierten Handlungen zu erbringen. Diese Untersuchungen berühren nicht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Strafverfolgung.“

4 Art. 8 („Vertraulichkeit und Datenschutz“) der Verordnung sah vor:

„(1) Informationen, die im Rahmen externer Untersuchungen eingeholt werden, sind, unabhängig davon, in welcher Form sie vorliegen, durch die Bestimmungen über diese Untersuchungen geschützt.

(2) Informationen, die im Rahmen interner Untersuchungen mitgeteilt oder eingeholt werden, fallen, unabhängig davon, in welcher Form sie vorliegen, unter das Berufsgeheimnis und genießen den Schutz, der durch die für die Organe der Europäischen Gemeinschaften geltenden einschlägigen Bestimmungen gewährleistet ist.

Diese Informationen dürfen insbesondere nur Personen mitgeteilt werden, die in den Organen der Europäischen Gemeinschaften oder den Mitgliedstaaten aufgrund ihres Amtes davon Kenntnis erhalten dürfen; sie dürfen zu keinem anderen Zweck als der Bekämpfung von Betrug, Korruption und sonstigen rechtswidrigen Handlungen verwendet werden.

(3) Der Direktor trägt dafür Sorge, dass die Bediensteten des [OLAF] und die anderen unter seiner Verantwortung handelnden Personen die gemeinschaftlichen und die innerstaatlichen Rechtsvorschriften über den Schutz personenbezogener Daten einhalten; dies gilt insbesondere für die Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr [(ABl. 1995, L 281, S. 31)].

(4) Der Direktor des [OLAF] und die Mitglieder des in Artikel 11 genannten Überwachungsausschusses sorgen für die Anwendung der Bestimmungen dieses Artikels sowie der Artikel 286 und 287 des EG‑Vertrags.“

5 Art. 9 („Untersuchungsberichte und Folgemaßnahmen“) der Verordnung bestimmte:

„(1) Das [OLAF] erstellt nach einer von ihm durchgeführten Untersuchung unter der Verantwortung des Direktors einen Bericht, aus dem insbesondere der festgestellte Sachverhalt, gegebenenfalls die ermittelte Schadenshöhe und die Ergebnisse der Untersuchung, einschließlich der Empfehlungen des Direktors des [OLAF] zu den zweckmäßigen Folgemaßnahmen, hervorgehen.

(2) Bei der Erstellung dieser Berichte werden die im Recht des betreffenden Mitgliedstaats vorgesehenen Verfahrenserfordernisse berücksichtigt. Die so erstellten Berichte stellen in der gleichen Weise und unter denselben Bedingungen wie die Verwaltungsberichte der Kontrolleure der einzelstaatlichen Verwaltungen zulässige Beweismittel in den Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren des Mitgliedstaats dar, in dem sich ihre Verwendung als erforderlich erweist. Sie werden nach denselben Maßstäben beurteilt wie die Verwaltungsberichte der einzelstaatlichen Kontrolleure und sind als diesen gleichwertig zu betrachten.

(3) Der nach Abschluss einer externen Untersuchung erstellte Bericht wird mit allen zweckdienlichen Schriftstücken gemäß der für die externen Untersuchungen geltenden Regelung den zuständigen Behörden der betreffenden Mitgliedstaaten übermittelt.

(4) Der nach Abschluss einer internen Untersuchung erstellte Bericht wird mit allen zweckdienlichen Schriftstücken dem betreffenden Organ, der betreffenden Einrichtung oder dem betreffenden Amt oder der betreffenden Agentur übermittelt. Die Organe, Einrichtungen sowie Ämter und Agenturen ergreifen die gemäß den Ergebnissen der internen Untersuchungen erforderlichen Folgemaßnahmen, insbesondere die disziplinarrechtlichen und justiziellen Maßnahmen, und unterrichten den Direktor des [OLAF] innerhalb der von ihm in den Schlussfolgerungen seines Berichts gesetzten Frist über die Folgemaßnahmen der Untersuchungen.“

6 Art. 10 („Übermittlung von Informationen durch das [OLAF]“) der Verordnung Nr. 1073/1999 lautete:

„(1) Unbeschadet der Artikel 8, 9 und 11 dieser Verordnung und der Bestimmungen der Verordnung (Euratom, EG) Nr. 2185/96 [des Rates vom 11. November 1996 betreffend die Kontrollen und Überprüfungen vor Ort durch die Kommission zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften vor Betrug und anderen Unregelmäßigkeiten (ABl. 1996, L 292, S. 2)] kann das [OLAF] den zuständigen Behörden der betreffenden Mitgliedstaaten jederzeit Informationen übermitteln, die es im Laufe externer Untersuchungen erlangt hat.

(2) Unbeschadet der Artikel 8, 9 und 11 übermittelt der Direktor des [OLAF] den Justizbehörden des betreffenden Mitgliedstaats die...

To continue reading

Request your trial

VLEX uses login cookies to provide you with a better browsing experience. If you click on 'Accept' or continue browsing this site we consider that you accept our cookie policy. ACCEPT